Die Flaggen von China und Deutschland wehen vor einem Bürogebäude.

Deutsch-chinesischer Außenhandel zunehmend in Schieflage

Wo sollte die Politik angesichts der dramatischen Entwicklung jetzt ansetzen?

Massiv wachsender Import, verhalten wachsender Export: Deutschlands Außenhandel mit China gerät zunehmend aus der Balance. Laut dem Statistischen Bundesamt betrug das Handelsbilanzdefizit im Jahr 2022, dem jüngsten Erhebungszeitraum der Zahlen, 85 Milliarden Euro. Das ist ein außergewöhnlicher Wert – und der Allzeit-Negativrekord.

Von 2020 auf 2021 hatte sich das Defizit bereits von circa 20 auf knapp 40 Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Innerhalb von 24 Monaten steht nun also eine Vervierfachung zu Buche. Ist das eine besorgniserregende Entwicklung, die die deutsche Wirtschaft wachrütteln und die deutsche Politik zum Handeln bringen sollte?

Größeres Handelsbilanzdefizit von Corona getrieben?

Vorab: Dass die Differenz zwischen dem Wert der chinesischen Exporte nach Deutschland und dem Wert der deutschen Exporte nach China bereits 2021 deutlich gestiegen war, hielten Beobachterinnen und Beobachter zunächst für eine Spätfolge der Coronapandemie. Das seien vermutlich einmalige Effekte, hieß es. Nun steht fest: Es gibt in Deutschlands Handelsbilanz mit China offenbar einen grundsätzlichen Trend.

2020 war hingegen ein überraschend stabiles Jahr für Deutschlands Exporte nach China: Während die Produktion in Deutschland aufgrund der Lockdowns 2020 um circa 10 Prozent einbrach, nahm die Produktion in China aufgrund des dort praktizierten „Closed-Loop-Systems“ auch noch während der Zero-Covid-Zeit zu. Daher hatte China anders als andere Länder 2020 auch noch Bedarf an Importen aus Deutschland. Wenngleich Deutschlands Exporte 2020 insgesamt um circa 9 Prozent sanken, blieben sie daher nach China stabil.

Export aus China nimmt massiv zu

Wie die Statistik zeigt, war der deutsche Handel mit China von 1991 bis 2019 zumindest grob im Gleichgewicht. Es zeigt sich ebenfalls, dass der Wert jährlicher deutscher Exporte von 2010 (53,8 Milliarden Euro) bis 2022 (106,9 Milliarden Euro) um 100 Prozent gesteigert werden konnte. Es war ein stetige Zunahme. Beim Wert der chinesischen Exporte gab es von 2010 bis 2020 ähnliche Zuwächse. Seit der Pandemie sind Chinas Exportzahlen dann allerdings geradezu nach oben geschnellt: 117 Milliarden Euro waren es noch im Jahr 2020, 192 Milliarden Euro im Jahr 2023.

Für das bedenkliche Gesamtbild der deutschen Handelsbilanz mit China dürften drei Gründe besonders ausschlaggebend sein:

  1. Die Lokalisierung deutscher Unternehmen in China hat deutlich zugenommen. Das heißt: Deutsche Unternehmen entkoppeln ihre Wertschöpfungsketten und produzieren in China für China (und Asien), anstatt von Deutschland aus nach China zu exportieren. Das führt dazu, dass künftig weniger in Deutschland hergestellt wird. Die Folgen für die Zahl der Beschäftigten und den Arbeitsmarkt in Deutschland sollten nicht unterschätzt werden.
  2. Die Binnennachfrage in China ist eingebrochen und es gibt Anzeichen einer länger andauernden Flaute. Daher versuchen chinesische Konzerne ihre Überkapazitäten zu exportieren. Bei dieser chinesischen Exportoffensive steht der europäische Markt als Ziel besonders im Fokus.
  3. Verstärkend kommt hinzu, dass die chinesische Wirtschaft mittlerweile in vielen Industrien marktbeherrschend ist. Chinesische Produkte weisen zudem ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis auf. China ist auch bei technischen Innovationen, etwa im Bereich der Elektrofahrzeuge, teils schon führend. Außerdem konnten sich manche chinesische Firmen Quasi-Monopolstellungen erarbeiten. Auf dem Weg zur Vormachtstellung wurden beispielsweise die Photovoltaikhersteller durch staatliche Subventionen unterstützt. Auch die Sicherung der Grundstoffe im eigenen Land ist ein bedeutender Faktor, um den Auf- und Ausbau nationaler Industriezweige zu garantieren.

    Doch was tun, damit sich die Schere in der Handelsbilanz nicht noch weiter öffnet?

    Die deutsche Politik ist gefordert

    Helfen protektionistische Schritte der EU, wie sie aktuell beispielsweise hinsichtlich chinesischer Elektrofahrzeuge geprüft werden? Nein. Eine Abschottungstaktik ist nicht zielführend, denn sie führt zu Gegensanktionen, die gerade die deutsche Automobilindustrie in China treffen werden.

    Stattdessen sollte die Stärkung der Innovationskraft und damit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den Mittelpunkt rücken. Lippenbekenntnisse reichen nicht mehr, denn die Lage ist ernst. Notwendig ist nun schnelles Handeln. Um eine Trendwende einzuläuten, braucht es einen breiten Konsens zur Beseitigung der vielen Hindernisse für die deutsche Wirtschaft. Dazu gehören unter anderem:

    • bürokratische Hürden,
    • mangelnde Digitalisierung der Verwaltung,
    • zu langsame Planungsverfahren und Fertigstellungen von Großprojekten,
    • überbordende Sozialabgaben und Steuern,
    • fehlende Technologieoffenheit und kritische Grundhaltung gegenüber dem Einsatz künstlicher Intelligenz sowie
    • die primär „Werte“-getriebene statt interessengeleitete Wirtschafts- und Außenpolitik.

    Auch die öffentliche Debatte über eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ist nicht förderlich. Das diskutierte Modell würde nicht zu mehr Wohlstand führen, sondern nur zu weiter erodierender Wettbewerbsfähigkeit.

    Klar ist: Die Zeichen für einen wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands, des ehemaligen Exportweltmeisters und der ökonomischen Lokomotive Europas, mehren sich. Deutschland ist im Krisenmodus. Klar ist indes auch: Der Abstieg ist nicht unausweichlich. Im Gegenteil. Gelingt es, an den richtigen Hebeln anzusetzen, ist ein Umschwung möglich – ein Umschwung, der längst nicht nur auf die Handelsbilanz mit China positive Effekte haben wird.

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