Business in Japan: Die Skyline von Tokyo am Morgen.

Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zu Japan „wachgeküsst“

Interview: Welche neuen Chancen bieten sich deutschen Unternehmen in Japan?

Japan war in jüngerer Vergangenheit eher selten ein Schwerpunkt von Investitions- und Expansionsstrategien deutscher Unternehmen. Das ändert sich, wie die Geschäftsklimaumfrage „Economic Outlook – German Business in Japan 2023“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan (AHK Japan) und KPMG in Deutschland zeigt. Die Relevanz des Standorts steigt deutlich: Japan ist mehr als nur Absatzmarkt und punktet trotz mancher Herausforderung in unsicheren Zeiten nicht nur mit Stabilität.

Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business bei KPMG in Deutschland, spricht im Interview mit Marcus Schürmann, dem geschäftsführenden AHK-Vorstand, über die Hintergründe des bemerkenswerten Trends.

Andreas Glunz: Herr Schürmann, Sie sind seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnte in Japan aktiv. Können Sie uns zum Einstieg einige Fakten zum Vergleich zwischen Japan und Deutschland nennen?

Marcus Schürmann: Japan hat rund 125 Millionen Einwohner und ist bezogen auf die Bevölkerungszahl 1,5-mal so groß wie Deutschland – flächenmäßig gibt es dagegen keine großen Unterschiede. Der demografische Wandel ist in Japan ein heißes Thema, denn das Durchschnittsalter liegt bei 48,7 Jahren. Deutschland liegt mit 45 Jahren aber nicht allzu weit dahinter. Japan als drittgrößte und Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind zudem sehr exportorientiert. Einerseits stehen die beiden Länder also immer wieder in Konkurrenz zueinander, andererseits gibt es etliche Kooperationsprojekte. Es sind also sehr facettenreiche Beziehungen. Japan ist zudem das Land mit der höchsten Staatsverschuldung der Welt: 263 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist ein gewaltiger Wert. Deutschland liegt im Vergleich bei eher bescheidenen 60 Prozent. Ebenfalls interessant ist das Thema Inflation: Diese liegt in Japan bei rund zehn Prozent. Preissteigerungen vor allem im Energiesektor sind in Japan massiv. Die Strompreise sind in den vergangenen Monaten um 20 Prozent gestiegen.

Andreas Glunz: Jüngst wurde zum sechsten Mal die Geschäftsklimaumfrage der AHK Japan zusammen mit KPMG in Deutschland veröffentlicht. Ein Ergebnis der Umfrage ist, dass Japan in deutschen Konzernzentralen deutlich an Aufmerksamkeit gewinnt. Warum ist das so?

Marcus Schürmann: Man muss sich bei der Beantwortung dieser Frage die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre anschauen. Die Folgen von Fukushima oder der Ära Trump in den USA haben dazu beigetragen, Japan aufzurütteln. Das Land hat sich neu positioniert. Gleichzeitig war die Regierung in dieser Zeit unter Premierminister Shinzo Abe sehr stabil, da er alles darangesetzt hat, Japan auch global wieder neu auszurichten. In diesen Jahren wurden Freihandelsabkommen mit hohem Tempo verabschiedet und umgesetzt. Das hat dazu geführt, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Japan wieder ein bisschen wachgeküsst worden sind. Das gegenseitige Interesse ist gestiegen und vor diesem Hintergrund haben auch die Konzernzentralen in Deutschland zunehmend auf Japan geschaut und sich gefragt: Gibt es Handlungsbedarf? Japan ist nicht zuletzt ein Wertepartner, der in den Indopazifik-Leitlinien der Bundesregierung deutlich herausgestellt wurde.

Andreas Glunz: Die Anzahl geopolitischer Störfälle und Risiken hat indes ebenfalls deutlich zugenommen. Die deutsche Wirtschaft ist sich ihrer Abhängigkeit insbesondere von China bewusst und versucht, sich zu diversifizieren. Weshalb ist gerade Japan für deutsche Unternehmen so interessant?

Marcus Schürmann: Die deutsche Wirtschaft schätzt die politische, ökonomische und soziale Stabilität des Landes. Wir haben in der Umfrage gesehen, dass 96 Prozent der befragten Unternehmen Japan als einen Garanten für stabile Geschäftsbeziehungen halten. Das ist eine große Wertschätzung. Das Bild von Japan hat sich zudem verändert und vor allem erweitert. Wir sprechen schon seit Jahren vom Drittmarkt-Geschäft. Das ist ein sehr strategisches Thema, das sich nicht nur auf Japan als Absatzmarkt bezieht. In den vergangenen vier Jahren haben wir 36 Projekte deutsch-japanischer Zusammenarbeit identifiziert, die auf Drittmärkten realisiert worden sind. Besonders im Fokus sind die Branchen Automotive, Energie, IT und Infrastruktur. Ich halte das für eine signifikante Zahl. Interessant ist auch, dass in der aktuellen Umfrage 66 Prozent der Unternehmen angegeben haben, mit japanischen Partnern außerhalb des Landes zu kooperieren. Damit haben wir einen Wert erreicht, der bereits über dem Wert vor der Coronapandemie liegt. Eine sehr spannende Entwicklung.

Andreas Glunz: Japan wird den Studienergebnissen zufolge auch für den Einkauf als Sourcing-Standort wichtiger. Im Vergleich zum Vorjahr nutzen deutsche Unternehmen den direkten Zugang zu innovativen Lieferanten aus Japan um neun Prozent mehr. Was macht die Attraktivität des Einkaufs in Japan aus?

Marcus Schürmann: Für deutsche Unternehmen stellt sich die Frage, in welchen Ländern außerhalb Chinas Qualität, Lieferfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit beim Einkauf gewährleistet sind. Da kommt man unweigerlich auf Japan. Die Solidität des Landes spielt dabei eine große Rolle. Der Einkauf in Japan garantiert Sicherheit und Qualität. Es werden stabile Beziehungen genutzt und neben dem klassischen Ansatz, nach Japan zu exportieren, eröffnet sich damit eine neue Perspektive.

Andreas Glunz: Welche Chancen bieten sich Unternehmen, die sich auf Japan fokussieren?

Marcus Schürmann: Aus der Umfrage geht hervor, dass sich insgesamt 20 Prozent der Unternehmen stärker mit Japan befassen. Dabei können beispielsweise einzelne Funktionen der Unternehmen verlagert werden, darunter Produktion, Forschung, Entwicklung oder auch Sales. Im Hinblick auf die Produktion ist ein interessanter Fakt, dass die Lohnkosten in Japan rund 25 Prozent unter denen Deutschlands liegen. Auch die Lohnstückkosten liegen im G7-Vergleich am unteren Ende. Man darf nicht vergessen, dass die japanische Regierung außerdem mit milliardenschweren Förderprogrammen Investoren anlockt. Die wesentliche Bedingung ist, dass die Produktion ungefähr zehn Jahre tatsächlich im Land bleibt. Das scheint mir auf den ersten Blick sehr überlegenswert zu sein. Hinzu kommt, dass sich der japanische Yen in den vergangenen vier Jahren weiter abgewertet hat und dadurch insbesondere der Einkauf günstiger geworden ist.

Andreas Glunz: Die Umfrage zeigt auch, dass deutsche Unternehmen einige Herausforderungen am Standort im Blick behalten sollten. Was gilt es besonders zu beachten?

Marcus Schürmann: Eines der größten Probleme ist aktuell ein sehr operatives, nämlich die Rekrutierung von Personal. Wie auch die Geschäftsklimaumfragen der Vorjahre gezeigt haben, hat sich die Situation zuletzt immer weiter verschärft. 84 Prozent der Unternehmen sehen hier ein signifikantes Problem. Natürlich hat das auch Einfluss auf das Wachstum und die Entwicklung der Unternehmen. Der demografische Wandel ist nicht aufzuhalten, weshalb sich auf der einen Seite die Unternehmen, auf der einen Seite aber auch die staatlichen Stellen mit diesem Thema befassen müssen. Die deutsche Seite könnte zur Lösung dieses Problems mit ergänzenden Ideen beitragen.

Andreas Glunz: Was kann Japan von deutschen Lösungsansätzen lernen? Arbeitskräftemangel ist auch in Deutschland ein Thema.

Marcus Schürmann: Wie eingangs festgestellt, haben Deutschland und Japan ähnliche Altersstrukturen, wobei Japan durch den engen Markt in vielerlei Hinsicht durch strukturelle Rahmenbedingungen eingeschränkt ist. Die duale Ausbildung könnte aber neben der Rekrutierung von Nachwuchskräften in Unternehmen auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Immigration ist dagegen in Japan nicht prioritär bei der Findung von Lösungen in dieser Fragestellung.

Andreas Glunz: Welche Ratschläge würden Sie deutschen Unternehmen aktuell geben, die sich näher mit Japan befassen möchten?

Marcus Schürmann: Eine gute Vorbereitung ist es, sich gründlich mit Marktinformationen zu versorgen. Es dauert erfahrungsgemäß lange, in den Markt hineinzukommen, aber es dauert auch lange, wieder herauszufliegen. Die Sprache ist eine Hürde. Man sollte generell darauf achten, dass man finanzielle und personelle Ressourcen vorhalten muss. Ausdauer ist erforderlich. Des Weiteren sollte man frühzeitig klären, ob man am Standort nur den lokalen Markt bedienen möchte oder ob man dem japanischen Markt eine strategische Bedeutung beimisst, die über das Land hinausgeht. Klar ist: Eine Tätigkeit in Japan unterscheidet sich signifikant von Tätigkeiten in anderen Ländern.

Andreas Glunz: Und wie steht es um das Deutschland-Bild in Japan? Welche Themen dominieren bei der öffentlichen Berichterstattung?

Marcus Schürmann: Grundsätzlich werden die deutsche Wirtschaft und Deutschland als Land sehr positiv bewertet. Aktuell wird jedoch auch häufiger über die deutschen „Klimastreiks“ berichtet, insbesondere die sogenannten Klimakleber. Deren Aktionen sind in Japan unvorstellbar und diese Entwicklungen werden mit einer gewissen Skepsis beäugt. In gewissem Maße kann das reputationsschädigend für Deutschland sein, da es dem Auftritt und der globalen Präsenz unseres Landes schadet.

  • Podcast: Andreas Glunz und Marcus Schürmann im „International Business Talk“ – hier können Sie jetzt reinhören.