Eine Frau sitzt vor einem geöffneten Laptop und erklärt dem neben ihr sitzendem Mann etwas.

Der Staat als Kunde von Start-ups – so gelingt die Auftragsvergabe

Vereinfachungen im Vergaberecht sollen jetzt helfen – doch reicht das aus? Eine Analyse.

Keyfacts:

  • Staat und Verwaltung benötigen digitale und innovative Lösungen, um ihre Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.
  • Es gibt Bestrebungen, das Vergaberecht zu vereinfachen, um die Zusammenarbeit mit Start-ups zu fördern. Beispiele sind Baden-Württemberg und Hamburg, wo bereits bürokratische Hürden abgeschafft wurden, um die Auftragsvergabe an Start-ups zu erleichtern.
  • Neben der Reform des Vergaberechts sind weitere Maßnahmen notwendig, um die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen und Start-ups zu verbessern.

    Die öffentliche Verwaltung benötigt einen Innovationsschub und sollte bei der Digitalisierung dringend schneller vorankommen. Staat und Verwaltung fehlen laut Beamtenbund bereits heute mehr als 500.000 Beschäftigte. Wenn in den kommenden Jahren Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in größerer Zahl in den Ruhestand gehen werden, dürfte die Zahl noch weiter steigen. Um die Leistungsfähigkeit der Verwaltung aufrechtzuerhalten, sind jetzt digitale und automatisierte Lösungen notwendig. Gleichzeitig soll die Innovationskraft der Wirtschaft gestärkt werden. Deshalb sind Bestrebungen zu beobachten, dass Staat und Verwaltung ab jetzt häufiger auf die digitalen Lösungen von Start-ups zurückgreifen wollen.

    Das zeigt sich auf regulatorischer Ebene: So sieht auf Bundesebene der Referentenentwurf des Vergaberechtstransformationsgesetzes eine Stärkung der Teilnahmemöglichkeiten für junge und innovative Unternehmen an der öffentlichen Auftragsvergabe vor. Außerdem haben einzelne Bundesländer die vergaberechtlichen Anforderungen für die Beauftragung von Start-ups bereits gelockert. Doch löst eine Vereinfachung des Vergaberechts wirklich das Problem? Oder gibt es weitere Ansätze, um die Zusammenarbeit zwischen Staat und Start-ups zu fördern?

    Zusammenarbeit mit Start-ups noch keine Selbstverständlichkeit

    Start-ups bieten oftmals nicht nur innovative Lösungen auf dem neuesten Stand der Technik, sondern können auch moderne Arbeitsmethoden auf den Weg bringen und für mehr Geschwindigkeit in der Umsetzung sorgen. Vor zehn Jahren war es in der Gründerszene noch eine Besonderheit, Lösungen für den öffentlichen Sektor zu entwickeln. In den vergangenen Jahren ist die Government-Technology-(GovTech)-Szene in Deutschland jedoch stark gewachsen. Der Datendienst GovMind zählte 2022 rund 370 Start-ups, die Lösungen im Bereich GovTech anbieten, Tendenz weiter steigend.

    Allerdings hat der Bundesverband Deutsche Startups für das Jahr 2023 ermittelt, dass Start-ups insgesamt nur sechs Prozent ihrer Umsätze mit Organisationen der öffentlichen Hand erzielten. Selbst unter den GovTech-Start-ups, die sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen auf die öffentliche Verwaltung fokussieren, generierten laut einer Untersuchung des InnoLab_bw lediglich 21 Prozent ihre gesamten Umsätze mit öffentlichen Kunden.

    Tendenz zum Abbau vergaberechtlicher Hürden

    Um die Zusammenarbeit mit Start-ups zu erleichtern, zeigen sich nun sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene Tendenzen zu Vereinfachungen im Vergaberecht. Ende September 2024 wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz – VergRTransfG) vorgelegt. Um die Beteiligung junger und innovativer Unternehmen an der öffentlichen Auftragsvergabe zu erleichtern, sollen bürokratische Hürden gesenkt werden. So sollen zum Beispiel bei der Auswahl der Eignungskriterien und Eignungsnachweise die besonderen Umstände von jungen und kleineren beziehungsweise mittelgroßen Unternehmen berücksichtigt werden.

    Baden-Württemberg und Hamburg erleichtern die Auftragsvergabe an Start-ups bereits durch die Anhebung von Wertgrenzen, ohne dass die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Vergabe aufgehoben werden. In Baden-Württemberg können seit dem 1. Oktober 2024 Behörden und Dienststellen des Landes Liefer- und Dienstleistungen direkt an Start-ups vergeben, sofern der Auftragswert unterhalb des EU-Schwellenwerts (momentan 221.000 Euro netto) liegt. Außerdem wird eine Markterkundung empfohlen, um Preisvergleiche durchzuführen. Die Erleichterungen sind zunächst auf drei Jahre befristet und sollen Ende 2026 evaluiert werden.

    In der Freien und Hansestadt Hamburg gilt seit 2024 eine „Experimentierklausel“ in der landeseigenen Vergaberichtlinie. Sie ermöglicht es, bei einem Auftragswert von bis zu 100.000 Euro nur ein Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufzufordern. Voraussetzung ist, dass die städtische „Venture Client-Einheit“ GovTecHH am Vergabeverfahren beteiligt ist und der Einsatz neuer Technologien zur Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung beabsichtigt ist.

    Vergaberecht ist ein wichtiger Hebel – aber nicht der einzige

    Das von KPMG geförderte Institut für den öffentlichen Sektor hat zu diesem Thema bereits mehrfach öffentliche Einrichtungen und Start-ups befragt. Dabei wurde immer wieder das Vergaberecht als Hindernis für eine Zusammenarbeit von öffentlichen Organisationen mit Start-ups benannt. Die auf schnelle Abläufe eingestellten Start-ups monierten vor allem Dauer und Formalitäten im Ausschreibungsprozess. Erleichterungen wie die Möglichkeit zur Direktvergabe in Hamburg oder Baden-Württemberg könnten den Prozess beschleunigen und Formalitäten im Vergabeprozess reduzieren.

    Doch damit Start-ups häufiger bei öffentlichen Ausschreibungen berücksichtigt werden, braucht es weitere Veränderungen – unsere Handlungsempfehlungen:

    • Kontakte und Anlaufstellen: Start-ups wissen oft nicht, wer die richtige Ansprechperson in einer Verwaltungsorganisation ist. Eine Start-up-Einheit innerhalb der Verwaltung könnte dieses Problem lösen, indem sie als Brückenbauer zwischen den beiden Welten „Staat“ und „Start-up“ fungiert, Märkte erkundet und so die Weichen für die gemeinsame Projektarbeit stellt. Hamburg hat zum Beispiel mit der erwähnten GovTecHH im Jahr 2022 eine solche Start-up-Einheit ins Leben gerufen.
    • Neues wagen: Damit neue Lösungen gemeinsam mit Start-ups umgesetzt werden, braucht es von Entscheidungsträgern in der Verwaltung zuallererst Mut und Lust darauf, neue Wege zu gehen. Dazu gehört auch eine neue Fehlerkultur. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass eine Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Gründerszene meist dann entsteht, wenn sie von einer innovativen Amts- oder Behördenleitung gewollt und vorangetrieben wird.
    • Der Wille zählt: Unabhängig von den oben beschriebenen Reformen bietet das Vergaberecht bereits heute zahlreiche Möglichkeiten, Start-ups besser zu berücksichtigen. Hierzu zählen die Auswahl passender Eignungs- und Zuschlagskriterien, eine möglichst lösungsoffene Ausschreibung mittels „funktionaler Leistungsbeschreibungen“ oder die Durchführung von Markterkundungen, um innovative Lösungen zu identifizieren.

    Lesen Sie dazu auch unsere Artikelserie „Start-ups und Verwaltung Hand in Hand“. Im ersten Teil erläutern wir, wie Start-ups und Verwaltung voneinander profitieren können. In Teil 2 zeigen wir auf, dass das Vergaberecht dabei keine Hürde sein muss. Im 3. Teil nehmen wir die Rolle von Start-ups auf dem Weg zu smarten Städten in den Blick. Teil 4 behandelt die Rolle von Start-up-Einheiten in der öffentlichen Verwaltung.