In Estland müssen die Bewohner genau wegen drei Anlässen eine Behörde persönlich aufsuchen: bei Hochzeit, bei Scheidung und wenn sie ein Grundstück verkaufen wollen. Alles andere können sie online erledigen mittels einer ID-Chipkarte, die gleichzeitig Führerschein, Steuernummer, Gesundheitskarte und Bibliotheksausweis ist. Selbst die Registrierung von Neugeborenen und der Antrag auf Kindergeld kann am heimischen PC mit der Chipkarte vorgenommen werden.
Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Deutsche Bürgerinnen und Bürger verbringen jedes Jahr viele Stunden in Ämtern und Behörden beim Warten auf Führerscheine und andere Dokumente. Die öffentliche Verwaltung will zwar 575 Verwaltungsleistungen bis 2022 digitalisieren, doch bisher steht nicht eine einzige wirklich online zur Verfügung.
Im Hintergrund wird schon fleißig digitalisiert
Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand für den öffentlichen Sektor bei KPMG in Deutschland, befürchtet, dass sich die öffentliche Hand mit dieser Mammutaufgabe vielleicht ein bisschen zu viel auf einmal vorgenommen hat. Doch er bestätigt auch, dass der Rückstand bei der Digitalisierung der Verwaltungsleistungen auch ein Wahrnehmungsproblem ist: Im Hintergrund wird eifrig gearbeitet, viele Dinge sind vorbereitet, doch zu sehen ist an konkreten Ergebnissen noch zu wenig.
Wir haben Mathias Oberndörfer am Rande des „ZEIT“-Wirtschaftsforums getroffen und mit ihm über die Gründe gesprochen, warum die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland dringend Fahrt aufnehmen muss und welche ersten Erfolge es gibt.