Wie weiter mit China? Diese Frage stellt sich der deutschen Politik und Wirtschaft weiterhin, denn geopolitische Störfälle sind zur neuen Normalität geworden und die Fehler im Umgang mit Russland sollen nicht wiederholt werden. China ist für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig. Mit 253 Milliarden Euro Handelsvolumen war war China 2023 bereits zum achten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner, wenngleich das Handelsvolumen erstmals rückläufig war und seit 2022 ein deutlich steigendes Exportdefizit zu Lasten Deutschlands festzustellen ist.
Der Blick auf China hat sich seit Russlands Invasion in der Ukraine verändert. Dazu tragen die Hinwendung Chinas zu Russland, die anhaltende Taiwan-Problematik und Chinas steigende Militärausgaben bei. Hinzu kommt die nachhaltig angespannte wirtschaftliche Lage Chinas.
Beim G7-Gipfel im Mai 2023 haben die westlichen Industriestaaten ihren Ton gegen China erstmals gemildert: Dort wurde eine adjustierte China-Strategie beschlossen, die nicht darauf abziele, China zu schaden oder seinen wirtschaftlichen Fortschritt zu vereiteln. „Kein Decoupling, aber ein kluges Derisking“, wurde Bundeskanzler Olaf Scholz in Medienberichten im Mai 2023 zitiert. Und auch im April 2024 blieb Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking in seinen Gesprächen mit Präsident Xi dieser Linie treu: Er machte deutlich, dass er kein Decoupling von China will, sondern dass China weiterhin ökonomisch Erfolg hat.
Derisking statt Decoupling: Begriffswechsel ist „window-dressing“
Der Westen versucht, mit der Ersetzung des Begriffs Decoupling durch Derisking in der gegenwärtig angespannten geopolitischen Debatte ein Signal der Entspannung und Deeskalation an China zu senden – ohne aber den Druck auf China zu mindern, sich marktwirtschaftlich und nach den bestehenden Grundprinzipien und Regeln in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu halten.
Ich betrachte dies als Versuch, das Narrativ zu ändern, sodass China den Westen nicht weiter als Aggressor darstellen kann und um die Medienberichterstattung im Westen zu mäßigen, um nicht eine „self-fulfilling prophecy“ herbeizureden. Letztlich betreibt der neue Begriff aber lediglich „window-dressing“ – inhaltlich bedeutet Derisking dasselbe wie Decoupling.
Der Umgang mit China ist nachvollziehbar
Die hinter beiden Begriffen steckende Kritik ist nachvollziehbar. Der Westen kann nicht tolerieren, dass China permanent die weltwirtschaftliche Grundordnung untergräbt und nach eigenen Regeln spielt.
Zudem drängt China immer mehr in eine Führungsrolle als globale Weltmacht – definiert sich gleichzeitig in vielen internationalen Organisationen wie der WTO, dem IWF oder bei den Weltklimakonferenzen COP aber bis heute als „Entwicklungsland“, um sich so Privilegien im Handel bzw. beim Klimaschutz zu sichern. Dazu zählen beispielsweise längere Fristen bei der Umsetzung von Abkommen oder das Ansinnen, sich am Klimafonds nicht beteiligen zu müssen (sondern gar Anspruchsberechtigter zu sein). Auch an der Rüstungskontrolle nimmt China nicht teil.
Ebenso ist es legitim und vernünftig, dass die westlichen Industriestaaten ihre Wettbewerbsfähigkeit, ihre eigenen Marktstärken und USPs schützen und weiterentwickeln sowie hierfür Strategien entwickeln und umsetzen. China agiert nicht anders.
Ein Rückzug ist keine Option
Grundsätzlich gilt weiterhin: Der Begriff „Decoupling“ führt in die Irre. Die westlichen Industriestaaten streben definitiv keine Entkopplung von China an. Eine solche Abschottung wäre mit deutlich höheren Kosten und unter dem Strich mit enormen Wohlstandsverlusten verbunden. Es existieren keine anderen Märkte, die das Geschäft bei einem Ausstieg aus China auch nur annähernd kompensieren könnten. Die Volksrepublik ist schlicht zu groß, um dort nicht aktiv zu sein. Und nur wer vor Ort ist, kann an den dynamischen technischen Innovationen in China (z.B. digitale Geschäftsmodelle, KI, Massendatenanalysen usw.) teilhaben.
Das wirtschaftliche Umfeld und die Stimmung deutscher Unternehmen in China hat sich jedoch erneut deutlich verschlechtert, wie der Business Confidence Survey 2023/24 der deutschen Außenhandelskammer in China und auch der Business Confidence Survey 2024 der EU-Handelskammer in China deutlich zeigen.
Debatte über Investitionsverbote
Es besteht die Gefahr, dass die Politik im Westen den Handlungsspielraum der Wirtschaft zunehmend einschränkt. In der EU-Kommission wird über staatliche Kontrollen und gegebenenfalls Verbote von Investitionen europäischer Unternehmen in China diskutiert – für solche Beschränkungen existiert bisher keine gesetzliche Grundlage. Die US-Regierung arbeitet bereits an einem Gesetz, das staatliche Eingriffe in Auslandsinvestitionen möglich macht. Dies sind aus meiner Sicht irritierende Schritte, die sich ausschließlich auf die Vermeidung von Risiken fokussieren.
Die Politik thematisiert Kooperationsaspekte unzureichend
Auch die China-Strategie der Bundesregierung ist in dieser Hinsicht einseitig – es fehlen Kooperationsaspekte und ein Blick auf die Chancen der Zusammenarbeit. Zudem sollte Deutschland die eigenen Wirtschaftsinteressen deutlich aktiver vertreten, so wie das jedes Land macht. Außenpolitik darf nicht ausschließlich dogmatisch agieren und „nur“ Werte thematisieren, sondern muss auch immer interessengeleitet sein.
Hinzu kommt: Deutschland und die EU brauchen neben einer vernünftigen China-Strategie eine umfassende Asien- und auch eine US-Strategie. Die USA verfolgen ebenfalls Eigeninteressen, die teilweise von denen der EU und Deutschlands abweichen. Schließlich verfolgt die US-Regierung auch unter Präsident Joe Biden eine gegenüber Europa eher protektionistische Linie, die etwa im Inflation Reduction Act ihren Ausdruck fand. Dies gilt es zu berücksichtigen – zumal in den USA der Wahlkampf 2024 vor der Tür steht, in dem Demokraten wie Republikaner auch darum wetteifern werden, wer die härtere Haltung gegenüber Peking vertritt.
Wo positioniert sich Europa zwischen den USA und China?
Die Herausforderung ist groß: Die Europäer sind gefordert, einen Weg zu finden, sich aus der bipolaren Logik zu befreien, wonach sie sich zwischen dem US-amerikanischen und dem chinesischen Wirtschaftsbereich entscheiden müssten. Da ist die strukturelle Verschiebung im Denken der hiesigen Politik und Wirtschaft – ein deutlich größeres Interesse an Asien als Region statt nur an China – ein wichtiger und richtiger Ansatz, den man auch in den asiatischen Ländern wahrnimmt.
Europa sollte angesichts seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke selbstbewusst genug sein, eine gewisse Äquidistanz zu wahren, und eine gestaltende Rolle für neue supranationale Strukturen einnehmen, etwa durch Handelsabkommen mit Indien, Südkorea oder ASEAN. Eine stärkere Diversifizierung, aber keine Abkopplung, sowie eine stärkere EU-Integration – das ist der richtige Weg.