Wie kann der Einkauf effizienter und effektiver werden? Diese Frage wird aktuell nicht nur in privatwirtschaftlichen Unternehmen gestellt und diskutiert, sondern auch bei öffentlichen Auftraggebern. Diese vergeben jedes Jahr Aufträge in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages: Allein in der ersten Jahreshälfte 2021 meldeten beispielsweise knapp 9.000 Berichtsstellen fast 87.000 Vergaben mit einem Auftragsvolumen von insgesamt über 52 Milliarden Euro. Das Marktvolumen aller öffentlichen Aufträge in Deutschland beträgt nach Schätzungen hingegen mindestens 300 Milliarden Euro jährlich.
Die Beschaffung der öffentlichen Auftraggeber ist durch die verpflichtende Berücksichtigung verschiedener Gesetze und Verordnungen vielschichtig. Allerdings nicht nur dadurch. Was sind also die weiteren Herausforderungen und welche Lösungsansätze und Handlungsoptionen gibt es?
Die Ausgangslage
Die krisenbedingt eingeschränkte Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen sowie aktuell angespannte Märkte stellen öffentliche Auftraggeber vor ernsthafte Herausforderungen. Der Baubereich ist von Rohstoffknappheit und Preissteigerungen geprägt, der Energiesektor von volatilen Preisen stark betroffen, was Auswirkungen auf alle öffentlichen Auftraggeber hat. Auch im Beratungsmarkt ist eine hohe personelle Auslastung und daher teils eingeschränkte Verfügbarkeit zu verzeichnen, weswegen Digitalisierungsvorhaben häufig nur verzögert umgesetzt werden können.
Zusätzlich sorgen Nachhaltigkeitsanforderungen dafür, dass sich die Beschaffung verändern muss. Öffentliche Auftraggeber müssen auf nationale gesetzliche Anforderungen, wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), oder europäische Anforderungen, wie die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), reagieren. Nachhaltige Beschaffung bedeutet dabei nicht nur, den CO2-Fußabdruck zu monitoren und ein entsprechendes Berichtswesen aufzusetzen, sondern auch CO2-Emissionen tatsächlich zu reduzieren.
All diese externen Einflussfaktoren werden durch interne Einflussfaktoren verstärkt. Prozesse sind häufig historisch gewachsen, fragmentiert und wenig digitalisiert. Daher ist meist ein hoher Personaleinsatz notwendig, um alle Aufgaben zu erfüllen. Dies trifft häufig auf intensiven Personal- und Fachkräftemangel – ausgeschriebene Stellen bleiben über längere Zeit unbesetzt. Das Ergebnis: Das Tagesgeschäft des Einkaufs – und damit die Versorgung – kann kaum bewerkstelligt werden. Für strategische Aufgaben zur Weiterentwicklung des Einkaufs bleibt keine Zeit.
Da der Einkauf als Querschnittsfunktion Schnittstellen zu vielen internen Fachbereichen und zum Beschaffungsmarkt hat, wirken sich die oben beschriebenen Defizite in der digitalen Durchgängigkeit von Ende zu Ende Prozessen sehr stark auf die Prozessdurchlaufzeiten, Markterreichbarkeit und auch auf die Steuerungsmöglichkeiten von Prozessen aus.
Die Reaktion der öffentlichen Auftraggeber
Verantwortliche im öffentlichen Sektor haben zahlreiche Ansatzpunkte, um die Beschaffungsprozesse und den Einkauf zu verbessern. Hierunter fallen: E-Procurement, Vergabemanagement, Vertragsmanagement, Lieferantenmanagement, Risikomanagement, Formularwesen, Nachhaltigkeit, SAP-Umstellung auf S/4HANA sowie auch Personalthemen.
Worauf es bei der Umsetzung ankommt
Bevor die Prozessdurchlaufzeiten reduziert und die Markterreichbarkeit erhöht werden können, ist es zunächst essenziell, einen Schritt zurückzutreten und eine zukunftsweisende Einkaufsstrategie zu entwickeln, wohin sich der Einkauf in den kommenden Jahren entwickeln soll. Hierzu sind messbare Ziele festzulegen, die in der Organisation zu verankern sind und deren Erreichung regelmäßig nachgehalten werden muss.
Zu berücksichtigen dabei sind die Dimensionen Organisation und Mitarbeitende, Strategie, Compliance, Prozesse, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Zu diesen Zielen sind konkrete Maßnahmen mit klaren Verantwortlichkeiten und Fristen zu formulieren und in eine Roadmap zu überführen, die ebenfalls fest verankert wird und einen Fahrplan hin zur Erreichung der Einkaufsstrategie mit all ihren Zielen verkörpert. Dabei sollte die Zeit- und Ressourcenplanung fordernd, aber auch realistisch sein, um die Organisation bei der Umsetzung nicht zu überfordern.
Mit diesem Fahrplan können nun die notwendigen Maßnahmen für die Weiterentwicklung des Einkaufs strukturiert angegangen und umgesetzt werden.
Lösungsansätze zur Optimierung des Beschaffungsmanagements im öffentlichen Sektor
Um die Durchlaufzeit von Beschaffungen zu reduzieren und zugleich die Markterreichbarkeit zu erhöhen, braucht es mehrere Maßnahmen auf strategischer, IT-systemseitiger und prozessualer Ebene. Nachfolgend werden hierfür mögliche Lösungsansätze vorgestellt:
- Ein strategisches Warengruppenmanagement etablieren, um einen stringenten Ansatz zum Marktangang der benötigten Waren und Dienstleistungen zu entwickeln.
- Fachbereiche, Einkauf, Vergabestelle und andere wichtige Stakeholder, darunter Datenschutz, IT-Sicherheit und Rechtsabteilung, standardmäßig sehr früh in Beschaffungsprozesse zusammenbringen und wesentliche Aspekte des jeweiligen Beschaffungsvorhabens festlegen.
- Bedarfe für Anbieter marktgerecht bündeln, marktübliche Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie Vertragsvorgaben nutzen.
- Vergabeverfahren mit Dialogmöglichkeit nutzen und passende Vergabe- und Vertragsinstrumente verwenden, darunter beispielsweise Verhandlungsverfahren, Rahmenvereinbarungen, dynamische Beschaffungssysteme, Open-House-Modelle und wettbewerbliche Dialoge.
- Muster-Leistungsverzeichnisse und -beschreibungen sowie praxistaugliche Anleitungen für deren Entwicklung durch die Bieter erstellen.
- Bedarfe und Vergabeverfahren proaktiv in den Markt kommunizieren, beispielsweise über eine Vergabe-Roadmap für die Beschaffung.
- Aufwand im Vertragslebenszyklus bereits in der Vergabe berücksichtigen und Voraussetzungen für eine aufwandsarme Bewirtschaftung der Verträge schaffen.
- IT-Systeme derart ausgestalten, dass ein durchgehender Datenfluss ohne manuelle und ressourcenaufwändige Prozesse entsteht.
- Die Notwendigkeit von Freigabestufen in der IT-Systemlandschaft der Verwaltung kritisch prüfen, Redundanzen abbauen und Freigabestrategie schlanker ausrichten.
- Kooperationsmodelle mit anderen öffentlichen Auftraggebern nutzen, darunter beispielsweise Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP), Kaufhaus des Bundes (KdB) oder gemeinsame Beschaffungen via Genossenschaften (ProVitako).
Die Bandbreite der Handlungsfelder und Werthebel macht deutlich, dass bei den öffentlichen Auftraggebern grundlegende Veränderungen umgesetzt werden können, um die Beschaffung zukunftsfähig auszugestalten. Der Reduzierung der Durchlaufzeit sowie die Erhöhung der Markterreichbarkeit kommen dabei eine besondere Rolle zugute, da es hierdurch gelingen kann, die benötigten Waren und Dienstleistungen auch in Krisenzeiten und in Zeiten anhaltender Personalknappheit langfristig wirtschaftlich und ressourcenschonend zu decken und folglich Kapazitäten für weitere strategische Themenstellungen frei zu haben.