Wir merken es täglich beim Einkaufen – und auch in den Unternehmen spielt die Inflation eine immer größere Rolle. Inzwischen liegt sie in Deutschland bei mehr als zehn Prozent. Mehr als doppelt so hoch wie noch vor einem Jahr und fünf Mal so hoch wie das langfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank. In unserer aktuellen Kapitalkostenstudie beleuchten wir, was die steigende Inflationsrate für Geschäftsmodelle, Planungsrechnungen und langfristige Renditeerwartungen bedeutet.
Hohe Inflation: Bisherige Kalkulationsmodelle sollten überdacht werden
In den vergangenen Jahrzehnten spielte das Thema Inflation für Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle. Die letzte Phase hoher Inflationsraten liegt lange zurück. Sie gab es in den 1970er-Jahren. Damals spielten Inflationsüberlegungen eine große Rolle. Von den heutigen Entscheiderinnen und Entscheidern in den Führungsgremien haben wohl die wenigsten diese Zeit selbst erlebt und können auf entsprechende Erfahrungen zurückgreifen. Das bedeutet: Wir alle müssen uns an diese neue Situation gewöhnen und lernen, vor diesem Hintergrund Geschäftsmodelle zu hinterfragen und Inflation in Entscheidungskalküle einzubeziehen. Dazu gehört es aus meiner Sicht, bisherige Vorgehensweisen und Kalkulationsmodelle zu überdenken.
Renditen steigen und liegen über dem gewohnten Korridor
Als Reaktion auf den Anstieg der Preise im Supermarkt, an den Energiebörsen und an der Tankstelle werden seit einiger Zeit auch wieder die Zinsen erhöht. Das bedeutet, dass nach vielen Jahren Kapital wieder teurer wird. Seit dem Frühjahr 2022 beobachten wir einen steigenden Basiszinssatz; gleichzeitig steigen jedoch auch die impliziten Renditeerwartungen der Investoren. Sie liegen mit aktuell mehr als neun Prozent oberhalb eines langjährig „gewohnten“ Korridors von ca. sieben Prozent bis neun Prozent.
Warum steigen die impliziten Renditeerwartungen?
Für Deutschland lassen sich hier grundsätzlich drei Beobachtungen machen
- gestiegene Gewinn- und Dividendenschätzungen – trotz eines sehr volatilen Marktumfelds
- gesunkene Marktkapitalisierungen
- gestiegene Inflationserwartungen
Meiner Meinung nach sind es diese drei Komponenten, die die aktuellen Renditeerwartungen zurzeit ansteigen lassen. Hierbei wurde die Gesamtrendite bzw. die Risikoprämie als wesentlicher Bestandteil dieser schon immer stark durch die Risikoeinschätzungen der Marktteilnehmer bestimmt – Inflation hingegen spielte lange Zeit eine vernachlässigbare Rolle. Vor dem Hintergrund des aktuellen Inflationsumfelds rate ich daher dazu, die Effekte Risiko und Inflation auf die Renditeerwartungen zu trennen und somit einzeln zu betrachten bzw. bei der Ableitung bewertungsrelevanter Risikoerwartungen transparent zu machen.
Nur dann ist es möglich,
- etwaige überschießende Risikoaversionen der Märkte in Bewertungskalkülen sachgerecht einzufangen und
- Inflationserwartungen richtig einzuordnen. Denn auch diese können über- oder untertrieben sein.
Erkenntnisse und Empfehlungen
Es mag eine triviale Erkenntnis sein – sie ist aber für die Gesamtbetrachtung der aktuellen Rendite-Entwicklung wichtig. Ein inflationäres Umfeld lässt die Renditeerwartungen steigen. Die aktuelle Erhöhung der Renditeerwartungen – auch über „gewohnte“ Korridore hinaus– ist daher plausibel und auch weiterhin erwartbar.
Die Einordnung der Gesamtsituation sollte meiner Meinung nach mit einem Blick auf die aktuellen realen Renditeerwartungen und somit frei von Inflationseffekten erfolgen. Erst der Blick auf die realen Renditeerwartungen ermöglicht die risikoseitige Einordung und Beurteilung der Gesamtsituation an den Kapitalmärkten (Risikoindikation) und somit die Trennung der Effekte in risikoinduzierte und inflationsgetriebene (Inflationsindikation).
Aktuell reflektiert sich der steigende Basiszins nahezu vollständig im Anstieg der Gesamtrenditeerwartungen. Deswegen lässt sich derzeit eine etwaige Reduzierung der Marktrisikoprämie als Differenz dieser beiden Größen allein aufgrund des gestiegenen Basiszinssatzes nicht rechtfertigen. Ich empfehle daher diese Parameter (Stand 31. Oktober 2022):
- Basiszins: 1,75 Prozent
- Marktrisikoprämie: 8,00 Prozent