Deutschland bezieht sein Erdöl zu einem großen Teil aus Russland. In den letzten Wochen konnte der Anteil von rund 35 auf 12 Prozent gesenkt werden. Andere Länder, aus denen Deutschland Erdöl einführt, sind zum Beispiel die USA, Kasachstan oder Norwegen. Vor allem die chemisch-pharmazeutische Industrie (Kunststoffe, Chemiefasern, Medikamente, Autoreifen), der Straßenbau und die Logistiker hängen von den Importen aus Russland ab. Aber auch die Wärmeerzeugung und Treibstoffversorgung sind stark auf russisches Öl angewiesen.
Die aktuelle Situation
Mit Beginn des Kriegs in der Ukraine und den Russland-Sanktionen haben viele Unternehmen Maßnahmen eingeleitet, um weniger stark von russischen Erdölimporten abzuhängen. Die Bundesregierung will die Abhängigkeit von Öl aus Russland so schnell wie möglich verringern. Zudem will die Europäische Union mit einem Embargo von russischem Öl den Druck auf die Führung in Moskau erhöhen.
Die meisten Mineralölunternehmen in Deutschland sind in der Lage, russische Erdöllieferungen unter Berücksichtigung einer Vorlaufzeit vollständig zu ersetzen. Ersatzmengen können auf dem flexiblen Weltmarkt über andere Importquellen und Länder beschafft und auf dem Seeweg nach Deutschland transportiert werden.
Hinzu kommt: Durch die gesetzliche Erdölreserve in Deutschland ist ein etabliertes Sicherungs- und Bevorratungssystem vorhanden. Reserven in Höhe von aktuell 15 Millionen Tonnen Rohöl und 9,5 Millionen Tonnen an fertigen Mineralölerzeugnissen reichen rein rechnerisch dafür aus, die Erdölversorgung hierzulande für 90 Tage zu sichern.
Das bedeutet ein Ölembargo für Ostdeutschland
Für die östlichen Bundesländer gilt eine Besonderheit: Die Raffinerien in Leuna und Schwedt werden vorwiegend mit russischem Erdöl über die Družba-Pipeline sowie über die Seehäfen in Rostock und Danzig versorgt. Das in Leuna und Schwedt verarbeitete Erdöl gewährleistet die regionale Versorgung von Tankstellen, Fluggesellschaften, Privathaushalten und Unternehmen mit Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl.
Kommt es zu einem EU-Ölembargo, könnten vor allem an den Tankstellen in den östlichen Bundesländern die Preise steigen. Dies beträfe die Großräume Leipzig und Berlin sowie die Flughäfen in besonderem Maße. Aus heutiger Sicht sind regionale Versorgungsengpässe bei den hergestellten Raffinerieprodukten nicht auszuschließen. Dann wäre die Versorgung von Tankstellen und Fluggesellschaften sowie die Bereitstellung von Vorprodukten aus der chemischen Industrie nicht durchgehend gewährleistet.
In den Raffinerien drohen mögliche Kapazitätskürzungen
Die Anlage in Schwedt (PCK) ist mehrheitlich im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft. Momentan wird darum gerungen, Öl aus anderen Lieferquellen dort zu verarbeiten. Wie sich der Betreiber verhalten wird, ist öffentlich nicht bekannt. Um das bevorstehende Embargo durchsetzen zu können, werden Maßnahmen bis hin zu einer staatlichen Treuhandverwaltung durch Deutschland diskutiert.
Das Unternehmen in Schwedt könnte auch über den Hafen in Rostock mit Erdöl versorgt werden. Die Verladekapazitäten in Rostock reichen aus, um den Bedarf der PCK-Raffinerie zu ungefähr zwei Drittel decken zu können, jedoch sind zunächst hierfür erforderliche Arbeiten im Hafenbecken durchzuführen. Für Schwedt wäre das ein Schritt, das bestehende Produktionsniveau kann jedoch nicht gehalten werden. Danzig hätte sogar einen direkten Anschluss an die Družba-Pipeline und stünde zur Verfügung.
Die Raffinerie in Leuna (TotalEnergies) hat bereits Lieferverträge umgestellt und so den Anteil russischer Ölimporte reduziert. Bis spätestens Ende 2022 soll der Kauf von russischem Erdöl und Erdölprodukten eingestellt werden. Die weit im Binnenland gelegene Raffinerie in Leuna könnte alternativ auch über den Hafen Danzig und die zum Družba-Netz gehörenden Pipelines in Polen mit Öl beliefert werden. Offen ist, inwieweit die Umschlagkapazitäten im Hafen ausreichen, um im Falle eines europäischen Ölembargos gleichzeitig auch noch die polnischen Raffinerien in Danzig und Plock zu versorgen.
Trotz aller Schwierigkeiten: Mit einer Schließung der Raffineriestandorte in Ostdeutschland ist vorerst nicht zu rechnen, da die Bundesregierung öffentlich zugesichert hat, die ostdeutschen Standorte zu erhalten.
Damit sollten Unternehmen und Verbraucher:innen bei einem Ölembargo rechnen
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Einkaufspreise für Erdöl global stark erhöht. Bei einem EU-Ölembargo wird ein weiterer Preisanstieg erwartet. Ob die Preise auf einem spürbar und deutlich höheren Niveau verbleiben, ist abzuwarten. Je länger eine Übergangsphase andauern wird, desto besser können alternative Lieferquellen erschlossen werden und desto weniger bestehen Anreize für die Bildung von weltweiten Reserven. Die seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 stark gestiegenen Transportkosten wirken sich jedoch in jedem Fall auf die Preisentwicklung aus. Die Charterraten für Öltanker zum Beispiel haben sich um 50 Prozent verteuert.
Für Unternehmen, die in ihrer Produktion sehr viel Erdöl benötigen, stellt sich die Frage, inwieweit eine kostendeckende wie konkurrenzfähige Fertigung am Standort noch möglich bzw. tragbar ist.
Verbraucher:innen müssen in Folge eines Embargos mit vorübergehend höheren Preisen rechnen. Für sie wird es schwierig, kurzfristig auf alternative Energiequellen (für Auto, Heizung, Warmwasserversorgung) umzusteigen. Die höheren Preise für Erdölprodukte sind kurzfristig nur durch Einsparungen zu kompensieren. Zusätzlich werden Anreize geschaffen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, die Ladeinfrastruktur auszubauen und ggf. ein Tempolimit einzuführen. Auch werden Maßnahmen in Richtung Homeoffice oder ein Verbot von Inlandsflügen diskutiert.
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