Nahaufnahme einer Metallkette hängt vor Bäumen.

Blockchain: Mehr als nur der Bitcoin

Die disruptive Kraft der Blockchain wächst.

Viele denken beim Thema Blockchain automatisch an Kryptowährungen. Aber Bitcoin, Ethereum und Co. sind nur eines von vielen Anwendungsgebieten der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Die Blockchain kann bereits heute in vielen Bereichen der Wertschöpfungskette von Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen bestehende Prozesse ersetzen oder optimieren – und dabei steht die Nutzung ihres disruptiven Potenzials erst am Anfang.

Zu Chancen und Auswirkungen der Technologie habe ich mich beim KPMG Zukunftsgipfel mit Professor Dr. Philipp Sandner, dem Leiter des Frankfurt School Blockchain Centers, ausgetauscht. Das Video zu unserem Gespräch findet sich hier.

 

 

Aktuell zeichnen sich fünf große Anwendungsfelder ab, welche sich unterschiedlich schnell entwickeln: Krypto inklusive NFTs, digitale Wertpapiere, Identitätsprüfung, CO2-Tokenisierung sowie der digitale Euro.

Krypto mit DeFi (Dezentrales Finanzwesen), NFT (Non-Fungible Token / digitale Vermögenswerte) und Digitalwährungen wachsen momentan am schnellsten, sind jedoch auch stark von Volatilität geprägt, was nicht zuletzt die jüngsten Marktentwicklungen zeigen. Auch herrscht eine hohe Dynamik, was digitale Wertpapiere betrifft. Die Nutzung der Blockchain zur Identitätsprüfung entwickelt sich langsamer, ist aber ein Dauerbrenner. Die CO2-Tokenisierung und der digitale Euro laufen noch etwas unter dem Radar, beide Themen haben aber ein enormes Potenzial.

CO2-Tokenisierung rückt in den Blick

Die EU hat sich die Weiterentwicklung der europäischen Volkswirtschaften zu „Green Economies“ auf ihre Fahnen geschrieben. Wenn es darum geht, den Ausstoß von CO2 zu bewerten, zu handeln und zu bepreisen, kann die Blockchain dabei unterstützen. Denn bisher gibt es noch keine optimalen Lösungen, wie Unternehmen CO2-Aufkommen neutralisieren können, die sich nicht vermeiden lassen – zum Beispiel, weil das eigene Geschäftsmodell es einfach nicht zulässt.

Bislang verfolgen die Unternehmen hierbei sehr unterschiedliche Ansätze von Investitionen in Umweltprojekte auf anderen Kontinenten bis zum Kauf entsprechender Zertifikate. Meist geschieht dies über vermittelnde Agenturen und oft stellt sich die Frage: Kommt das investierte Geld auch vollumfänglich dem gewünschten Zweck der CO2-Reduktion zugute? DLT bietet die Möglichkeit, dies genau nachzuverfolgen und Prozesse so zu gestalten, dass Kosten für zwischengeschaltete Agenturen minimiert, beziehungsweise CO2-Rechte auf offenen Plattformen systematisch gehandelt werden könnten. Dies wird umso relevanter, als der bislang freiwillige CO2-Markt durch die EU-Taxonomie zukünftig verpflichtend wird.

Digitaler Euro ist nicht gleich Kryptowährung

Der digitale Euro und die EZB sind ein weiteres intensiv diskutiertes Thema. Denn es stellt sich die Frage, wie das Zusammenspiel von digitalem Zentralbankgeld und privatem Geld, wie dem Bitcoin, ausgestaltet werden soll – vollkommen unabhängig davon, wie dessen Wert sich in Zukunft entwickeln wird. Von der Blockchain-Seite muss man unterscheiden zwischen dem Asset, das auf der Blockchain läuft, zum Beispiel dem Euro, und der zugrundeliegenden technischen Plattform, also dem DLT-Netzwerk. Die Trägerplattform, auf der das Asset läuft, könnte Blockchain-Technologie sein, muss es aber nicht. Und das auf der Technologie liegende Asset kann zum Beispiel der Euro sein, genauso aber auch digitale Verträge, digitale Kunst und viele andere Werte, an die wir heute im Zusammenhang mit der Blockchain noch gar nicht denken.

Das Disruptionspotenzial eines von der EZB ausgegebenen digitalen Euros wäre auf jeden Fall enorm. Nimmt man zum Beispiel den Wertpapierhandel. Auf der einen Seite steht der Euro, in einem siloartigen System aus Technik, IT und Daten. Auf der anderen Seite steht ein weiteres siloartiges System, für Wertpapiere. Zwischen beiden Silos sitzt ein Clearinghouse, das vermittelt.

In einer Blockchain-Welt braucht man keinen Vermittler. Die Aktie würde auf einem DLT-System liegen, ebenso der Euro. Der Handel mit beidem würde durch einen sogenannten „Smart Contract“ abgebildet werden. Das ist ein digitaler Vertrag, der in der Blockchain gespeichert und ausgeführt wird, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Man bräuchte kein Clearinghouse mehr, keine Versicherung; es gäbe kein Counterpart-Risiko und auch keine ineffizienten Prozesse. Hier zeigen sich die Vorteile der Blockchain-Technologie besonders deutlich.

Nur intensive Beschäftigung mit DLT sichert den Erfolg

Der Wertpapierhandel ist nur ein Beispiel. Auch analoge Services und Produkte können maßgeblich vom disruptiven Potenzial der Blockchain-Technologie profitieren. Jeder Industriekonzern weiß, dass er sich nicht nur auf die Herstellung von Maschinen fokussieren darf, sondern dass er auch Payment-, Finanz- und Geschäftsmodelle mitdenken muss. Das Thema Blockchain ist auch eine ideale Grundlage, um Produkt- und Finanzexperten an einen Tisch zu bringen und gemeinsam über das Geschäftsmodell der Zukunft zu diskutieren.

Professor Dr. Philipp Sandner nennt in unserem Gespräch auch den wohl wichtigsten Aspekt in Bezug auf DLT: Man sollte die Technologie begreifen, unabhängig davon, welchem Zweck sie dienen soll. Gerade dies unterschätzen jedoch viele Unternehmen. Es braucht Mitarbeiter:innen, die sich mit dem Thema intensiv beschäftigen, monatelang und in Vollzeit. Ein kurzes Seminar reicht dafür definitiv nicht aus.

Sven-Olaf Leitz