Wie stark der Energiesektor vom Kriegsausbruch in der Ukraine betroffen ist, merken derzeit vor allem auch die Verbraucher:innen im Land. Der Gaspreis ist auf einem Rekordhoch, gleiches gilt für Diesel- und Benzinpreise. Doch das ist nur die Konsequenz dessen, welche Verhältnisse im gesamten europäischen und insbesondere deutschen Energiemarkt herrschen. Der Trend ist mehr als besorgniserregend. Geopolitik ist auf der strategischen Tagesordnung der Energieunternehmen, ihrer Kunden und der Bundesregierung.
Die Reduktion der Energiebeziehungen mit Russland wird einen erheblichen Einschnitt zur Folge haben
Der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland und die Reaktionen darauf zeigen, wie abhängig unser Land von russischen Energielieferungen ist. Es würde einen erheblichen Einschnitt bedeuten, die Energiebeziehungen mit Russland ad hoc zu beenden. Auch werden die Auswirkungen der Absicht, zumindest mittelfristig den Bezug zu vermindern, erheblich.
Betroffenheitsanalyse mit mehreren Szenarien und Optionen
Unternehmen aus dem Energiesektor werden bei einer Betroffenheitsanalyse mehrere Faktoren berücksichtigen. Allem voran steht aber zunächst die Hilfe und Unterstützung für die unmittelbar betroffenen Menschen. Auch die Fürsorge für ukrainische Mitarbeiter:innen in Deutschland spielt eine entscheidende Rolle. Einige Unternehmen aus der Branche haben aufgrund des Kriegsausbruchs bereits Sonderurlaube gewährt, damit die Kolleg:innen sich um Verwandte und Freunde aus der Heimat kümmern können.
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Klare Positionierung mit Auswirkungen auf die Reputation
Viele Firmen haben bereits Standpunkte im Hinblick auf ihre Aktivitäten in Russland formuliert und veröffentlicht. Eine klare Positionierung wirkt sich auch auf die Reputation eines Unternehmens aus. So haben neben den großen, internationalen Ölunternehmen auch die deutschen Versorger beschlossen und angekündigt, ihr Engagement in Russland ad hoc zu beenden bzw. nicht weiter zu investieren.
Szenarien unter Unsicherheit
Sehr klar wird, dass wir mit Turbogeschwindigkeit nun die langfristige Umstellung der Energieversorgung hin zu einem erneuerbaren Energiesystem angehen müssen.
Kurzfristig, und auch in einer Übergangsphase, ist der unsicheren Entwicklung von Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Wir werden uns alle darauf einstellen müssen, dass wir nun solidarisch als Gesellschaft die gleiche Richtung verfolgen und auch die Last von Veränderungen gemeinsam tragen.
Folgende Fragen sind nun aufzugreifen und in den Überlegungen zu berücksichtigen:
Das Wichtigste: Welche Möglichkeiten bestehen, den Energiemarkt liquide zu halten und den Anstieg von Energiepreisen nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs einzudämmen?
Aufgrund der aktuellen Situation an den Märkten für Rohstoffe Energie werden nicht nur für Energieanbieter und -händler Liquiditätsabsicherungen notwendig, um die steigenden Beschaffungspreise für Energie und Rohstoffe bezahlen und den damit einhergehenden Anstieg von Sicherheitsleistungen erbringen zu können. Auch die bestehenden Verpflichtungen auf der Abnehmerseite erfordern ein enorm geschicktes Handeln auf der Beschaffungsseite seitens der Energieversorger. Dies erfordert Entscheidungen unter Unsicherheit und unter Berücksichtigung von Szenarien.
Wie können weiterhin Materialien und Rohstoffe aufgrund der wegbrechenden und unsicheren Lieferketten ersetzt werden?
Hier müssen deutlich längere Lieferzeiten eingeplant werden. Wichtig ist es außerdem, die Sanktionslisten daraufhin zu überprüfen, ob Geschäftspartner darauf aufgeführt sind oder ob Verbindungen zu sanktionierten Personen und Unternehmen bestehen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Ersatz für russische Energieimporte zu finden?
Ein drohender Stopp russischer Energieimporte würde die Preisspirale weiter beschleunigen und für die Energiewirtschaft (Energieversorger, Händler und Stadtwerke) zu einer existenziellen Bedrohung werden – mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Mit einem Worst Case muss gerechnet werden, wenngleich es auch Szenarien für die Zeit nach dem Krieg geben muss.
Die Versorgungssicherheit für Wirtschaft und Haushalte steht an oberster Stelle und betroffene Energieunternehmen sind entsprechend zu schützen. Die Bereitstellung von Liquiditäts- und Überbrückungsdarlehen oder Staatshilfen (bzw. ein staatlicher Schutzschirm) sind in Betracht zu ziehen, um Insolvenzen, Energieengpässe und in der Folge eine Rationierung von Energie zu vermeiden.
Gleichzeitig müssen alle Quellen für zusätzliches Gas in Deutschland, aus den Niederlanden oder Norwegen intensiv möglich gemacht werden. Alternative Stromerzeugungsquellen sind zudem intensiv in Erwägung zu ziehen: Nuklear- oder Steinkohle-betriebene Kraftwerke zum Beispiel. Kurz- und mittelfristig sind Energieeffizienzmaßnahmen mehr als erforderlich. Jede ersparte Kilowattstunde hilft.
Noch sind kurzfristige Lösungen nicht gefunden.
Regelmäßige Prüfung der Aufsichten durch ein Interventionsteam
Je nach individueller Betroffenheit eines Unternehmens werden Interventionsteams Auswirkungen auf das Unternehmen prüfen und bei Bedarf schnelle Entscheidungen treffen. Die Lage ist täglich neu zu bewerten. Die Sanktionslisten werden immer wieder um Personen und Firmen erweitert, so dass eine regelmäßige Überprüfung dieser Listen erforderlich wird. Neben der Lagebeurteilung für Russland und die Ukraine ist diese auch für weitere Länder in Osteuropa, vor allem Belarus, Moldau, und die baltischen Staaten, durchzuführen.
Die Aussicht
Mittel- und langfristig wird die Erzeugung von Energie umgestellt und dies schneller als geplant.
Wir werden zwar weiterhin fossile Brennstoffe als Brücke zu einem System erneuerbarer Energien benötigen, doch die Brennstoffe hierfür werden alternativ bezogen. Dies erfordert die Erhebung sämtlicher Alternativen: Weitere Gasförderung in Kontinentaleuropa und eventuell die Möglichkeit, LNG-Terminals in den Niederlanden und Italien zu nutzen sowie ein Weiterbetrieb einzelner Kohlekraftwerke, um nur einige Optionen zu nennen. Die Energiewirtschaft arbeitet fieberhaft an Lösungen. Zu Substituten der Energieversorgung nehmen erste Versorger bereits Stellung: So werden unter anderem der Zeitpunkt des Kohleausstiegs in Frage gestellt und der schnelle Ausbau von Flüssiggas-Terminal-Kapazitäten mit staatlicher Hilfe gefordert.
Durch den Krieg in der Ukraine müssen geopolitische Risiken neu bewertet werden: Vom Ausfall von Kunden oder ganzer Geschäftszweige bis hin zur Neubewertung von Zielmärkten und insbesondere die zunehmend bedrohliche Situation auf den Beschaffungsmärkten (Strom, Gas, seltene Erden und Metalle). Gerade produzierende Industrien werden sich neu ausrichten müssen.