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Innovativ und wichtig: Der Biotech-Standort Deutschland

Die Branche entwickelt sich positiv, hat im internationalen Vergleich aber Nachholbedarf

Großbritannien hat die Zulassung bereits erteilt. In Deutschland und der Europäischen Union könnte es auch bald soweit sein, dass der Corona-Impfstoff der Mainzer Firma BioNTech zugelassen wird. Das ist nicht nur für die Gesundheit vieler von uns eine gute Nachricht. Die Zulassung wird dem Biotech-Standort Deutschland einen enormen Schub geben. Einer Branche also, die sich in den vergangenen zehn Jahren schon sehr gut entwickelt hat und noch großes Entwicklungspotenzial hat.

Biotech-Branche gewinnt an wirtschaftlicher Relevanz

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland von rund 500 auf nahezu 700 erhöht. Im zurückliegenden Jahr konnte die Branche ein Wachstum von zehn Prozent verzeichnen. Die Zahl der Angestellten stieg um 16 Prozent, die Forschungsausgaben sogar um 21 Prozent. Zahlen, die zeigen, dass die Branche wächst und weiter wirtschaftliche Relevanz gewinnt. Hinzu kommen die positiven Nachrichten, dass neben BioNTech auch andere deutsche Firmen an der Entwicklung von Corona-Impfstoffen arbeiten.

Warum steht der deutsche Biotech-Standort so positiv da?

Ein prägendes Initiativereignis ist in meinen Augen der Bioregio-Wettbewerb. Forscher aus dem Biotech-Umfeld bewarben sich für Fördergeld, um Patentideen umsetzen zu können. Aus dem Wettbewerb sind gleich mehrere Firmen hervorgegangen. Technologie- und Gründerzentren wurden gebaut. Daraus hat sich im Laufe der Jahre eine Infrastruktur entwickelt, von der Deutschland noch heute profitiert. Hinzu kommt, dass Deutschland ein Top-Standort für Grundlagenforschung ist, sei es in den Universitäten oder in den Forschungszentren. Wissenschaftliche Arbeit wird hochgeschätzt. Die Branche ist hervorragend vernetzt.

Deutschland hat Schwierigkeiten, die PS auf die Straße zu bringen

Diese Erfolge sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland gegenüber den USA und asiatischen Ländern (z.B. Südkorea und China) noch erheblichen Nachholbedarf hat. Vor allem bestehen die Probleme darin, die beschriebenen Stärken, die Biotech-PS, auf die Straße zu bringen. Das hängt unter anderem mit Mentalitätsunterschieden zusammen. In den USA tut man sich zum Beispiel leichter damit, ins Risiko zu gehen und die Forschung an der Universität zu verlassen, um ein Unternehmen zu gründen. Oder Geld in innovative Wirkstoffe zu investieren.

Es gibt konkrete strukturelle Schwachstellen

Neben den Mentalitätsunterschieden, die nur schwer überwunden werden können, gibt es auch konkreten strukturellen Nachholbedarf in Deutschland. Wer in der Forschung arbeitet, hat oft Hemmungen, das Risiko einer Unternehmensgründung einzugehen. Das hängt nicht zuletzt auch mit mangelndem kaufmännischem Know-how zusammen. Ein Ansatz wäre, kaufmännische Inhalte, etwa Grundwissen zur Gründung von Unternehmen und Vermarktung von Produkten, in wissenschaftliche Studiengänge zu integrieren.

Biotech-Branche hat hohen Investitionsbedarf

Wer das Risiko wagt und ein Unternehmen gründet, hat oft Schwierigkeiten Investoren zu finden. Es gibt wenige, in Deutschland aktive Geldgeber, die Marktexpertise haben. Die Biotech-Branche hat außerdem einen hohen Investitionsbedarf, es gibt lange Entwicklungszyklen und das Ergebnis ist zu Beginn eines Prozesses oft unklar. Das und die mangelnde Risikofreude deutscher Investoren erschweren es vielen Unternehmen, an Geld zu kommen. Hier hilft ein Blick auf die Zahlen: 2019 gab es in Deutschland nur zwei Börsengänge von Biotechnologie-Unternehmen, in den USA waren es 46. Einen Lichtblick gibt es aber. Seit rund sechs Jahren ist für deutsche Firmen der Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt und zu Geldgebern wesentlich einfacher.

Datenschutz ist eine hohe Hürde

Steuerliche Regelungen, die mangelnde Digitalisierung und hohe Hürden beim Datenschutz sind drei weitere strukturelle Herausforderungen, die die Entwicklung des Biotech-Standorts hierzulande bremsen. Schauen wir dazu auf klinische Studien. Nur 4,4 Prozent davon kommen aus Deutschland, 50 Prozent hingegen aus den USA: Hier sollten auch steuerliche Anreize gesetzt werden, um die Durchführung von Studien zu fördern. Studien sind in Deutschland auch deswegen oft teurer und zeitaufwändiger, weil Daten aus themenverwandten Studien nicht ohne Weiteres für neue Erhebungen genutzt werden können. Hier sind uns asiatische Länder in Sachen Datenmanagement deutlich voraus. Hinzu kommen liberalere Gesetze zum Datenschutz.

Mut und politische Förderung sind nötig

Insgesamt steht die Branche in Deutschland recht gut da. Die positiven Nachrichten rund um die Entwicklung der Corona-Impfstoffe erhöhen die Sichtbarkeit der Branche und unterstreichen deren Relevanz. Der Rückstand, den Deutschland gegenüber den USA und Asien hat, lässt sich dann aufholen, wenn Investoren mehr Mut aufbringen, in Projekte der Branche zu investieren. Und dann, wenn die Politik den Sektor als innovative Zukunftstechnologie begreift und entsprechend fördert.