Klimaneutrale Fabrik: Eine Produktionsstätte mit rauchendem Schornstein, davor ein Wald.

Die klimaneutrale Fabrik: Energie sparen, Kosten senken

Praxisnahe Lösungsansätze für den nachhaltigen Umbau der Produktion.

Die deutsche Industrie steht vor einem gewaltigen Umbau. Um die festgelegten Klimaziele zu erreichen, sind der Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und innovative Produktionspraktiken zu fördern. Deutschland als eine der wichtigsten Industrienationen und seine Unternehmen sind bestrebt, bei der weltweiten Transformation eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Doch wie sieht der Status aktuell denn aus, angesichts der komplexen Gemengelage zwischen diversen akuten und weitreichenden Krisen – neben Bürokratiekomplexität, knappen Fördermitteln und einem dringend benötigten Umbau der Energieinfrastruktur –, deren Bewältigung – vermeintlich – drängender ist? Was sind die größten Herausforderungen beim nachhaltigen Wandel? Und wie gelingt die Umsetzung? Wir klären auf.

Was ist eine klimaneutrale Fabrik?

Eine klimaneutrale Fabrik ist eine Produktionsstätte, die keine negativen Auswirkungen auf das Voranschreiten des Klimawandels und der entsprechenden Folgeschäden hat. Das bedeutet nach unserem Verständnis, dass die Fabrik keine sogenannten Netto-Treibhausgasemissionen verursacht.

Dies kann erreicht werden, indem die Fabrik entweder keine Treibhausgasemissionen produziert – beispielsweise durch den Einsatz von erneuerbaren Energien – oder indem alle Emissionen, die während des Betriebs entstehen, beispielsweise durch CO2-Kompensationen ausgeglichen werden. Im weiteren Sinne ist jede Maßnahme, klimaschonend zu produzieren, gleichbedeutend mit einem Schritt in Richtung klimaneutrale Produktion.

Warum ist der Umbau zu einer klimaneutralen Fabrik notwendig?

Produktionsstätten in klimaneutrale Fabriken umzugestalten, ist aus gleich mehreren Gründen ein ambitioniertes Ziel. In wirtschaftlich angespannter Lage agieren Unternehmen meist vorsichtig und zurückhaltend. Eine Neu- oder Umstrukturierung zum Erreichen von Klimazielen erscheint kontraproduktiv, dagegen werden Investitionen in Kostensenkungsmaßnahmen als zielführend erachtet. Kurzum: Was hilft eine perspektivisch vielleicht nützliche klimaneutrale Fabrik angesichts aktuell steigender Kosten, fehlender Resilienz oder wegbrechender Wettbewerbsfähigkeit?

Der Weg in eine klimaneutrale Zukunft ist durch das eigene Unternehmen mit den verfügbaren Mitteln und der bestehenden Personalstärke zu beschreiten – vorausgesetzt die Verpflichtung der Organisation zum nachhaltigen Wandel besteht. Und die besteht zunehmend, da Kunden und Lieferanten faktisch im gleichen Boot sitzen. Energieeinsparungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen als erste Schritte sind im Rahmen von Klimaschutzkonzepten mittelfristig betriebswirtschaftlich sinnvoll.

Im Umfeld dauerhaft knapper finanzieller Mittel ist es allerdings relevant zu ermitteln, welche Investitionsprioritäten Unternehmen für sich selbst festlegen wollen. Unternehmen, die sich im Gegensatz zu ihren Konkurrenten auf Klimaschutz konzentrieren und Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen umgesetzt haben, konnten darüber hinaus Kosteneinsparungen bis zu 30 Prozent erzielen.

Dies bestätigte auch unser Erfahrungsaustausch auf dem Maschinenbau-Gipfel Salon 2023. Hinzu kommt durch den Fokus auf Nachhaltigkeit eine mögliche Reputationssteigerung des Unternehmens sowie eine Risikominimierung hinsichtlich regulatorischer Eingriffe und Strafzahlungen.

Die klimaneutrale Fabrik: Emissionen vermeiden, reduzieren oder kompensieren

Es ist nicht nur empfehlenswert, sondern in der Praxis unerlässlich, beim Umbau schrittweise vorzugehen. Dabei gilt es gleichermaßen strategische Etappenziele und ein finales Zielbild zu ermitteln. Unternehmen sollten zunächst die Quellen der Treibhausgasemissionen innerhalb der eigenen Fabrik identifizieren und messen. Die Normung spricht von Scope 1,2 und 3-Emissionen. Und darüber hinaus sind die Emissionen der extern bezogenen Materialen, Teile und Komponenten zu berücksichtigen.

Das Einkaufsvolumen lässt Rückschlüsse auf den Verbrauch und dadurch auf den CO2– Fußabdruck zu. Dazu kann ein Data-Management- und Data-Analytics-System implementiert werden, das eine Erfassung, Validierung und strukturierte Verarbeitung von Informationen über Ressourcenverbräuche bietet.

Hier gilt es als Startpunkt anzusetzen und Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu ergreifen: Umstellung auf erneuerbare Energien, Verbesserung der Energieeffizienz, Optimierung von Produktionsprozessen, Angleich an Energieverfügbarkeiten und die Reduzierung von Abfall und Emissionen. Um die verbleibenden Emissionen auszugleichen, können Unternehmen CO2-Kompensationen in Betracht ziehen. Das heißt, dass Unternehmen in Projekte investieren, die eigene Emissionen ausgleichen. Dazu zählen beispielsweise Aufforstungsprojekte, Energieeffizienzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern oder Moorerhaltungs- und Renaturierungsinitiativen.

Praxis-Erwägungen auf dem Weg zur klimaneutralen Fabrik

Die Bandbreite der Herausforderungen in der Praxis ist angesichts diverser Branchenspezifika groß: Zwischen Schwerindustrie und hochautomatisierter Massenfertigung gibt es im Hinblick auf Energieaspekte erhebliche Unterschiede. Klar ist, dass eine optimierte und effiziente Produktion zu einem kleineren CO2-Fußabdruck führt.

Worauf für produzierende Unternehmen zu achten ist und welche Aspekte grundsätzlich im Fokus sein sollten, ist unternehmensspezifisch zu erarbeiten. Grundsätzlich gibt es diverse Bereiche, die neben einer Emissionsminderung zu Effizienz- und Kostenvorteilen führen können:

  • Das Produktdesign und das damit verbundene Niveau der Industrialisierung entscheidet über die Komplexität der Produktionstätigkeit. Eine einfache und schnelle Produktion ist in aller Regel weniger energiebedürftig als ein langwieriger Prozess. Hierbei ist auch die Wahl der Materialien wesentlich: Sie entscheidet über Recyclingfähigkeit, Herstellungsaufwand, Aufwand im Recyclingprozess (Kreislaufwirtschaft) und gegebenenfalls auch über Energiefaktoren beim Transport, denn schwere und große Güter verbrauchen mehr Energie beim Transport als leichte.
  • Bei der Ausgestaltung des Produktionsprozesses ist es besonders in energieintensiven Industrien (Hochöfen, Trockner, Pressen, Spritzguss etc.) sowie in hochautomatisierten Industrien (Förderbänder, UAVs, Roboter etc.) möglich und wichtig, diesen unter anderem flexibel an Stromverfügbarkeit anzupassen. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, in Zeiten, in denen Solarstrom nicht ausreichend verfügbar ist, auf Stromspeicher auszuweichen oder in Teillastbetrieb zu fahren.
  • Die Rolle des Rüstens, das zwar sehr industrieabhängig ist, kann von hoher Bedeutung für Emissionen sein. Im Fokus dabei: Ramp-up Scrap und Dead Run-Time. Als Ramp-up Scrap bezeichnet man im Anfahr- und Einstellprozess einer Linie den anfallenden Ausschuss. Dead Run-time bezeichnet die Zeit, in der die Linie ohne zu fertigen läuft, beispielsweise während weitere Einstellungen vorgenommen werden. Bei prozessorientierten Produktionsarten ist das Rüsten in derzeitiger Form durch Ramp-up Scrap und Dead Run-time energetisch nachteilig – besonders wenn in Folgeprozessen energieintensive Linienteile weiterlaufen. Hier gibt es Einsparpotenzial.
  • Moderne Maschinen sind häufig auch auf die Nutzung von Recyclingmaterialien ausgelegt, während ältere Maschinen zumeist nur auf die engen Toleranzen von Neumaterialien ausgelegt waren.
  • Ausschuss und Qualitätsmängel, die zur Nacharbeit oder Entsorgung zwingen, sind mit unnötigen, zusätzlichen Energieaufwänden verbunden. Optimierte Abläufe können diese Aufwände verringern. Analog erhöht hoher Flächenbedarf Heiz- und Beleuchtungskosten. Das mindert die Flächeneffizienz und beeinflusst die Energieeffizienz negativ. Bezüglich der Beleuchtung sind mittlerweile Solarpanels für viele Werke zum CO2-armen Standard geworden.

Welche Rollen spielen Scope 1, 2 und 3?

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Nutzung des Scope-Konzepts, das in der Nachhaltigkeitsberichterstattung verwendet wird. Damit können verschiedene Arten von Treibhausgasemissionen unterschieden und erfasst werden. Scope 1 bezieht sich auf Emissionen, die durch eigene Aktivitäten entstehen und direkt vom Unternehmen verantwortet und kontrolliert werden. Scope 2 bezieht sich auf indirekte Emissionen, die durch beschaffte Energie entstehen. Scope 3 umfasst indirekte Emissionen, die durch vorgelagerte und nachgelagerte Aktivitäten entstehen.

Damit der Umbau zu einer klimaneutralen Fabrik perspektivisch gelingt, ist es ratsam, eine belastbare Emissions-Bilanz nach einer standardisierten Methodik zu erstellen. Der sogenannte GHG Protocol Corporate Standard kategorisiert beispielsweise Emissionen, die mit dem „Corporate Carbon Footprint“ eines Unternehmens in Verbindung stehen, als Scope-1-, 2-, und 3-Emissionen.

Strategie unerlässlich: Schritt für Schritt zur klimaneutralen Fabrik

Wie kann sichergestellt werden, dass klimaneutrale Energie in Deutschland zu wettbewerbsfähigen Preisen zu erhalten ist? Wie gelingt es, entlang der gesamten Lieferkette CO2-bewusst zu agieren? Welche Fördermittel sind geeignet – und wie kann die Weiterqualifizierung der Mitarbeitenden aussehen?

Diese Fragen zeigen, wie umfangreich und breitgefächert das Spektrum an Herausforderungen ist – teils geht es um Aspekte, die außerhalb der eigenen Einflusssphäre liegen. Umso relevanter ist es, pragmatisch das umzusetzen, was betriebswirtschaftlich zweckmäßig und in Eigenregie bereits jetzt machbar ist.

Der Supplier Code of Conduct, ein Verhaltenskodex für Lieferanten, existiert beispielsweise bereits in der Automobilindustrie. Das Ziel: Senkung der Scope-3-Emissionionen bei OEMs (Original Equipment Manufacturer, im deutschen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit Fahrzeughersteller). Dabei steht unter anderem die Dekarbonisierung des eigenen Betriebs sowie vorgelagerter Ketten im Mittelpunkt.

Austausch auf dem Maschinenbau-Gipfel Salon

Wer den Umbau frühzeitig als Werthebel begreift, hat mehr Zeit, kann geschickter umsetzen und sich möglicherweise Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Erste Schritte können indes je nach Größe des Unternehmens sowie Verfügbarkeit von Ressourcen stark variieren. Dies zeigten auch Diskussionen auf dem Maschinenbau-Gipfel Salon jüngst in München, bei dem wir uns über bereits realisierte Projekte mit relevanten Vertretern der Branche ausgetauscht haben.

Dabei wurde eines sehr deutlich: Definitionen und Normierungen sind das eine – viel  wesentlicher ist aber, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jede eingesparte Kilowattstunde, jedes recycelte Material, jeder vermiedene Müll den Anfang macht. Dann kann man die Klimaeffizienz auch zum Bestandteil einer Strategie machen und somit Werte für Mitarbeitende und Kunden beziehungsweise Lieferanten schaffen.

Schließlich führt uns die Verpflichtung zur Transparenz im Sinne einer Berichterstattung ohnehin zu einem Umdenken. Unternehmen, die bereits vor Jahren die Verantwortung zu einem klimaschonenden Wirtschaften erkannt haben, haben nun die Nase vorn.

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