Seit dem 24. Februar 2022 herrscht in der Ukraine Krieg. Die Auswirkungen spüren Europa und gerade Deutschland unmittelbar. Die Sicherheit der Energieversorgung ist aufgrund der gestiegenen Preise und reduzierter Gaslieferungen aus Russland mit Blick auf den kommenden Winter keinesfalls gesichert. Die deutlich gestiegenen Energiepreise wirken sich auf nahezu alle Wirtschaftszweige aus und verteuern die Produktion und Verarbeitung der deutschen Wirtschaft. Auch die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen ändern sich.
Deutschland ist bei der Energieversorgung stark abhängig von russischen Rohstoffen
Deutschland hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten stark abhängig von russischen Energieimporten gemacht. 2021 importierte Deutschland 55 Prozent seines Erdgases aus Russland. Bis Ende 2022 will Deutschland auf 70 Prozent seiner russischen Gasimporte verzichten. Das ambitionierte Ziel soll nach dem Willen der Bundesregierung durch alternative Bezugsquellen, aber auch durch den stärkeren und schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien bewerkstelligt werden.
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Angedacht sind unter anderem LNG („liquefied natural gas“)-Lieferungen aus Katar, eigene Gasförderungen aus der Nordsee sowie ausgeweitete Importe aus Skandinavien. Zudem sollen Industrie, aber auch Haushalte in Deutschland Energie einsparen. Zur Neuausrichtung der Energiewirtschaft novelliert die Bundesregierung den Rechtsrahmen durchgehend durch neue Gesetze und Verordnungen. Auch aus Europa kommen weitere Vorgaben.
Ein Überblick über die relevanten Gesetze und Neuerungen:
- Bereits am 30. April ist das neue Gasspeichergesetz, welches Änderungen in das Energiewirtschaftsgesetz einfügt, mit dem Ziel in Kraft getreten, die deutschen Gasspeicher bis Winterbeginn ausreichend zu füllen. Hier werden feste Füllstandsvorgaben gemacht sowie Finanzmittel bereitgestellt, die durch das am 21.07.2022 angekündigte weitere Energiesicherungspaket der Bundesregierung nochmals erweitert werden sollen.
- Das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) wurde in den letzten Monaten mehrfach novelliert. Präventiv werden der Bundesregierung weitreichende Handlungsmöglichkeiten bei einer Gefährdung oder Störung der Energieversorgung eingeräumt. Das Gesetz sieht unter anderem die Möglichkeit der Treuhandverwaltung von Unternehmen sowie die Enteignung von kritischer Infrastruktur als Ultima Ratio vor. Die wichtigsten Neuerungen brachte die zweite Novellierung vom 12.07.2022. Hier wurden die Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen erweitert, die Maßnahmen zu Energieeinsparungen schon vor dem Eintritt eines Krisenfalls oder einer Engpasslage erlauben. Neben diesen Verordnungsermächtigungen sieht das EnSiG auch Preisanpassungsmechanismen oder Umlageermächtigungen vor, die an enge Voraussetzungen geknüpft sind, in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen und nur bei ausdrücklicher Aktivierung durch die Bundesregierung greifen. § 29 EnSiG erlaubt finanzielle Stabilisierungsmaßnahmen von Unternehmen der kritischen Infrastruktur im Energiesektor, die notwendig sein können, um Markprozesse aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu vermeiden.
- Ein weiteres wichtiges Gesetzgebungsvorhaben ist das LNG-Beschleunigungsgesetz. Aktuell verfügt Deutschland noch nicht über ein Terminal, über das Flüssiggas angeliefert werden kann. Das Gesetz sieht einen Bürokratieabbau in Form einer eingeschränkten Prüfung im Genehmigungsverfahren für LNG-Terminals vor. Insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung, die in der Vergangenheit das Genehmigungsverfahren stark verlängert hat, soll vereinfacht werden.
- Durch das am 12.07.2022 in Kraft getretene Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz soll insbesondere der Gasverbrauch im Stromsektor reduziert werden. Befristet können damit Kraftwerke ans Netz geholt werden, für die ansonsten ein Verbot der Kohleverfeuerung in den Jahren 2022 und 2023 besteht. Die erste Rechtsverordnung auf Basis des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes zur sogenannten Netzreserve ist am 14.07.2022 in Kraft getreten. Damit können Steinkohlekraftwerke aus der Netzreserve seit dem 14.07.2022 in den Markt zurückkehren. Die Maßnahmen des Gesetzes sind bis zum 31.04.2024 befristet.
EU-Notfallplan Gas
Die EU-Kommission hat zudem am 20.07.2022 ihren neuen angepassten EU-Notfallplan Gas vorgestellt. Dieser Schritt wurde aufgrund der aktuellen Situation erforderlich, da die bestehende europäische Gas-SOS-Verordnung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Marktsituation nicht ausreichend Rechnung tragen konnte.
Der Notfallplan Gas, der am 26. Juli beschlossen wurde, gibt den Mitgliedstaaten das (freiwillige) Ziel vor, die Gasnachfrage im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 um 15 Prozent zu senken. Dies würde Verbraucherinnen und Verbraucher, Behörden, Eigentümer öffentlicher Gebäude, Energieversorger und Industrieunternehmen betreffen, die dann dazu angehalten wären, Gaseinsparmaßnahmen vorzunehmen. Die Europäische Kommission erhält zudem die Möglichkeit, nach Konsultation der Mitgliedstaaten einen „Unionsalarm“ für die Versorgungssicherheit auszurufen. Dadurch würde allen Mitgliedstaaten eine verbindliche Senkung der Gasnachfrage auferlegt. Der Unionsalarm kann ausgelöst werden, wenn ein erhebliches Risiko einer gravierenden Gasknappheit besteht oder die Gasnachfrage außergewöhnlich hoch ist.
Reaktion der Bundesregierung
Die Bundesregierung begrüßt die Pläne der EU-Kommission und hat als Reaktion angekündigt, den Gasverbrauch in Betrieben, Bürogebäuden und privaten Haushalten zu senken. Die Energie- und Effizienzmaßnahmen basieren dabei auf § 30 EnSiG. Dieser erlaubt es der Bundesregierung zur Vorsorge auch schon vor dem Krisenfall per Rechtsverordnung Maßnahmen zur Energieeinsparung zu treffen.
Für Industrie und Unternehmen soll unter anderem das „Gasauktionsmodell“ eingeführt werden. Eingesparte Verbräuche von energieintensiven Unternehmen, für die diese eine finanzielle Entlastung erhalten, können über die Lieferanten zur Stabilisierung des Netzes verwendet werden. Zu Beginn der Heizsaison 2022 können Anbieter über eine Regelenergie-Plattform des Marktgebietsverantwortlichen „Trading Hub Europe“ (THE) ihre Angebote zur Bereitstellung von Gasmengen einstellen. THE kann die Angebote dann im Fall eines Gasengpasses abrufen.
Entsprechend dem Vorschlag der EU-Kommission soll der Verbrauch in öffentlichen Gebäuden reduziert werden. So sieht das Energiesicherungspaket vor, die Heizung in Fluren, Foyers oder Treppenhäusern von öffentlichen Gebäuden oder Büros auszuschalten. Die Maßnahme wird auf sechs Monate begrenzt sein.