Zwei Menschen mit gelben Helmen laufen zwischen Containern umher und unterhalten sich.

Der Weg zur selbstheilenden Lieferkette

Wie Unternehmen die langfristige Resilienz ihrer Supply Chain erhöhen.

Die Resilienz der Lieferkette ist ein entscheidender Faktor für Unternehmen, um Störungen zu bewältigen und die Kontinuität ihrer Geschäftstätigkeit zu gewährleisten. Traditionelle Praktiken des Lieferkettenmanagements stoßen jedoch oft an ihre Grenzen, insbesondere bei unerwarteten Ereignissen wie Naturkatastrophen, Cyberangriffen und Pandemien. Hier kommt das Konzept der selbstheilenden Lieferketten ins Spiel.

Wir beobachten bei unseren Kunden eine verstärkte Nachfrage nach Initiativen für eine widerstandsfähige Lieferkette. Diese gesteigerte Nachfrage führt in der Regel zu spezifischen operativen Maßnahmen, zum Beispiel Task Forces für einzelne Engpässe oder taktische Initiativen wie mehr Supplier-Diversität im Sourcing, ChinaPlusOne-Strategie etc.

Grundlegend sollten jedoch auch der Reifegrad der Lieferketten und der dafür benötigten Systeme, Prozesse und Organisationen in einer langfristigen Resilienz-Strategie mit bedacht werden. Hierbei sehen wir die selbstheilende Lieferkette als Zielbild und mit den aktuellen technischen Mitteln sogar erreichbar.

Eine selbstheilende Lieferkette ist die fortschrittlichste Form des Lieferkettenmanagements

Im Gegensatz zu traditionellen Lieferketten, die auf menschliche Planung und Intervention zur Lösung von Problemen angewiesen sind, sind selbstheilende Lieferketten so konzipiert, dass sie Probleme automatisch erkennen und lösen. So können Ausfallzeiten reduziert und die Auswirkungen von Störungen minimiert werden. Sie ist ein dynamisches und agiles System, das mithilfe von Technologie und Daten Störungen vorhersagen und darauf reagieren kann.

Die fünf Evolutionsstufen für Lieferketten

  1. Grundlegendes Supply Chain Management:

Traditioneller Ansatz des Lieferkettenmanagements mit Schwerpunkten auf Prognose, Beschaffung, Produktion und Logistik. Es beinhaltet manuelle Prozesse und ist reaktiv.

  1. Integriertes Supply Chain Management:

Integration der verschiedenen Funktionen der Lieferkette wie Beschaffung, Produktion, Logistik und Verkauf. Es umfasst den Einsatz von Technologie wie ERP-Systeme, Warehouse Management, Transport- und Logistiksysteme, um Prozesse zu automatisieren und eine bessere Koordination zwischen verschiedenen Funktionen zu ermöglichen.

  1. Nachfragegesteuertes Supply Chain Management:

Verwendung der Kundennachfrage als primärer Treiber der Lieferkette. Es umfasst die Echtzeitüberwachung der Kundennachfrage und entsprechende Anpassung von Produktion und Logistik. Essenziell sind IT-Systeme für Nachfrageplanung und Prognosealgorithmen.

  1. Resilientes Supply Chain Management:

Aufbau einer Lieferkette, die widerstandsfähig gegen Störungen ist. Dazu dienen Risikomanagementstrategien wie die Diversifizierung von Lieferanten, der Aufbau von Redundanzen in der Lieferkette und die Vorhaltung von Notfallplänen. Es umfasst den Einsatz von Technologie wie Lieferketten-Sichtbarkeitsplattformen und Risikomanagementsoftware.

  1. Selbstheilendes Supply Chain Management:

Die fortschrittlichste Form des Lieferkettenmanagements. Sie nutzt Technologien wie KI, maschinelles Lernen und Automatisierung, um die Lieferkette in Echtzeit zu überwachen, Störungen zu erkennen oder sogar zu antizipieren (Predictive Analytics) und darauf selbständig zu reagieren. Demand-Supply- und Kapazitätsplanung sollten integriert und zeitnahe Neuplanung möglich sein. Reaktionen auf Veränderungen können über Robotic Process Automation (RPA) automatisiert veranlasst oder als Vorschläge an die Entscheidenden gehen.

Der Weg zur selbstheilenden Lieferkette

Der Schlüssel, um selbstheilende Fähigkeiten in einer Lieferkette zu etablieren, besteht darin, neuere Technologien wie das Internet der Dinge (englisch: Internet of Things, kurz IoT), künstliche Intelligenz und Blockchain zu nutzen und die herkömmlichen Prozesse damit zu erweitern oder auch neu zu denken. IoT-Sensoren können an verschiedenen Punkten in der Lieferkette eingesetzt werden. Damit lassen sich Echtzeitdaten zu Lagerbeständen, Lieferzeiten und anderen kritischen Faktoren sammeln. Diese Daten werden dann von KI-Algorithmen analysiert, die Anomalien erkennen und potenzielle Störungen identifizieren und gegensteuern, bevor sie auftreten.

Ein aktives Risikomanagement, das kritische Rohstoffe, Komponenten und ihre Lieferanten und Transportwege im Blick behält, kann die Reaktionsgeschwindigkeit der gesamten Lieferkette deutlich beschleunigen. So lassen sich beispielsweise Informationen von Nachrichtendiensten und Rückversicherern mit einbeziehen, um Naturkatastrophen an Produktionsstandorten der Lieferanten zu erkennen, noch bevor sie auftreten. Beispielsweise wird eine Überflutung am Verteilzentrum eines Halbleiter-Produzenten dessen Lieferfähigkeit zumindest kurzfristig beeinflussen und die globale Verfügbarkeit dieser Produkte mittelfristig verschärfen.

In den letzten Jahren haben wir vermehrt große Auswirkungen auf Lieferketten durch Unwetter, Unfälle, Konflikte, Sanktionen und Handelsbeschränkungen beobachtet. Es ist zu erwarten, dass sich diese Sondereinflüsse aufgrund des Klimawandels und globaler politischer Entwicklungen noch verstärken werden. Unternehmen sollten daher ein aktives Risikomanagement betreiben, um diese Risiken frühzeitig zu erkennen. Dazu gehört insbesondere, die Auswirkungen auf die eigene Lieferkette und die davon abhängigen Produktions- und Verteilprozesse zu verstehen. Selbstheilende Systeme sollten Risiken bewerten und bei hoher Wahrscheinlichkeit und hohen erwarteten Auswirkungen frühzeitig aktiv gegensteuern.

Die Umsetzung einer selbstheilenden Lieferkette in der Praxis

Das Idealbild einer selbstheilenden Lieferkette ist für viele Unternehmen als Ziel noch in weiter Ferne. Die meisten Unternehmen stehen aktuell zwischen den Evolutionsstufen 2 und 3. Verschiedene Supply-Chain-Silos wie Einkaufsmanagement, Produktionssteuerung, Lagerverwaltung und Transportmanagement sind mehr und mehr integriert. Eine Ende-zu-Ende-Planung lässt sich zumindest zu Anfang abdecken und teils auch an kurzfristige Ereignisse anpassen. Dies kann man in den vergangenen Jahren beispielsweise am rasanten Anstieg der Implementierungen von SAP IBP (Integrated Business Planning), einer cloudbasierten Lösung für die Supply-Chain-Planung, erkennen.

Herausforderungen auf dem Weg zu einer selbstheilenden Lieferketten

Das größte Hindernis zu einer resilienten und dann selbstheilenden Supply Chain liegen in den meisten Fällen noch in den heterogenen Systemen und den noch nicht an dieses Konzept angepassten Organisationen und Prozesse. Zusätzlich mangelt es meist an der Verfügbarkeit von Daten. Intern lässt sich das im Laufe der Zeit durch stärker integrierte Systeme verbessern, durch einheitliche Datenmodelle und das Wachstum der Analytics-Fähigkeiten des Unternehmens.

Externe Informationen speziell zu Lieferanten, deren Lieferanten, ihren internen Prozessen und sich abzeichnenden Engpässen sind jedoch schwerer zu erhalten. Vertragliche Regelungen, Einkaufsportale und aufstrebende Business-Netzwerke versuchen hier jedoch alle, ihren Beitrag zu leisten. Angesichts des in Deutschland nun bestehenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und ähnlicher erwarteter Regelungen in EU und USA konzentrieren sich mehr und mehr Anbieter darauf, transparente Daten zu Lieferanten, ihren Produkten, Lokationen, Zulieferer und daraus resultierenden Risiken zu sammeln.

Selbstheilende Lieferketten erfordern die Organisation und Mitarbeitende

Neben diesen rein informations- und systemseitigen Herausforderungen erfordert eine selbstheilende Lieferkette jedoch vor allem die Bereitschaft der Organisation und der Mitarbeitenden, diese auch einzusetzen, ihr zu vertrauen und sich auf den Mechanismus einzulassen.

Bei vielen Mitarbeitenden besteht die Angst, durch solche Veränderungen wegrationalisiert zu werden. Durch ein exzellentes Change-Management können derartige Befürchtungen eingefangen werden. Denn Unternehmen, die Erfahrungen mit sich selbst regulierenden Systemen machen wollen, benötigen Fachkräfte, die kontrollierend eingreifen und die Mechanismen optimieren. Dieses sind interne Expert:innen, denen Visionen für die zukünftige Arbeitswelt aufgezeigt werden können. Menschen in der Einkaufsdispo, in Logistik oder Lager können so selbst erleben, wie ihre zukünftige Tätigkeit mit einem neuen System aussieht. Change-Management sollte hier nicht nur als Kommunikation, sondern als aktiver Organisations- und Strukturumbau verstanden und aktiv begleitet werden.

Eine selbstheilende Lieferkette erkennt automatisch und schnell interne und externe Störungen

Zum Beispiel könnte die Lieferkette Knappheit eines bestimmten Rohstoffs automatisch erkennen, alternative Lieferanten suchen, Bestellungen entsprechend ändern und Lieferungen umdisponieren. Bei Maschinenausfällen sollte auf alternative Produktionsmethoden oder andere Produktionslinien oder Werke umgestellt und die Logistik und Materialflüsse entsprechend angepasst werden. Auch bei Lagerengpässen könnte die Lieferkette automatisch alternative Lagerorte suchen und die Logistik entsprechend verändern.

Erste Schritte zur selbstheilenden Lieferkette

Es ist ein langer Weg bis zur selbstheilenden Supply Chain mit zahlreichen großen Themen. Aber viele bereits laufende Initiativen, die wir bei unseren Kunden sehen, zahlen natürlich in dieses Thema ein, zum Beispiel:

  • Lieferanten-Diversifikation
  • Digitalisierung und Prozesstransformation in SCM
  • Automatisierung und Einbindung von KI in Kapazitätsplanung- und Steuerung
  • Transparenz in Einkauf, Logistik- und Transportplanung
  • Konzernweite Standardisierung der Prozesse und Systeme
  • Lieferanten-Transparenz und Risk-Management zu LkSG, ESG, CSRD, etc.