ESG: Laptop-Tastatur mit Pflanze darauf.

Nachhaltige öffentliche Beschaffung: Vergabeverfahren und ESG

Wie die öffentliche Hand ein Vorbild beim Thema Nachhaltigkeit werden kann.

„Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten“ – so heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition. Sozial, ökologisch, wirtschaftlich, kurzum: nachhaltig im Sinne der ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) soll die öffentliche Beschaffung sein.

Dabei ist Nachhaltigkeit schon länger keine freiwillige Entscheidung mehr, sondern vielfach eine Rechtspflicht – auch für die öffentliche Hand. Das belegen schon Vorschriften wie das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), die Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Das Bundesverfassungsgericht sieht den Staat in der Pflicht, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen und dabei die Lasten gleichmäßig auf die Generationen zu verteilen.

Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur CO2-Reduktion. Beim Thema Umwelt geht es beispielsweise auch um den Schutz der Biodiversität und um die Reduzierung von Wasserverbrauch. Zur Nachhaltigkeit gehören aber auch soziale Aspekte wie der Schutz von Menschenrechten in der Lieferkette, die Vermeidung von Kinderarbeit, die Zahlung existenzsichernder Löhne und Arbeitsschutzmaßnahmen.

Öffentliche Beschaffung: Vorbild für Nachhaltigkeit

Das Thema nachhaltige öffentliche Beschaffung hat zu Recht an Relevanz deutlich gewonnen, denn die öffentliche Hand hat durch ihr Beschaffungsverhalten maßgeblichen Einfluss auf die Praktiken in Wertschöpfungs- und Lieferketten und damit auf die ökologischen und sozialen Verhältnisse in der Welt. Aufgrund ihrer Nachfragemacht kann die öffentliche Hand Anreize schaffen, dass die Anbieter Nachhaltigkeitsziele verfolgen. Gleichzeitig hat der öffentliche Einkauf eine Vorbildrolle für Beschaffungen durch Private.

Dieser Vorbildfunktion wird die öffentliche Hand derzeit nicht ausreichend gerecht. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten sollte in allen Vergabeverfahren eine Selbstverständlichkeit werden.

Der Mythos von der unwirtschaftlichen nachhaltigen Beschaffung

Gegen eine nachhaltige Beschaffung werden vor allem zwei Argumente angeführt:

  1. Nachhaltige Produkte seien teurer. Sie einzukaufen, verstoße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.
  2. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien sei aufwendig und für die Beschaffungsstellen nicht leistbar. Dies betreffe insbesondere die Überprüfung der Einhaltung umweltbezogener und sozialer Anforderungen.

Beide Punkte sind so pauschal nicht richtig. In sehr vielen Fällen ist eine nachhaltige Beschaffung auch wirtschaftlicher: Zum Beispiel, weil ein IT-Produkt, das hohe Anforderungen an Energieeffizienz einhält, geringere Energiekosten verursacht oder ein langlebiges Produkt das öffentliche Budget schont. Dazu gibt es verschiedene Untersuchungen. Auch der Bundesrechnungshof fordert ausdrücklich dazu auf, Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen.

Hier finden Sie Unterstützung bei der öffentlichen Beschaffung

Der Aufwand ist überschaubar, denn gerade für Beschaffungsverantwortliche gibt es eine Vielzahl an Unterstützungsangeboten. Das Umweltbundesamt bietet Leitfäden und beispielsweise für die Berechnung von Lebenszykluskosten eines Produkts bzw. einer Leistung hilfreiche, frei zugängliche Tools. Auf den Internetseiten der Europäischen Kommission sind konkrete Formulierungsbeispiele für eine umweltorientierte öffentliche Beschaffung (Green Public Procurement, GPP) von z. B. Computern, Möbeln, Textilien und Bauleistungen zu finden. Auch die Bundesregierung hat ein Maßnahmenprogramm zur Nachhaltigkeit herausgegeben.

Hilfreich für die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Produkten sind außerdem verschiedene Gütezeichen wie das EU Ecolabel, TCO Certified oder der Blaue Engel sowie unabhängige Monitoring-Organisationen wie Electronics Watch.

Anbieter und Dienstleister, die beim Thema ESG gut aufgestellt sind, können wiederum ihr Engagement als Wettbewerbsvorteil nutzen und sollten hierfür auch auf solche Gütezeichen für ihre nachhaltigen Produkte zurückgreifen.

Nachhaltigkeit entlang des Beschaffungsprozesses

Umweltbezogene und soziale Aspekte können und sollten im Vergabeverfahren entlang des gesamten Beschaffungsprozesses berücksichtigt werden. Nachhaltiges Handeln beginnt schon bei der Bedarfsermittlung: Ist es notwendig, etwas Neues zu erwerben oder lässt sich stattdessen ein vorhandenes Produkt weiter nutzen bzw. reparieren? Eine Alternative könnte auch die Beschaffung eines gebrauchten oder wiederaufbereiteten Produkts sein.

Bei der Beschreibung der Leistung und der Festlegung der Ausführungsbedingungen können ebenfalls Nachhaltigkeitsbedingungen festgelegt werden:

  • Sicherstellung einer langen Produktlebensdauer,
  • Einhaltung von umweltbezogenen und sozialen Belangen durch den Leistungsgegenstand und die Auftragsausführung: z. B. Energieeffizienz, Reparierbarkeit, faire Produktion, Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Lieferkette, recycelbares Verpackungsmaterial u. ä.

Bei der Eignungsprüfung können Bieter vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn nachweislich Verstöße gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen vorliegen oder ein Bußgeld in bestimmter Höhe wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung in der Lieferkette festgelegt wurde. Außerdem können das Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystem sowie Umweltmanagementmaßnahmen überprüft werden.

Bei der Angebotswertung sollten neben Preis und Kosten (hier auch Lebenszykluskosten) qualitative, umweltbezogene und soziale Kriterien berücksichtigt werden. Die „Belohnung“ von Angeboten, die die festgelegten Mindestanforderungen übererfüllen, kann Anreize für die Weiterentwicklung von Produkten schaffen.

Um für das konkrete Beschaffungsvorhaben einen ausreichenden Wettbewerb sicherzustellen, sollte vor Beginn des Vergabeverfahrens eine Markterkundung durchgeführt werden. Dieses Instrument ist vergaberechtlich zulässig und extrem relevant, um einen Überblick über den angesprochenen Markt zu erhalten. Dies ist vor allem dann hilfreich, wenn Auftraggeber unsicher sind, welche Nachhaltigkeitsaspekte mögliche Anbieter bereits umsetzen können.

Fazit

Die öffentliche Hand ist gefordert, sich intensiv mit dem Thema nachhaltige Beschaffung zu beschäftigen. Dabei kann sie sich an Leitfäden und Praxisbeispielen orientieren sowie Beratungsangebote nutzen. Mitarbeitende sollten zum Thema Nachhaltigkeit geschult werden. Empfehlenswert ist eine Strategie, die definiert, welche Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen, wie Nachhaltigkeit im Vergabeprozess standardmäßig berücksichtigt wird und wie die Fachabteilungen sinnvoll einbezogen werden können.

Schon aufgrund gestiegener ESG-Anforderungen und Reportingpflichten für die Privatwirtschaft gibt es inzwischen viele Anbieter und Dienstleister, die das Thema Umwelt und Menschenrechte ernst nehmen. Sinnvoll kann es sein, mit einem Pilotprojekt zu starten, um wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Julia Gielen