große Lupe vor weißen Menschensymbolen

Unternehmensinterne Ermittlungen: Es dauert so lange, wie es dauert

Aktuelles Urteil zu Fristen bei außerordentlichen Kündigungen nach Compliance-Ermittlungen

Erhält die Geschäftsleitung eines Unternehmens Hinweise auf schwerwiegendes Fehlverhalten von Beschäftigten, wird sie diese Vorwürfe – eigenständig oder mithilfe externer Unterstützung – aufklären wollen, in manchen Fällen sogar müssen. Führen die hierzu durchgeführten internen Ermittlungen dazu, dass Beschäftigte identifiziert werden, die Straftaten oder andere schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen haben oder zumindest dringend tatverdächtig sind, rechtfertigt dies in der Regel eine außerordentliche (Verdachts-)Kündigung. Die Kündigung muss dabei aufgrund von § 626 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden.

Ab wann aber diese Zwei-Wochen-Frist konkret zu laufen beginnt, war bislang vor allem bei langandauernden und komplexen internen Ermittlungen umstritten. Das machte Kündigungen auf dieser Basis besonders angreifbar. Zuletzt hatte hierzu ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg (Az.: 10 Sa 7/21) für Verunsicherung gesorgt. In dem kürzlich veröffentlichten Revisionsurteil (Az.: 2 AZR 483/21) hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun aus der Sicht von Forensik-Teams erfreulich klar und praxistauglich zu dieser Frage positioniert.

Kenntnis des „Kündigungsberechtigten“ maßgeblich

Laut Bundesarbeitsgericht komme es – so wie von § 626 Abs. 2 BGB vorgesehen – für den Fristbeginn grundsätzlich auf den Zeitpunkt an, zu dem der oder die „Kündigungsberechtigte“ von den Tatsachen Kenntnis erlangt, die für die Kündigung maßgeblich sind. Es geht also um die Kenntnis der Personen, die gemäß Gesetz oder Satzung für die Kündigung zuständig sind (insbesondere Geschäftsleiter:innen) oder denen diese Zuständigkeit übertragen wurde (beispielsweise Personalleiter:innen). Die Kenntnis anderer Personen sei unbeachtlich.

Anders als noch vom LAG Baden-Württemberg in der Vorinstanz angenommen, muss sich der oder die Kündigungsberechtigte daher auch nicht die Kenntnis eines (nicht kündigungsberechtigten) Leiters der Compliance-Abteilung „zurechnen“ lassen, nur weil dieser als Ermittlungsführer gegebenenfalls schon früher von den kündigungsrelevanten Tatsachen erfahren hat.

Allenfalls im Ausnahmefall könne es vorkommen, dass sich Arbeitgeber oder Arbeitgeberin aufgrund unsachgemäßer Organisation nicht mehr auf die späte Kenntniserlangung (und damit auf die Wahrung der Zwei-Wochen-Frist) berufen dürfen. Dies sei laut BAG aber erst dann der Fall, wenn eine nicht kündigungsberechtigte Person aufgrund ihrer herausgehobenen Funktion in der Lage war, den Sachverhalt so umfassend zu ermitteln, dass aufgrund ihres Kenntnisstandes eine Kündigungsentscheidung ohne weitere Nachforschungen möglich gewesen wäre. Hinzukommen müsse außerdem, dass der oder die Kündigungsberechtigte den Informationsfluss zu seiner bzw. ihrer Person zielgerichtet verhindert oder jedenfalls sachwidrig behindert hat. Nur in diesem Fall wäre ein Berufen auf die (letztlich selbstverschuldete) späte Kenntniserlangung des oder der Kündigungsberechtigten als missbräuchlich anzusehen.

Den Abschluss der Ermittlungen abwarten

Äußerst praxisrelevant und begrüßenswert sind auch die Klarstellungen des Bundesarbeitsgerichts zu der Frage, was die „für die Kündigung maßgebenden Tatsachen“ sind, deren Kenntnis die Zwei-Wochen-Frist für die Kündigungserklärung in Gang setzt. Sehr deutlich wies das BAG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass hierbei alle für und gegen die Kündigung des Arbeitnehmers sprechenden Umstände maßgeblich seien. Dazu gehörten insbesondere auch die Umstände, die „das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen“. Denn die Schwere der Verfehlungen jedes oder jeder einzelnen Beteiligten kann hierbei nicht isoliert bewertet werden.

So wiegt es etwa deutlich weniger schwer, wenn ein Arbeiternehmer oder eine Arbeitnehmerin durch Vorgesetzte zu einem Fehlverhalten genötigt wurde, als wenn sie selbst Initiatoren des Geschehens waren. Bei einem Zusammenwirken mehrerer Beteiligter gehört es laut BAG daher zur notwendigen Grundlage einer Kündigungsentscheidung, die Mitwirkungsanteile aller betroffenen Beschäftigten und ihre Rolle im Verhältnis zueinander zu kennen.

Das bedeutet, dass Arbeitgeber auch bei komplexen Sachverhalten mit der Entscheidung zur Kündigung so lange abwarten können (und sollten), bis die internen Ermittlungen in Bezug auf alle beteiligten Verdächtigen abgeschlossen sind, ohne dadurch eine Verfristung bezüglich der Kündigung einzelner Beteiligter befürchten zu müssen. Erst wenn die Untersuchung in Bezug auf sämtliche Verdächtige abgeschlossen ist und es beispielsweise „nur“ noch um Erkenntnisgewinne für die künftige Prävention geht, könne eine Fortführung der Ermittlungen den Beginn der Zwei-Wochen-Frist nicht mehr weiter hinausschieben.

Ein praxistauglicher und begrüßenswerter Ansatz

Das Urteil des BAG ist von großer Bedeutung für die Praxis der unternehmensinternen Ermittlungen nach Compliance-Verstößen, da es wesentliche Unsicherheiten in Bezug auf die (Verdachts-)Kündigung pflichtwidrig handelnder Arbeitnehmer:innen ausräumt. Bisher wurde im Schrifttum teilweise sehr eng auf den frühestmöglichen Zeitpunkt abgestellt, zu dem kündigungsrelevante Tatsachen über einzelne Beschäftigte bekannt sind, was dann bereits in Bezug auf diese die Zwei-Wochen-Frist zur Kündigung in Gang setzen sollte.

Auch die Vorinstanz war diesem Ansatz gefolgt und hatte damit unter den Ermittlungspraktikern für großes Aufsehen gesorgt. Verständlich. Denn übertragen auf die Praxis barg diese Auslegung die Gefahr, dass Arbeitgeber:innen faktisch dazu gezwungen werden, noch während der laufenden unternehmensinternen Aufklärung möglichst frühzeitig (vorbeugende) Verdachtskündigungen auszusprechen – obwohl die Fakten vielleicht noch gar nicht ausermittelt waren. Andernfalls wären sie nämlich das Risiko eingegangen, dass am Ende der Ermittlungen eine Tatkündigung des Arbeitnehmers mangels vollständiger Beweislage nicht möglich und eine an sich begründete Verdachtskündigung aufgrund Verfristung nicht mehr zulässig ist.

Damit wäre aber weder den Beschäftigten noch den Arbeitgebern geholfen. Denn Sinn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist es freilich nicht, Arbeitgeber oder Arbeitgeberin zu überstürzten Verdachtskündigungen zu drängen, die möglicherweise auf wackeligen Faktenfüßen stehen.

Dass das BAG mit dem aktuellen Urteil diesem Ansatz nun eine deutliche Absage erteilt hat, ist aus meiner Praxissicht daher zu begrüßen. Es trägt auch der Tatsache Rechnung, dass interne Ermittlungen nach Compliance-Verstößen in der Praxis selten stringent verlaufen. Vielmehr sind sie meist dynamisch, beinhalten Rückschläge, Untersuchungshemmnisse und Fehldeutungen. Einzelne Funde können die Untersuchung in ganz neue Richtungen lenken oder heiße Spuren erkalten lassen. Manche Untersuchungshandlung braucht eben seine Zeit, und erst am Ende ergibt sich ein vollständiges Bild des Falls. Dieses Gesamtbild dürfen Arbeitgeber nun abwarten, um dann auf dieser Basis innerhalb von zwei Wochen das jeweilige Verhalten der einzelnen Beteiligten bewerten und somit voll informiert über den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entscheiden zu können.