Derzeit sehen wir global eine Vielzahl militärischer Konflikte. Die Bundesregierung hat 100 Milliarden Euro als Sondervermögen für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt und die französische Regierung plant, die Verteidigungsausgaben bis 2030 um ein Drittel zu steigern. Auch auf europäischer Ebene intensivieren sich die Aktivitäten zur militärischen Zusammenarbeit, etwa in der Europäischen Verteidigungsagentur und der relativ jungen Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum (DEFIS) der EU-Kommission. Ziel der Bemühungen ist es, den Frieden in Deutschland und in Europa sichern zu können. Klar ist, dass dies nicht ohne eine leistungsfähige Verteidigungsindustrie gelingt. Diese ist essenziell, um sowohl die Landes- und Bündnisverteidigung als auch die europäische Sicherheit zu gewährleisten.
Eine starke Verteidigungsindustrie dient zudem dem Nachhaltigkeitsziel der Friedenssicherung. Die Vereinten Nationen (UN) haben sich 2015 auf 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung geeinigt – die sogenannten Sustainable Development Goals. Unter Punkt 16 heißt es, dass die UN „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sichern sollen. In der Realität haben Unternehmen der Verteidigungsindustrie jedoch regelmäßig Schwierigkeiten, Projekte zu finanzieren. Denn durch die Unschärfen der EU-Taxonomie zögern viele Unternehmen und Banken, in eine mit Rüstung betraute Industrie zu investieren.
Verteidigung ist ein blinder Fleck der ESG-Regulation der EU
Tatsächlich konzentriert sich der EU-Rahmen für nachhaltige Finanzierungen aber lediglich auf Transparenz und sieht keine Beschränkungen für die Finanzierung des Verteidigungssektors vor – Antipersonenminen, Streumunition, chemische und biologische Waffen ausgenommen. Die Produktion legaler Güter der Verteidigungsindustrie zur Schaffung von Sicherheit ist jedoch bei ESG-Zielen außen vorgelassen – ein blinder Fleck. Damit bleibt es den Investoren überlassen, ob sie Investitionen in diesen Sektor als ESG-konform ansehen. Dies führt aus Gründen der Risikovermeidung häufig zu einem Verzicht in Investitionen.
Es gibt also Hürden, die zu überwinden sind, um die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und Europas zu stärken. Die Finanzierung der europäischen Verteidigungsindustrie sollte verbessert und die Fragmentierung der europäischen Rüstungsmärkte verringert werden.
ESG als strategischer Faktor der Unternehmen
Um den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern, sollte ESG integraler Bestandteil der Strategie und Kommunikation von Unternehmen der Verteidigungsindustrie sein.
- Studien zeigen eine signifikante Korrelation zwischen ESG-Berichterstattungsaktivitäten gemäß anerkannter ESG-Standards und Börsennotierung. Eine dedizierte ESG-Berichterstattung ist Voraussetzung, um am Kapitalmarkt erfolgreich teilzunehmen.
- Die Offenlegung von Informationen über soziale und ökologische Risiken und Chancen ist für einige Unternehmen bereits durch EU-Recht vorgeschrieben. Die Pflicht zur durch die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) der EU vorgegebenen Berichterstattung gilt für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Darunter fallen börsennotierte Unternehmen, Banken, Versicherungen und andere Unternehmen von öffentlichem Interesse.
- ESG ist auch für einen großen Teil der nicht börsennotierten Unternehmen wichtig, da die EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) im Januar 2023 in Kraft getreten ist: Die CSRD ist für rund 50.000 europäische Unternehmen relevant, während der Geltungsbereich der NFRD nur rund 11.700 große europäische Unternehmen umfasst.
Ohne Frieden keine Nachhaltigkeit – Leuchtturmprojekte sollten öffentlich gefördert werden
Frieden ist die Grundvoraussetzung der demokratischen Ordnung der westlichen Welt und aller Bemühungen um Nachhaltigkeit. Um Frieden zu sichern, leistet die Verteidigungsindustrie einen entscheidenden Beitrag. Deswegen sollten europäische und nationale öffentliche Einrichtungen ihre wichtige Rolle bei der Schaffung eines positiven Investitionsklimas stärker ausspielen und Leuchtturmprojekte in der EU-Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gezielt fördern. Denn es zeigt sich: Während europäische Investoren bei Investitionen in den Rüstungssektor zurückhaltend agieren, sind US-amerikanische Investoren weniger zurückhaltend.
Harmonisierung der europäischen Rüstungsbeschaffung sollte vorangetrieben werden
Rund 80 Prozent der Beschaffung im Verteidigungsbereich der EU läuft national. Eine hohe Fragmentierung und unterschiedliche Beschaffungsverfahren sowie spezifische Anforderungen in den EU-Ländern verhindern die Hebung von Skalenvorteilen in der Produktion. Produktion ist größtenteils Manufaktur. Die Beschaffung von Rüstungsgütern bleibt damit teuer und dauert jahrelang. Vor diesem Hintergrund sind die bisher getroffenen Maßnahmen Ebene der EU zu begrüßen und erste Schritte in Richtung Harmonisierung des europäischen Verteidigungsmarktes.
Fragmentierter Markt: Diese Gegenmaßnahmen hat die EU eingeleitet
- 2023 hat der EU-Rat eine Verordnung zur Einrichtung des Instruments zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA) auf den Weg gebracht, um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Beschaffung von Verteidigungsgütern zu fördern. Das Instrument wird den Mitgliedstaaten eine teilweise Erstattung aus dem EU-Haushalt gewähren, wenn ein Konsortium von mindestens drei Mitgliedstaaten beteiligt ist.
- Seit 2016 setzt der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) Anreize bei der EU-Staaten- und unternehmensübergreifenden Forschung und Entwicklung sowie dem Erwerb von Verteidigungsgütern und -technologien. Die Mitgliedstaaten können zum Beispiel gemeinsam in die Entwicklung von Drohnentechnologie oder Satellitenkommunikation investieren.
- Im Jahr 2017 wurde die EU-Verteidigungsinitiative „Permanent Structured Cooperation“ (PESCO) ins Leben gerufen, die mittlerweile 46 Projekte umfasst. Die Initiative basiert auf 20 Verpflichtungen, die den Kern der PESCO bilden. Alle beteiligten Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, beispielsweise bei der Planung und Entwicklung von Fähigkeiten enger zusammenzuarbeiten. Diese Verpflichtungen sind rechtlich bindend.
Dieser Weg sollte fortgesetzt werden, um die Marktfragmentierung durch gezielte Nachfragebündelung auf europäischer Ebene abzubauen. Dazu gehört auch die Schaffung EU-weiter technischer Standards und Anforderungen für Rüstungsgüter. Den europäischen Institutionen kann hier eine Schlüsselrolle in der Moderation dieses Prozesses zukommen.