ESG: Eine Person läuft durch ein öffentliches Verwaltungsgebäude.

Die öffentliche Hand braucht eine verpflichtende ESG-Berichterstattung

Warum messbare ESG-Ziele für den öffentlichen Sektor und seine Firmen unausweichlich sind.

Auf Wirtschaftsunternehmen wird auch dieses Jahr viel zukommen: Neben der Bewältigung multipler Krisen wie dem Ressourcen- und Fachkräftemangel sowie den immens gestiegenen Energiepreisen, drängen Regulatoren, Investoren und die Zivilgesellschaft auf die Integration konkreter und nachvollziehbarer Leistungsindikatoren und Ziele (KPIs) in die Unternehmensberichterstattung, die sich entlang der drei ESG-Nachhaltigkeitsdimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung orientieren. 

Gesamtgesellschaftlich und -wirtschaftlich wird die Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften auch 2023 das Megathema bleiben: Der aktuell veröffentlichte Global Risk Report 2023 des Weltwirtschaftsforums (WEF) zeigt, dass Umweltrisiken die Hälfte der zehn globalen Risiken ausmachen, die in den nächsten zwei Jahren als am schwerwiegendsten angesehen werden. Beim Zeithorizont von zehn Jahren gewinnen Umweltrisiken sogar noch mehr an Bedeutung und nehmen die ersten vier Plätze des Rankings ein. 

In diesem Zusammenhang ist die EU-Taxonomie-Verordnung in aller Munde. Sie ist ein direkter Ausfluss internationaler ökologischer und sozialer Abkommen wie dem Pariser Klimaschutzabkommen (COP21). Hier hatten sich Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, Transparenz durchzusetzen und „Kapitalströme in nachhaltige Aktivitäten zu lenken“, wie es wörtlich in der Abschlussvereinbarung heißt. 

EU bringt ESG-Maßnahmenpaket für klimaneutrale Zukunft auf den Weg

Dazu hat die Europäische Kommission die Herkulesaufgabe vollendet, einen Katalog aller Wirtschaftsaktivitäten aufzustellen und diese zunächst unter Kriterien des Klima-, Umwelt- und Naturschutzes inklusive der Biodiversität, nach „grünen“ Aktivitäten einzuordnen. Dieser Katalog soll zielgerichtete Investitionen für eine soziale und umweltgerechte Transition der Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft steuern. 

Um mehr Transparenz in die Märkte zu bringen, hat die EU außerdem die Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) auf den Weg gebracht. Alle diese Regelungen sind Teil des EU-Aktionsplans zu nachhaltigen Finanzen (EU Action Plan on Sustainable Finance), zu dem neben rechtlichen Vorschriften auch der EU Green Deal gehört, ein billionenschweres Investitionsprogramm. 

Gemäß der CSRD müssen nun größere und börsennotierte Unternehmen die Regelungen umsetzen, um für das Berichtsjahr 2024 gewappnet zu sein. Neben der bloßen Berichterstattung wird die CSRD letztlich auch einen direkten Einfluss auf die Unternehmensstrategie haben. Mittelständische Unternehmen werden aufgrund des damit verbundenen immensen Aufwands erst für das Berichtsjahr 2026 verpflichtet, der CSRD Genüge zu tun. 

Öffentliche Hand investiert hohe Summen

Auch Unternehmen der öffentlichen Hand werden unter die CSRD fallen, sofern sie unternehmerisch tätig sind und nach HGB bilanzieren. Die rechtliche Diskussion, welche Unternehmen darüber hinaus unter die Veröffentlichungspflichten fallen werden, überlagert jedoch eine viel wichtigere Frage: Ironischerweise wären die ESG-Kriterien, die sich auf Unternehmen und ihre Wirtschaftsaktivität konzentrieren, für den öffentlichen Sektor viel wichtiger als für den privaten Sektor.  

Dies nicht nur aus Gründen der Fairness und einer Vorbildfunktion gegenüber der Wirtschaft, sondern auch aufgrund der in den letzten Jahren immens gestiegenen Staatsquote, die in Deutschland inzwischen jenseits der 50 Prozent liegt. Der Staat bestimmt also nicht nur das Wirtschaftsgeschehen immens mit, sondern ist auch für zentrale Bereiche, die für eine Transition in eine klimaneutrale, ökologische und nachhaltige Zukunft entscheidend sind, maßgeblich verantwortlich. Dies gilt für Infrastrukturmaßnahmen ebenso wie für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Klimafolgenanpassung und öffentliche Versorgungsinfrastruktur. 

Rechenschaftsmechanismen im staatlichen Sektor nicht vorhanden oder ineffektiv

Gleichzeitig sind die meisten traditionellen Rechenschaftsmechanismen aus der freien Wirtschaft im öffentlichen Sektor in der Regel nicht vorhanden oder ineffektiv. Daran wird auch die CSRD nichts grundlegend ändern, schon allein aus dem Grund, dass Kommunen und Länder nicht unter die Regelungen fallen werden. Ein Nachhaltigkeitsbericht oder eine „Impact“-Messung ist für den Großteil steuerfinanzierter Investitionen ebenso wenig vorgesehen wie die Einbeziehung von Stakeholdern. Warum eigentlich nicht? 

Regierungen und Parlamente sind in der Lenkungsverantwortung für Milliardensummen. Hinsichtlich der nachhaltigen Transformation eines industriell geprägten Landes wie Deutschland sind beide Gewalten somit in hohem Maße für Investitionen in nachhaltige Aktivitäten verantwortlich. Die Erhebung und Auswertung von Informationen über den Fußabdruck einer Haushaltsentscheidung in allen Nachhaltigkeitsdimensionen von ESG ist daher keineswegs nur für den privaten Sektor relevant. 

Wenn in Europa wirtschaftlich tätige Unternehmen demnächst verpflichtet werden, detaillierte ESG-Informationen zu veröffentlichen, die beispielsweise den CO2-Fußabdruck transparent machen, über die Entlohnung von Arbeitnehmer:innen und Diversity-Kriterien sowie den Umgang mit Compliance-Verstößen zu berichten, ist es nicht zu erklären, dass dies nicht gleichermaßen auch Maßstab für öffentliche Ausgaben sein soll. Die Berichterstattung und Messung, die die ESG-Kriterien als Governance-Mechanismus bieten, können auch für Bund, Länder, Städte und Kommunen von unschätzbarem Wert sein: Organisationen könnten sich beispielsweise an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (UN SDGs) orientieren, indem sie aufzeigen, wie ihre Tätigkeiten und Ausgaben zur Erreichung der Ziele und Vorgaben beitragen. 

Wirkungsorientierung durch internationale Standards

Für jedes der 17 SDGs gibt es eine Reihe von Zielvorgaben und Indikatoren, mit denen der Fortschritt bei der Erreichung des nachhaltigen Ziels gemessen werden kann. Diese 169 sehr konkreten KPIs bieten eine klare und messbare Grundlage, den Fortschritt bei der Erreichung der Ziele zu verfolgen. 

Das Bundesland Hessen macht es vor und hat seine Haushaltsberichterstattung bereits vor Jahren ergänzt, indem es die Leistungen der einzelnen Politikbereiche anhand der UN-SDGs gemessen hat: Die hessische Landesregierung hat jeden Aspekt des Ziels 4.4 (bis 2030 die Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen erheblich steigern, die über relevante Qualifikationen, einschließlich technischer und beruflicher Qualifikationen, für Beschäftigung, menschenwürdige Arbeitsplätze und Unternehmertum verfügen) auf ihre Gesamtausgaben für Bildung heruntergebrochen und das hessische Landesamt für Statistik berichtet alle zwei Jahre entlang konkreter und fester KPIs in einem Nachhaltigkeits-Fortschrittsbericht.  

Eine Wirkungsmessung, die es in öffentlichen Haushalten kaum gibt. Die Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wollen diesem Beispiel folgen. In den Koalitionsvereinbarungen wurde das Ziel beschlossen, die Förderprogramme der beiden Länder anhand der UN SDGs zu orientieren und die Ergebnisse zu messen. 

Langfristigkeit und Transparenz für ESG-Ziele

Vorbild sind auch viele Städte und Kommunen, die ihre kommunalen Haushalte ebenfalls an den 17 Zielen und 169 Unterzielen ausrichten. Dies ermöglicht eine fundierte ESG-Datengrundlage für Entscheidungsträger:innen und ermöglicht gleichzeitig Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit.  

Es komplementiert auch ein weiteres Ziel der Maßnahmen der Europäischen Union: die Bekämpfung des so genannten short-termism, also kurzsichtige Entscheidungen, um das Quartalsergebnis noch etwas schöner aussehen zu lassen. Eine KPI-basierte Steuerung entlang klarer ESG-Kriterien eröffnet im öffentlichen Sektor langfristige Perspektiven sowie die Möglichkeit einer wirkungsorientierten Haushaltsführung.