Die deutsche Energiewirtschaft - ein beispielloser Strukturwandel

RWE und E.ON setzen Maßstäbe bei der Neuausrichtung ihrer Geschäftsmodelle.

Wenn es in der deutschen Unternehmenslandschaft einen Klassenprimus in Transformation gäbe, dann könnte die Energiebranche diese Position fraglos für sich in Anspruch nehmen. Die letzten Jahre haben gezeigt: Die Musterschüler unter den Energieversorgern tun sich durch fortgesetzte strategische und strukturelle Maßnahmen zur Neuausrichtung ihres Geschäfts hervor, um im schnellen Wandel der Energiewelt bestehen zu können.

Es wird deutlich, dass eine strategische Repositionierung nur durch strukturelle Veränderungen möglich ist. Die Energiewirtschaft hat verstanden, dass deutsche Konzerne den Schritt zu notwendigen und tiefgreifenden Reformen nicht verweigern dürfen. Nur so können sie auf zukünftige Herausforderungen flexibel und innovativ reagieren.

Umfassender RWE-E.ON-Deal

So ist sicherlich auch der Deal zwischen RWE und E.ON zu verstehen, den die beiden Energieriesen vor Kurzem bekannt gaben und mit dem sie eine weitere Zäsur in der Energiewende markieren.

Die Spitzen von E.ON und RWE einigten sich darauf, dass E.ON die RWE-Tochter innogy übernimmt und im Gegenzug das Erneuerbare-Energien-Geschäft von innogy sowie den weitgehenden Teil seines eigenen Erneuerbaren-Bereichs dafür eintauscht. Außerdem steigt RWE mit einem Anteil von 16,67 Prozent per Kapitalerhöhung bei E.ON ein und bekommt das innogy-Gasspeichergeschäft, die Minderheitsbeteiligungen an den Kernkraftwerken Emsland und Gundremmingen sowie am österreichischen Energieversorger Kelag. Zusätzlich erhält E.ON im Rahmen der vollständigen Transaktion eine Barzahlung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro.

Mit dieser Transaktion leiten die beiden Marktführer eine weitere Phase ihrer Transformation ein und geben den neuen Weg der Branche vor.

Neu-Definition der Geschäftsbereiche

Für RWE bedeutet der Schritt eine drastische strategische Kurswende. Noch 2016 hatte das Unternehmen die Geschäftsbereiche der digitalen Energiewende in das Tochterunternehmen innogy abgespalten: die Netze, den Vertrieb und die erneuerbaren Energien. Nun holt der Konzern die erneuerbare Erzeugung wieder unter das eigene Dach und wird durch die Transaktion mit einem Schlag zum drittgrößten Öko-Stromproduzenten Europas. Damit schärft RWE seine Positionierung als Einzelunternehmen am Markt.

E.ON verabschiedet sich zugunsten von RWE von einem Großteil seines Wind- und Solargeschäfts. Mit geplanten 50 Millionen Kunden und einem der längsten Netzsysteme Europas konzentriert E.ON seine Geschäftsaktivitäten künftig auf die Bereiche Netze und digitale Kundenlösungen; beides Kernbereiche der digitalen Transformation und der neuen Energiewelt.

Veränderung als erfolgreiche Strategie

RWEs langfristige Strategie wird es sein, die Projektpipeline für erneuerbare Energien kontinuierlich auszubauen und damit gleichzeitig auf einen weltweiten Wachstumsmarkt zu setzen. Parallel sorgen ein flexibler Kraftwerkspark und eine effiziente Handelsplattform für Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Energiewende.

Auch für E.ON wird der Trend zu nachhaltiger und dezentraler Erzeugung verbunden mit den neuen digitalen Möglichkeiten zu einem Wachstumsmarkt. Verteilnetze müssen immer stärker auf multidirektionale Fließrichtungen eingestellt werden, und die Digitalisierung wird zukünftig das Engpassmanagement weiter optimieren. Auch die Elektromobilität und Kundenlösungen wie Smart Home, Peer-to-peer-Netzwerke und das Internet der Dinge (IoT) sind denkbare Bereiche, in denen für E.ON durch die Übernahme von innogy innovative Informationssynergien entstehen können.

Es wird also schnell deutlich: Beide Unternehmen setzen ihren eingeschlagenen Weg einer Fokussierung konsequent fort. Die im Energiesektor noch bis vor Kurzem geltende Trennung in „alt“ und „neu“, „konventionell“ und „erneuerbar“ erscheint überholt. Eine Aufteilung und Fokussierung der bisher vertikal-integrierten Energieplayer auf einzelne, gezielte Bestandteile der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette – Erzeugung, Handel, Netz und Vertrieb – scheint das neue Erfolgsmodell zu sein.

Das führt zu einer effizienteren Leistungserbringung und zu gezielten Investitionen in maßgeschneiderte Innovationen und Lösungen, was wiederum Zukunftsfähigkeit und Kosteneffizienz gewährleistet. Zusätzlich sichert eine konsequente Ausrichtung am Zielmarkt gradlinige Finanzierungsmöglichkeiten.

Wie geht‘s weiter?

Größte Herausforderung dürfte nun der Carve-out der erneuerbaren Geschäftsaktivitäten von E.ON und die Integration von innogy in den E.ON-Konzern sein.

Nicht zuletzt sind die Begleitung und das Umdenken derjenigen Mitarbeiter von innogy und E.ON, die nun jeweils Teil des jahrzehntelangen Hauptkonkurrenten werden, von erfolgsentscheidender Bedeutung. Für sie ist – wie für etliche andere auch – sicherlich erstmal nicht ganz leicht nachzuvollziehen, dass innogy, das öffentlichkeitswirksam die neue Energiewelt repräsentieren sollte und erst 2016 an die Börse gebracht wurde, nun erneut umstrukturiert wird. Mit der Integration in die Unternehmensgruppen von E.ON bzw. RWE verschwindet innogy als eigenständiges Unternehmen nach kurzem Auftritt wieder von der energiewirtschaftlichen Bühne.

Doch letztlich wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass nur durch eine klare Aufgabenverteilung und zielführende Kooperationen deutsche Versorgungsunternehmen eine Chance haben, im Wettbewerb eine hinreichend gute Positionierung im europäischen Energiemarkt zu erlangen. So werden sie in der Lage sein, Deutschland auf dem Weg der Energiewende besser unterstützen und auch im Ausland stärker für eine nachhaltige Energiewirtschaft nach deutschen Vorbild werben zu können.