Energiewende: Ein Assistenztechniker in Uniform berührt Sonnenkollektoren bei Sonnenuntergang mit der Hand.

Energiewende-Interview: „Die Transformation geht nicht schnell genug“

Marco Nix, CFO von 50Hertz, spricht über die Herausforderungen der Energietransformation.

Wie entwickelt sich die Energiewende in Deutschland? Wie plant man die Netze der Zukunft? Welche Herausforderungen sind zu meistern und wie gehen Unternehmen des Energiesektors die notwendige Finanzierung an?

Darüber sprach unser Head of Energy & Natural Resources, Michael Salcher, beim KPMG Zukunftsgipfel mit Marco Nix, Geschäftsführer Finanzen (CFO) der 50Hertz Transmission GmbH. Das Unternehmen betreibt das Übertragungsnetz – also Stromnetze im Höchstspannungsbereich – in Ostdeutschland und Berlin sowie im Raum Hamburg, mit einer gesamten Stromkreislänge von rund 10.000 Kilometern. Das gesamte Gespräch können Sie hier als Aufzeichnung anschauen.

 

Michael Salcher: Kurz nach dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung hat ein schreckliches Ereignis uns vor Augen geführt, welche Abhängigkeiten vor allem in der Gaswirtschaft bestehen. Jetzt soll in vielen Bereichen, die vorher durch die Gaswirtschaft bedient wurden, diese durch Strom ersetzt werden. Es gibt zahlreiche Gesetzesvorgaben, zugleich gibt es weder einen richtigen europäischen Markt für Strom noch für Gas. Wie ordnen 50Hertz und Sie als CFO die aktuelle Situation ein?

Marco Nix: Sie haben sehr große Themen angerissen, die meiner Einschätzung nach auch in zehn Jahren nicht erledigt sein werden. Der Horizont der Bundesregierung ist die Sicherstellung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045, und mit diesem Horizont planen auch wir. Dagegen stehen die kurzfristigen Maßnahmen, die in der Krise ergriffen wurden, um Kapazitäten zu sichern und über den Winter zu kommen – zum Beispiel die Sicherung von Kohlekapazitäten, die dem Ziel einer klimaneutralen Stromerzeugung diametral entgegen steht. Das hat die Bundesregierung aus unserer Sicht pragmatisch gelöst.

So schrecklich das Ereignis in der Ukraine ist: Die Knappheitssignale haben dazu geführt, dass die Erkenntnis und die Bereitschaft zu mehr und erneuerbaren Kapazitäten sehr viel stärker gereift sind, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den politischen Entscheidungsträgern. Strom aus nachhaltigen Erzeugungsformen ist trotz aller Systemkosten, die diese im Umbau jetzt mit sich bringen, momentan mit am preisgünstigsten. Die Lösung im Stromsektor ist klar: Wir brauchen mehr Erneuerbare im System und mehr Erzeugungskapazitäten, und das möglichst schnell. 2045 ist nicht mehr lange hin.

„Der Transportbedarf nimmt zu“

Michael Salcher: Das Angebot an erneuerbaren Energien soll signifikant erhöht werden. Wir brauchen mindestens eine Verdreifachung. Für solche langfristigen Entscheidungen sind entsprechende politische und regulatorische Rahmenbedingungen notwendig. Sind wir da auf dem richtigen Weg und schaffen die Balance zwischen Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit in den Systemen?

Marco Nix: Momentan sehen wir ein sehr großes Momentum, das in einem Gleichklang zu tun. Es wurden sehr viele Gesetzesvorhaben beschlossen, die insbesondere der Beschleunigung dienen, also dem Ausbau der Erneuerbaren und auch der notwendigen Netze. Dies ist ein Beleg für die Anerkenntnis, dass man für die Erneuerbaren – trotz der immer wieder betonten Dezentralität – eine hinreichende Infrastruktur braucht, weil der Transportbedarf zunimmt. Denn jetzt wird nicht mehr verbrauchsnah produziert, sondern dort, wo es günstig ist und gute natürliche Konditionen dafür herrschen. Die Transformation geht nicht schnell genug. Daher verwundert es nicht, dass die Industrie unruhig ist und wissen will, wie lange es dauert und wann sie nachhaltig kalkulieren kann.

 „Wir sind nicht die einzigen auf der Welt, die eine Energiewende umsetzen“

Michael Salcher: Zunächst war die Gasknappheit das Thema. Jetzt geht es darum, den Wärmemarkt vor allem im privaten Sektor umzustellen. Das wird möglicherweise einen riesigen Strombedarf nach sich ziehen. Ein weiteres Thema ist die Elektromobilität, also die Dekarbonisierung im Verkehr. Gleichzeitig spielt die regionale Abdeckung eine wichtige Rolle. Wie schätzt man angesichts dessen den Strombedarf? Wie geht man als CFO vor, um eine Planung zu erstellen?

Marco Nix: Es liegt jetzt ein erster Entwurf des Netzentwicklungsplans mit dem Horizont 2045 vor, also mit dem Ziel eines klimaneutralen Netzes. Der Plan basiert auf einer größeren Systemstudie, bei der es um Fragen ging wie: Wie viel Elektrolyse erwarten wir an welchem Standort und wie viele Batteriespeicher? Wie hoch wird der Stromverbrauch sein usw.? Es ist das erste Mal, dass ein klimaneutrales Netz geplant wird. Bisher deckten die Planungen immer einen Horizont von ca. zehn Jahren ab; jetzt besteht die Hoffnung, das komplette Bild zu bekommen. Und dann rechnen wir als Unternehmen im Prinzip bei den für uns relevanten Vorhaben rückwärts, wann es notwendig ist, mit den Projekten zu beginnen.

Daraus ergeben sich dann auch die zu überwindenden Engpässe, etwa in Hinblick auf Personal und Material. Wir sind ja nicht die einzigen auf der Welt, die eine Energiewende umsetzen. Wir sehen das in den USA mit dem Inflation Reduction Act: Dort wird sehr viel getan, um den erneuerbaren Anteil zu steigern. Viele Länder haben Offshore-Wind als neue erneuerbare Ressource entdeckt, weil sie sehr verlässlich mit hoher Verfügbarkeit und skalierbar ist – insbesondere im Vergleich zur teils sehr kleinteiligen Photovoltaik (PV), auch wenn es in der Freiflächen-PV eine enorme Dynamik gibt.

„Dezentralität bedeutet nicht Autarkie“

Michael Salcher: Gibt es durch PV nicht auch eine gegenläufige, technologisch basierte Bewegung hin zu dezentraler Erzeugung und Versorgung? Wenn sich dadurch der Strom verbrauchsnah erzeugen lässt, könnte man das Übertragungsnetz vielleicht effektiver gestalten. Ist das ein Weg?

Marco Nix: Ja, und diesen Weg berücksichtigen wir auch. Aber das ist kein Gegensatz, denn Dezentralität bedeutet nicht Autarkie. Eine Vernetzung ist notwendig, damit in den Stunden, in denen Strom aus PV nicht verfügbar ist, sichergestellt ist, dass Strom aus anderen Erzeugungsarten an den Verbrauchsort gelangt. Richtig ist aber auch: Wir brauchen mehr PV, und die Akzeptanz dafür ist deutlich gestiegen. Es gibt auch noch Potenzial für Flächen, etwa im urbanen Raum. Aber es ist auch klar, dass eine Stadt wie Berlin sich nicht autark wird versorgen können, und schon gar nicht mit Solarflächen. Und das gilt natürlich auch für andere große Industriezentren in unserem Netzgebiet, sowie im Westen oder Süden.

Michael Salcher: Welche Rolle spielen Innovationen wie Speichermedien im Strombereich – nicht nur vor dem Hintergrund des Netzausbaus, sondern für die gesamte Versorgungssicherheit?

Marco Nix: Innovationen sind erforderlich, und wir planen auch damit. Im Netzentwicklungsplan ist ein Großteil an Batteriespeichern und Elektrolyse-Anlagen, die heute noch nicht vorhanden sind, bereits eingeplant. Auch im Netz selbst haben wir beispielsweise mit dem Gleichstrom-Leistungsschalter schon Elemente vorgesehen, die es heute noch nicht gibt. Wir gehen davon aus, dass die Technologien sich in den nächsten zehn Jahren so weit entwickeln, dass sie dann zur Verfügung stehen. Wir brauchen sie auch zwingend, um das Netz sicher betreiben zu können, denn durch die größeren Entfernungen und die größeren Unterschiede zwischen Last und Erzeugung bedarf es aktiver Steuerungselemente im Netz. Dazu kommt zudem, dass die Verbrauchsseite stärker verknüpft, flexibilisiert und digitalisiert wird. All das sind notwendige Bausteine für ein neues Energiesystem.

Hier das gesamte Interview als Aufzeichnung anschauen.

Im Interview sprechen Michael Salcher und Marco Nix außerdem über die Finanzierung der Transformation mittels Green Bonds, das Commitment der Stakeholder sowie die Kernaufgaben und Nachhaltigkeitsziele von 50Hertz. Schauen Sie sich hier die gesamte Aufzeichnung des Interviews an.

 

Weitere Klardenker-Beiträge zu den Themenfeldern Energie und Energiewende: