Keyfacts:
- Desinformation verursacht enorme Kosten und gefährdet Unternehmen schon heute massiv.
- Mittels Szenarioanalyse entwickeln wir vier mögliche Zukunftsbilder, die von einer durch Technologie gesicherten Wahrheit über fragmentierte Scheinwelten und staatlich verordnete Wahrheitsregime bis hin zu einem vollständigen Informationschaos reichen.
- Resilienz entsteht durch frühzeitige technologische und strategische Maßnahmen zur Vertrauensbildung und Angriffsabwehr.
Die weltweiten Kosten durch Desinformation bezifferte eine Statista-Studie bereits im Jahr 2019 auf rund 80 Milliarden US-Dollar. Seitdem hat die Verbreitung von Falschmeldungen nicht abgenommen, ganz im Gegenteil. Durch die breite Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) wird die Produktion derartiger Inhalte immer schneller, billiger und überzeugender möglich.
Gerade für Unternehmen sind Desinformationskampagnen heute eine reale Gefahr, denn Fake News können unter anderem Aktienkurse verzerren oder Lieferketten destabilisieren. Ein manipuliertes Video genügt mitunter schon, um Markenwerte zu zerstören. Für Führungskräfte wird deshalb die Frage entscheidend, wie belastbar ihre entsprechenden Verteidigungsmechanismen sind.
Ziel der Szenarien: Strategische Orientierung für Unternehmen statt Vorhersagen
Um diese Dynamik greifbarer zu machen, haben meine Kolleg:innen und ich vier mögliche Zukünfte mit Hinblick auf Fake News entwickelt. Sie entstanden im Rahmen einer systematischen Szenarioanalyse für das Magazin Audit Committee Quarterly extra (2025): „Fake Futures oder das Ende der Realität“. Die Szenarien sind ein Instrument, um strategische Optionen zu entwickeln und Resilienz aufzubauen und laden ein, in Alternativen zu denken, statt sich auf eine einzige Erwartung festzulegen.
Ausgangspunkt war die Frage, wie stark Technologie künftig Vertrauen stiften kann und ob es überhaupt noch gelingt, eine gemeinsame Realität zu sichern. Daraus haben wir zwei zentrale Dimensionen gebildet: das Vertrauen in Technologie, Gesellschaft und Staat sowie die Überzeugung, dass es eine geteilte Wirklichkeit gibt.
Die Kombination dieser Dimensionen ergibt vier Felder, die wir zu eigenständigen Zukunftsbildern ausgearbeitet haben. Diese Szenarien sind dabei nicht als Prognosen zu verstehen, sondern sollen als Denkräume betrachtet werden. Sie sagen keine konkrete Zukunft voraus, sondern helfen, unterschiedliche Möglichkeiten sichtbar zu machen.

Die vier Zukunftsszenarien im Detail
Aufklärungszeitalter 2.0
Wir treten in eine Ära radikaler Transparenz ein. Milliarden persönlicher KI-Assistenten begleiten uns, verknüpfen Daten aus unseren Devices sowie Umgebungen und prüfen Informationen in Echtzeit. Manipulationen, Greenwashing oder verzerrte Fakten werden sichtbar, sobald sie entstehen. Ein dezentrales KI-Kollektiv wirkt dabei wie eine Wächterin der Wahrheit: Es schützt vor Falschinformation, stärkt Vertrauen und schafft nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen. Trusted Data Scores, digitale Wasserzeichen und zertifizierte Gatekeeper sichern die Integrität von Daten. Für Unternehmen bedeutet das: Governance wird konkret. Kosten, Risiken und Compliance lassen sich präzise überwachen. Gleichzeitig entsteht eine neue Wissens-Demokratie, in der Datenhoheit, Transparenz und Fairness zu echten Wettbewerbsvorteilen werden.
Unendliche Geschichte
In dieser Zukunft verschwimmt die Grenze zwischen Echtheit und Illusion. Menschen leben in selbstgewählten Realitätsblasen, gestaltet nach ihren Werten, Emotionen und Vorlieben. Wahrheit wird subjektiv und entsteht in intrasubjektiven Realitätsräumen, die sich wie parallele Welten überlagern. Das Metaverse wird zum Leitmedium einer neuen Wirtschaft, in der Experience und Content King sind. Ideale Welten, immersive Erlebnisse und eine florierende Peer-to-Peer-Ökonomie prägen den Alltag. Millionen verdienen ihr Einkommen durch die Gestaltung, den Handel und Konsum digitaler Inhalte. Virtuelle Beziehungen – ob geschäftlich, sozial oder emotional – wirken dabei so echt wie das Leben selbst. Staat und Institutionen greifen auf neue Governance-Mechanismen der Digitalära zurück, die von dezentralen Abstimmungen bis zu algorithmischer Verwaltung reichen.
Die Wahrheitsmaschine
Nach Jahren intensiver Meinungsvielfalt und widersprüchlicher Informationsströme hat sich das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit, Medien und Institutionen grundlegend verschoben. Eine globale „Wahrheitsregierung“ koordiniert nun, gestützt durch zentrale Mediennetzwerke und algorithmische Gatekeeper, was als Fakt gilt. Fakten werden nicht mehr verhandelt, sondern orchestriert. So entsteht eine Realität für alle: ein konsistentes, präzise kuratiertes Informationssystem, in dem Reales und Fiktives nahtlos ineinanderfließen. Zumindest so lange, wie das Gesamtbild stimmig bleibt. Wirtschaft und Politik richten sich an zentral vorgegebenen Wahrheitslinien aus, um globale Herausforderungen von Klimawandel bis Gesundheitskrisen effizient anzugehen. Die Bevölkerung bleibt wachsam, aber erstaunlich geeint. Denn klare Vorgaben schaffen Orientierung, wo zuvor Unübersichtlichkeit herrschte.
Das Ende der Geschichte
In dieser Zukunft ist Desinformation die Norm. Künstliche Intelligenz erzeugt ununterbrochen Bilder und andere Inhalte in nahezu perfekter Qualität. Die Singularität der Information ist erreicht: Alles ist verfügbar, nichts verlässlich. Der Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen spielt kaum noch eine Rolle. Wichtiger ist, ob sie emotional anschlussfähig sind. Die Fähigkeit, Realität von Fiktion zu trennen, schwindet ebenso, wie auch das Interesse daran. Gesellschaften organisieren sich neu. Menschen schließen sich in autonomen Kleinstgruppen zusammen, pflegen eigene Informationsräume und gestalten ihre Realität gemeinsam. Nähe und persönliche Beziehungen ersetzen institutionelles Vertrauen. Wirtschaft und Kommunikation folgen dieser Logik: Statt Reichweite zählt Resonanz, statt Skalierung entsteht Stabilität durch Verbundenheit. Für viele ist das keine Krise, sondern einfach der nächste Zustand.
Die Handlungen von heute werden zur Resilienz von morgen
Die Zukunft der Wahrheit entscheidet sich heute. Unternehmen, Institutionen und Gesellschaften können Vertrauen nur dann neu aufbauen, wenn sie Transparenz, Dialog und Verantwortung aktiv fördern. In einer Welt voller Informationen braucht es Klarheit im Entscheidungsdschungel: Fakten, Bildung und kritisches Denken werden zum Kompass für bessere Entscheidungen. So entsteht Innovation, die allen zugutekommt, nicht nur wenigen. Auch die Demokratie braucht neue Stärke: Sie lebt von informierten, engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich nicht spalten lassen, sondern unsere Werte bewusst weitertragen. Am Ende geht es darum, Wirklichkeit mit Empathie, Austausch und gemeinsamen Zielen neu zu denken. So schaffen wir Orientierung und Zusammenhalt in einer Zeit, in der Wahrheit selbst zur Gestaltungsaufgabe wird.