Ein Schiff mit Containern unterhalb einer Brücke.

Logistikbranche: Gewinner der Krisenjahre?

Transportunternehmen profitieren von höheren Frachtraten und setzen auf Qualitätslogistik.

Welche Trends werden die Transport- und Logistikbranche in den nächsten Jahren prägen? Hierzu haben wir mit Dr. Steffen Wagner gesprochen, dem Head of Transport & Leisure von KPMG in Deutschland.

Herr Dr. Wagner, vor der Coronapandemie führte die Logistikbranche in der Öffentlichkeit eher ein Schattendasein. Man ging einfach davon aus, dass Lieferungen pünktlich erfolgen – und ärgerte sich über lange Lkw-Kolonnen auf der Autobahn. Die Pandemie führte uns dann vor Augen, wie verletzlich unsere Lieferketten doch sind. Wie geht es der Branche aktuell?

Dem Logistiksektor geht es aktuell grundsätzlich gut. Immer wenn etwas schwierig oder knapp wird, sind die Menschen bereit, dafür mehr Geld auszugeben. Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig die Logistik für uns alle ist. Viele Produzenten, Händler und Verbraucher:innen waren auf einmal bereit, deutlich höhere Frachtkosten zu akzeptieren, wo vorher um jeden Cent gefeilscht wurde.

Stellen die Entwicklungen während der Coronapandemie eine Ausnahme dar?

In ihrem weltweiten Ausmaß auf jeden Fall. Es gab schon immer Störungen in den Logistikketten, jedoch waren diese eher lokal begrenzt, wie zum Beispiel bei einer Sperrung des Suezkanals. Während der Pandemie kam jedoch vieles zusammen: Die Luftfahrt brach ein, in Folge konnte Luftfracht kaum noch im Linienflug mittransportiert werden. In China kam es zur Sperrung ganzer Häfen, die Frachter stauten sich auf den Weltmeeren. Und in Westeuropa fehlten plötzlich die Lkw-Fahrer aus den östlichen Ländern der EU.

Hinzu kommt: Nachdem sich die pandemiebedingte Situation zu bessern begann, griff Russland die Ukraine an. Dies führte erneut zu einer allgemeinen Unsicherheit, einer Sperrung von Land- und Luftwegen, steigenden Treibstoffkosten sowie einer Verschärfung des Fachkräftemangels. Zum Teil verlagerten Hersteller ihre Produktionsstätten, was sich wiederum auf die Logistik auswirkte.

Die Lage in der Logistikbranche scheint sich aber zu normalisieren?

Aktuell zeichnet sich in der Tat eine gewisse Normalisierung in der Branche ab, auch wenn wir noch weit von dem Normal der Vorkrisenzeiten entfernt sind. Allerdings muss man auch sagen, dass viele Logistiker wohl nicht unbedingt in diese Zeiten zurückwollen. Denn wer in den letzten Krisenjahren Frachtkapazitäten bereitstellen konnte, hat enorm gut verdient.

Aber ja, die Branche scheint ihre Balance zurückzugewinnen. Allerdings auch aufgrund der Tatsache, dass sich weltweit Rezessionstendenzen verfestigen und die Menschen weniger konsumieren. Dann muss auch weniger transportiert und gelagert werden.

Das Thema Nachhaltigkeit wird immer wichtiger – auch in der Transport- und Logistikbranche?

Der Transportsektor ist weltweit der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen, nach dem Energiesektor. Die einzelnen Transportunternehmen können dies jedoch nur bedingt beeinflussen. Nachhaltig erzeugter Treibstoff zum Beispiel könnte ein Teil der Lösung sein, bislang ist dieser jedoch kaum verfügbar und zudem extrem teuer. Die daraus resultierenden Frachtkosten möchte niemand bezahlen. Weder das produzierende Gewerbe, bei dem Transportkosten als Teil der Lieferkette auch immer Produktkosten sind, noch die Endverbraucher:innen.

Nachhaltigkeit im Transportsektor entsteht aktuell meist nur aus regulatorischen Vorgaben. Wenn zum Beispiel Städte Straßen für Verbrenner sperren, dann wird auch heute schon per Lastenrad oder E-Fahrzeug ausgeliefert. In der Schifffahrt gilt mit der IMO 2020 zur Schwefelreduktion ein neuer Standard für Treibstoffe. Bislang gibt es Umweltschutz in der Logistikbranche kaum durch direkten Druck der Verbraucher:innen, sondern in erster Linie durch Vorgaben von oben, also indirekt durch die politischen Akteure.

Solche regulatorischen Vorgaben werden oft unter dem Kürzel ESG (Environmental, Social, Governance) zusammengefasst.

Vom Themenfeld ESG steht in der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion meist das Thema Environmental im Mittelpunkt. Beim Aspekt Social tut sich in der Transport- und Logistikbranche faktisch jedoch mehr – auch hier durch Regulierung. Zum Beispiel verschärfte Vorgaben, wie lange ein Fahrer unterwegs sein darf, wann er in sein Heimatland zurückreisen muss und wo er übernachten kann.

Beim Thema Governance hat Deutschland mit dem Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz neue, starke Regeln vorgegeben, auf EU-Ebene der Supply Chain Due Diligence Act. Beide Regulierungen haben zur Folge, dass Unternehmen ihre Lieferkette fest im Blick behalten müssen. Die Logistikunternehmen sind ein wichtiger Bestandteil der Lieferkette ihrer Kunden. Deshalb muss der Logistiker den Teil der Lieferkette transparent machen, den er abdeckt. Das Lieferkettengesetz ist aus regulatorischen Gründen also auch für die Logistiker enorm wichtig.

Für den Endkunden ist Nachhaltigkeit in der Logistik also eher kein Thema?

Bislang gibt es noch keine wirklich relevanten Ansätze, mit denen sich Unternehmen mit einer nachhaltigen Logistik im Wettbewerb differenzieren können. Aktuell steht immer noch der Preis im Vordergrund. Dies verschiebt sich nun etwas – wenn auch unter regulatorischem Zwang. ESG aus eigenem Antrieb rechnet sich für die Logistikbranche bislang nicht, da die Gesellschaft Nachhaltigkeitsansätze in der Branche nicht honoriert.

Die Verbraucher:innen tragen hier eine Mitschuld, das sieht man sehr gut am Beispiel von Versandhandelsretouren. Eine Retoure „darf“ nichts kosten. Dies wird sich nur ändern, wenn es regulatorische Vorgaben gibt. Die Firmen können sich kostenpflichtige Retouren nur „leisten“, wenn alle es machen – ansonsten verlieren sie Aufträge.

Ein anderes Thema, das die Gesellschaft umtreibt, ist die Digitalisierung. Kann diese vielleicht die Umweltfreundlichkeit der Branche verbessern?

Auf jeden Fall. Aktuell gibt es leider noch sehr viele Leerfahrten in der Transportbranche. Es wird angenommen, dass bis zu 25 Prozent aller Fahrten innerhalb der EU Leerfahrten sind. Über die Grenze der EU hinweg bis zu 15 Prozent. Der Grund hierfür ist, dass der Logistikmarkt sehr fragmentiert ist. Selbst die ganz großen Unternehmen haben innerhalb Europas nur einen Marktanteil von einigen wenigen Prozent.

Ein Ansatz wäre, die Kapazitäten besser auszulasten. Durch eine stärkere Vernetzung der Unternehmen und einen umfassenden Datenaustausch könnte dies gelingen. Hierzu gibt es auch schon Ansätze, insbesondere von Start-ups, sogenannte Visibility-Plattformen. Über diese könnten zum Beispiel Lieferungen zusammengefasst und unnötige Wege vermieden werden. Allerdings scheitert dies bislang meist am Konkurrenzgedanken der Unternehmen. Erfolgreich könnten solche Plattformen nur werden, wenn sich für alle Beteiligten echte wirtschaftliche Vorteile ergeben. Der Imagegewinn, dadurch dass man nachhaltig agiert, wäre dann ein Pluspunkt.

Gibt es Digitalisierungsvorhaben, die in der Branche bereits umgesetzt werden?

Die Digitalisierung des Frachtbriefs schreitet voran, allerdings nur langsam. Es wird zunehmend versucht, zumindest bestimmte Teile des klassischen Dokumentenstapels, der von Hafen zu Hafen mit der Ware mitreist und an jeder Grenze gestempelt und abgeharkt wird, zu digitalisieren. Aber in vielen Häfen werden immer noch physische Dokumente verlangt.

Weiter ist die Branche schon bei digitalen Kundenschnittstellen, die es dem Nutzer erlauben, sich Transportkapazitäten online selbst zusammenzustellen und zu buchen. Bislang geht das allerdings meist nur bei Standardtransporten. Wenn es komplizierter wird, wie zum Beispiel bei der Luftfracht, welche aus Sicherheitsgründen stark reguliert ist, ist es aktuell noch schwierig. Weit fortgeschritten ist hingegen bereits die Digitalisierung in der Lagerhaltung. Die vollautomatisierte Lagerlogistik wird zunehmend zum Standard, denn die Potenziale hinsichtlich Schnelligkeit und Kosten sind enorm.

Welches Bild hat die Gesellschaft von der Transport- und Logistikbranche?

Der Blick auf die Logistik, die Wertschätzung ihr gegenüber, hat sich in den letzten Krisenjahren geändert. Die Versender sind bereit, etwas mehr für verlässliche Qualitätslogistik zu zahlen. Den Logistikern bietet sich so die Chance, sich besser für die Zukunft aufzustellen, zum Beispiel mit alternativen Antrieben wie Brennstoffzellen. Die letzten Krisenjahre haben gezeigt, dass das Funktionieren der Logistik in der Lieferkette nicht naturgegeben ist, sondern dass Resilienz auch ihren Preis hat.

 

Wie schätzen die Unternehmen der Transport- und Logistikbranche selbst ihre eigene Zukunftsfähigkeit ein? Lesen Sie im aktuellen Future Readiness Index 2022 zur Transport- und Logistikbranche, warum insbesondere regulatorische Anforderungen rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz den Handlungsdruck erhöhen.