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Wie Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie verankert wird

Interview mit Ralf Pfitzner, Leiter Nachhaltigkeit bei VW, über die Mobilitätswende.

Wie kann die Mobilität der Zukunft nicht nur elektrisch, sondern auch nachhaltig werden? Darüber sprach unser Head of Energy & Natural Resources, Michael Salcher, im Rahmen unserer virtuellen Konferenz, dem KPMG Basecamp, mit Ralf Pfitzner, Leiter Nachhaltigkeit bei Volkswagen.

Michael Salcher: Lieber Herr Pfitzner, was bedeutet Nachhaltigkeit aktuell und zukünftig für die Volkswagen-Gruppe?

Ralf Pfitzner: Aus meiner Sicht muss eine Nachhaltigkeitsstrategie als integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie betrachtet werden. Das, was wir bei Volkswagen entwickeln und umsetzen, ist eine nachhaltige Unternehmensstrategie, die in allen Funktionen – ob im Produktportfolio, im Personalbereich oder der Beschaffung – verankert und integral verbunden ist.

Wir sind mit den Themen Klimaschutz und Dekarbonisierung gestartet, haben 2019 ein umfangreiches Dekarbonisierungsprogramm implementiert, uns dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet und Zwischenziele gesetzt. Das wesentliche Ziel ist bis 2030 den CO₂-Fußabdruck des PKW und der leichten Nutzfahrzeuge über den gesamten Lebenszyklus um 30 Prozent gegenüber 2018 zu reduzieren.

Klimaschutz und Dekarbonisierung sind aber nur ein Teil von Nachhaltigkeit. Es geht auch darum, die Faktoren Mensch, Integrität sowie Verantwortung für Lieferketten und Wirtschaft in den nachhaltigen Transformationsprozess miteinzubeziehen.

Michael Salcher: Das klingt ambitioniert, wenn man bedenkt, dass die Umfeldbedingungen gar nicht so einfach sind: Das Thema Nachhaltigkeit ist so multidimensional wie der Volkswagen-Konzern, und mit den aktuellen Herausforderungen – Krieg, Energiekrise, Probleme bei Liefersituationen – wird es nicht leichter.

Nehmen wir beispielweise die Energieversorgung. Für uns alle sind die Herausforderungen immens. Langfristig wirkende Entscheidungen sind nicht schnell reversibel. Für uns als Gesellschaft, für die Wirtschaft und die Politik führen die explodierenden Preise zu vielfachen Änderungen.

Wie bewältigt der Volkswagen-Konzern diese Herausforderungen im Zusammenhang mit den Klimaschutzzielen, die Sie einhalten wollen?

Ralf Pfitzner: Wenn wir uns die Dekarbonisierungsziele anschauen, könnte man sagen: Es dreht sich alles um Energie. Der batterieelektrische Antrieb ist der wesentliche Hebel, um den Individualverkehr umweltfreundlicher zu gestalten. Energie- und Verkehrswende gehören für uns eindeutig zusammen.

Deshalb ist der Anspruch an uns selbst, dafür zu sorgen, dass für die Nutzung der Elektrofahrzeuge mehr erneuerbare Energien durch den Zubau von Neuanlagen in den Markt kommen. Zudem bieten wir unseren BEV Kunden über die Konzerntochter Elli Grünstromverträge an.

Wenn man dann im Lebenszyklus eines Fahrzeuges auf die Lieferkette schaut, landet man bei den Materialien, die gebraucht werden, um Fahrzeuge zu fertigen. Dazu gehören energieintensive Materialien wie Stahl, Aluminium, Kupfer, Glas, die alle dekarbonisiert werden müssen.

Das ist eine weitere Herausforderung, und Sie können sich vorstellen, dass das nicht ganz einfach ist. Wir beziehen Komponenten von unseren Tier-1-Lieferanten, aber viele CO₂-intensive Prozessschritte finden in vorgelagerten Stufen der Lieferkette statt.

Michael Salcher: Neben der Dekarbonisierung spielt auch die Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle, vertiefen wir dieses Thema: Wie können Fahrzeuge in Zukunft mehr als Materialspeicher betrachtet werden und weniger als ein Abfallprodukt? Welche Initiativen gibt es dazu bereits in der Automobilbranche?

Ralf Pfitzner: Wenn man Altfahrzeuge als Beispiel nimmt, gibt es schon lange etablierte Recyclingkreisläufe, da Stahl und Aluminium einen Rohstoffwert haben und es somit hohe Anreize für eine Kreislaufführung gibt.

Wenn die Automobilindustrie es schafft, Kreisläufe zu schließen und auch in Neufahrzeuge zirkuläre Materialen einzubauen, wird auch hier ein positiver Effekt für die Dekarbonisierung erreicht. Recyceltes Aluminium hat einen viel kleineren CO₂-Fußabdruck als das Primärmaterial.

Michael Salcher: Betrachten wir die Umfeldbedingungen, wie sehen Sie den Stand des Ausbaus der Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa, wird da schon genügend gemacht?

Ralf Pfitzner: Wir müssen Schritt halten, daran führt kein Weg vorbei. Ohne vernünftige Ladeinfrastruktur funktioniert auch die E-Mobilität nicht. Im Hinblick auf die Schnellladeinfrastruktur, die besonders wichtig bei Langstrecken ist, wird es bis 2025 circa 18.000 Ladepunkte in Europa geben. Das ist fünf Mal so viel im Vergleich zu dem, was wir heute haben. Ich bin also optimistisch, dass wir bei dem Thema vorankommen.

Michael Salcher: Es wirkt zudem so, als ob Deutschland den Umstieg auf eine emissionsarme und freie Energieversorgung will, betrachtet man Pläne und Maßnahmen wie Kernenergieausstieg, Kohleausstieg im Bereich der Stromerzeugung sowie die Neugestaltung der Gasversorgung. Wie ist Ihre Meinung, können wir diese Maßnahmen effektiv umsetzen oder braucht Deutschland eventuell ein anderes Werteverständnis, um unser Land als Industriestandort zukunftsfähig aufzustellen?

Ralf Pfitzner: Die Krisen führen uns gerade drastisch vor Augen, wie hoch die Abhängigkeit von fossilen Energien ist. In den letzten Jahren wurde das Thema Energiewende sehr stiefmütterlich behandelt. Hürden bei Genehmigungsverfahren oder beim Netzausbau müssen wir zügig beiseite räumen. Mir persönlich ist ein Windkraftwerk in Sichtweite zu meinem Haus deutlich lieber als eine Abhängigkeit von fossilen Energien.

Michael Salcher: Wir sprachen eingangs darüber, dass es beim Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen auch um den Faktor Mensch geht. Wie nehmen Sie Ihre Stakeholder – seien es Mitarbeitende oder Kunden – bei diesem Wandel mit?

Ralf Pfitzner: Die Automobilindustrie steckt mitten in ihrer größten Transformation. Die Menschen, die für Volkswagen arbeiten, müssen wir dabei mitnehmen.

Qualifizierung ist dabei eine große Aufgabe. Durch die Umstellung der Werke auf Elektromobilität müssen andere Fertigungsverfahren gelernt werden. Gleichzeitig brauchen wir tausende von Software-Ingenieur:innen, die am Markt nicht so leicht zu bekommen sind. Wir sind kein klassischer Fahrzeughersteller mehr, sondern wir sind auch ein IT- und Software-Konzern. Das erfordert andere Maßnahmen – auch was die Flexibilität der Arbeitszeiten und Arbeitsorte angeht.

Bei der Nachhaltigkeitstransformation haben wir überlegt, wie wir das Thema emotional in die Firma bringen können – die Zahlen und Fakten dazu kann man ja jeden Tag in den Nachrichten verfolgen. So haben wir beispielweise zum Earth Day 2021 und 2022 den Mitarbeitenden angeboten, eine Stunde ihrer Arbeitszeit für das Thema Klimaschutz zu nutzen und sich in den eigenen Teams Maßnahmen zu überlegen. Die Resonanz war überwältigend – rund 290.000 Mitarbeiter:innen haben dieses Jahr weltweit mitgemacht. Das ist vermutlich eine der größten Klimaschutzaktionen, die je von einem Unternehmen durchgeführt wurde.

Michael Salcher: Vielen Dank für die spannenden Einblicke, wir werden Ihre Arbeit mit hohem Interesse weiterverfolgen.

Hier das gesamte Interview als Aufzeichnung anschauen

Sie wollen noch mehr zum Thema Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie erfahren? Dann schauen Sie sich hier die gesamte Aufzeichnung des Interviews vom KPMG Zukunftsgipfel an.