Ein Mann und eine Frau überprüfen eine große Solaranlage.

Was die notwendige Energiewende jetzt beschleunigen würde

„ESGeht nur gemeinsam“: Michael Salcher, Head of Energy & Natural Resources, im Interview.

Erneuerbare Energien statt fossiler Brennstoffe: Der Wandel, den Deutschland im Energiesektor in nur wenigen Jahren anstrebt, ist eine Mammutaufgabe, die immens komplexe Entscheidungen erfordert.

Die ökologische Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft wirft weitreichende Fragen auf. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, um Gerechtigkeit in vielerlei Hinsicht – und angesichts verschärfter Konkurrenz auf den Weltmärkten auch um die Reform bürokratischer Prozesse überall im Land.

Michael Salcher, Head of Energy & Natural Resources, erklärt im Interview, worauf es jetzt ankommt.

Herr Salcher, Fairness ist ein Schlagwort, das beim Thema Energiewende oft fällt. Worum geht es da genau?

Gleich mehrere Ursachen sorgten dafür, dass das Preisniveau auf den Energiemärkten deutlich angestiegen ist: Nachholeffekte nach der Corona-Pandemie, ein politisch gewollter Umbau des Versorgungssektors, der russische Angriffskrieg. Das trifft Unternehmen, Bund und Verbraucher gleichermaßen. Nun besteht Handlungsbedarf: Es gilt sicherzustellen, dass Lasten während des Transformationsprozesses gerecht verteilt werden. Es geht um nichts anderes als um soziale Sicherung, ein gewisses Wohlstandsniveau und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Wie macht sich das in der Praxis bemerkbar?

Mittelständische Unternehmen bestimmter Branchen sind stark betroffen. Die Profitabilität geht deutlich zurück, Insolvenzrisiken steigen – die Frage ist, wie lange das gut geht. Es gibt nicht wenige Firmen, die beispielsweise beim Energieeinkauf bisher fast wie Privatkunden agieren konnten: Sie bezogen alles bei „ihren“ Stadtwerken, sie dachten nicht an Wechsel. Brauchten sie auch nicht, denn weil Preise in der Vergangenheit nicht so stark schwankten, gab es Planungssicherheit. Im Spätherbst 2022 wussten nun aber einige Firmen noch nicht einmal, ob sie bei „ihren“ Stadtwerken überhaupt noch Verträge für 2023 erhalten.

Die Bundesregierung hat sich letztlich eingeschaltet…

…genau, es wurde ein Quasi-Anrecht durchgesetzt. Es geht dabei letztlich um die Aufnahme von Schulden, die gesamtgesellschaftlich zu tragen sind. Die Frage an uns alle ist: Wie sehr sind wir im Sinne der Standortsicherung, also nicht zuletzt der Arbeitsplätze, dazu bereit, unsere Gewohnheiten zu ändern, uns gegebenenfalls einzuschränken, bewusster zu leben und, so hart es klingt, den Preis zu zahlen?

Immerhin: Die Energiepreise sind jüngst wieder gefallen.

Die Frage, wie sich die Preise in den kommenden Monaten entwickeln werden, ist unmöglich präzise zu beantworten. Die Energiewirtschaft rechnet damit, dass sich die Versorgungspreise für Strom und Gas auf ein Niveau einpegeln, das doppelt so hoch ist wie das Niveau vor 2022. Preise im Energie-Großhandelsmarkt sind auch jetzt immer noch drei- bis viermal so hoch wie vor 2021. Steuern und Abgaben spielen hierbei auch eine große Rolle.

Wer ist eigentlich der große Profiteur der derzeitigen Gemengelage?

Wirtschaftlich gesehen sind es die USA, als Energieproduzent sowie -exporteur gleichermaßen. Das amerikanische Fracking-Gas ist sehr günstig, mancher Bundesstaat konnte seinen Haushalt dank der eigenen Rohstoffvorkommen in kürzester Zeit sanieren. Langfristig gesehen ist der Klimaschutz der große Gewinner – und hier sitzt Deutschland als einer der wichtigsten Spieler am Tisch. Wenn wir es schaffen, eine dezentrale Stromerzeugung flächendeckend zu errichten und auch die Umstellung der Gasversorgung auf wasserstoffbasierte Technologien und Produktionsprozesse umzustellen, wird dies ein Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften sein.

Inwiefern?

Wir sind unumkehrbar auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Ab 2038 sind nur noch Gas und erneuerbare Energien erlaubt, keine Kohle, keine Kernkraft – das ist ein ambitioniertes Ziel, das aber auch beispielhaft ist. Andere Länder folgen: In den USA und in China werden erneuerbare Anlagen projektiert und sogar mit Gesetzen flankiert, um die heimischen Industrien zu schützen. Auch der Infrastrukturausbau, für den noch Milliardeninvestitionen unausweichlich sind, schreitet voran. Hier gilt es zwischen Strom und Gas/Wasserstoff zu unterschieden. Ich gehe davon aus, dass eine dezentrale Stromerzeugung manche Investition in ein Stromtransportnetz einsparen kann. Technologie und Know-how haben wir in Deutschland an Bord, auch in Bezug auf Wasserstoff und Flüssiggas. Finanziell sind wir ebenfalls ausgestattet – es gibt also kein Zurück.

Beste Voraussetzungen also, um die Energiewende zeitnah hinzubekommen?

Zunächst geht es darum, realistisch zu bleiben. Die Belastungen auf Unternehmensseite sind enorm. Nicht nur Fachkräfte- und Materialienmangel sind große Herausforderungen. Probleme treten bereits auf, bevor Projekte umgesetzt werden können: Genehmigungsverfahren zogen sich hin. Bis vor kurzem dauerte es sechs bis acht Jahre, bis ein Solarpark in Betrieb ging – das bremst alles aus. Die Bundesregierung hat dies erkannt und beschleunigt behördliche Prozesse. Überdies stellen wir fest, dass die Bundesregierung in einem Tempo entsprechende Maßnahmen ergreift wie nie zuvor. Diese in Verbindung mit einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz werden sich noch lohnen: Es ist davon auszugehen, dass Deutschland auf einen Schlag in puncto Stromversorgung autark sein könnte, wenn alle Wind- und Solarparks, die sich in Genehmigungsverfahren befinden, heute ans Netz gehen würden.

Mit Liquiditätshilfen oder Garantien gab es jüngst positive Signale an die Industrie, zudem wurde der beschleunigte Ausbau von erneuerbaren Energien auf See und an Land beschlossen. Was wären weitere wichtige Aspekte, um Investitionen anzukurbeln?

Der finanzielle Aufwand wird weiter steigen, gleichzeitig steigt auch das Risiko von Fehlinvestitionen. Und ohne privates Kapital wird die Energietransformation nicht gelingen. Finanzierungsmodelle wie Public-Private-Partnerships sind also gefragt, die am besten in ein anreizerhöhendes Regulierungsregime eingebettet sind. Momentan sind Anreize, um beispielsweise in Strom- oder Wasserstoffinfrastruktur zu investieren, für den privaten Sektor teils nicht attraktiv genug. Geld zum Anlegen ist da – aber Geld hat beim Anlegen große Konkurrenz. Wir sollten bei unseren Angeboten insbesondere in der Regulierung nachbessern. Es kommt allerdings auch auf Hürden anderer Art an: Die Energiemarktregulierungen sind anzupassen. Unser Gasnetz ist beispielsweise hochmodern und wäre auch wasserstofftauglich. Aber das Umwidmen der Anlagen geht nicht so einfach, die Entscheidungsfindung dauert. Was hat Vorrang? Diese Frage ist jetzt zu beantworten.

Uns fehlt noch der Masterplan?

Ja, und das in einer Zeit, in der die ganze Welt auf Deutschland schaut. Wir haben hehre Ziele kommuniziert. Man sieht uns als Vorreiter, als Referenz. Die Welt fragt sich: Schaffen die das? Wir können die Aufgaben bewältigen, da bin ich sicher. Aber das geht nur gemeinsam.