Vom Nachhaltigkeitssiegel nach selbsterstelltem Branchenstandard bis zur Werbung für vermeintlich „klimapositive“ Produkte: Irreführendes Marketing, ob bewusst oder unbewusst, soll künftig in der EU untersagt werden. Zwei ineinandergreifende Regelwerke, die EmpCo-Richtline („Empowering consumers for the green transition“) sowie die Green Claims Directive, verändern die Rahmenbedingungen für Unternehmen grundlegend. Ein Ziel: Greenwashing verhindern, indem Nachhaltigkeitsangaben von unabhängigen Dritten Parteien verifiziert werden. Im Fokus des Gesetzgebers steht unter anderem das sogenannte Greenhushing. Im Kompakt-Interview erläutert Paula Auer-Saupe, Senior Managerin, Audit, was die Hintergründe und Inhalte der neuen Vorgaben sind und wie Unternehmen Bußgelder vermeiden können.
Frau Auer-Saupe, EmpCo und Green Claims Directive sind Begrifflichkeiten, die derzeit bei vielen Unternehmen diskutiert werden. Was steckt hinter den Schlagworten – und was ist für Unternehmen besonders wichtig zu wissen?
Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, was die Basis beider Richtlinien ist: der EU Green Deal. Dahinter steht das Ziel, europaweit einheitliche Standards herzustellen und somit die Veröffentlichung von transparenten und wahrheitsgemäßen Informationen durchzusetzen. Mit Maßnahmen wie den beiden Richtlinien werden Verbraucherinnen und Verbraucher befähigt, fundierte Kaufentscheidungen zu treffen und somit zur Nachhaltigkeit beizutragen. Für Unternehmen ändert sich insofern die Sachlage, als dass mit mehr Rechtssicherheit zu rechnen ist. Zu Nachhaltigkeitsangaben dürfen nur noch eindeutige, objektive, öffentlich zugängliche und überprüfbare Inhalte gehören. Umweltzeichensysteme und Umsetzungspläne sind regelmäßig von unabhängigen Sachverständigen, wie beispielsweise der KPMG Cert GmbH, überprüfen zu lassen.
Bauen die beiden Richtlinien aufeinander auf?
Sie greifen ineinander. Die EmpCo-Richtlinie beleuchtet das Thema aus Verbraucherschutzperspektive und verbietet die Tätigkeit fälschlicher Aussagen. Die Green Claims Directive legt Kriterien fest, die Unternehmen erfüllen müssen, und gibt vor, wie die technische Umsetzung aussehen soll, um umweltbezogene Aussagen zu tätigen. Verboten werden irreführende Umweltaussagen, intransparente Nachhaltigkeitssiegel sowie Praktiken zur sogenannten frühzeitigen Obsoleszenz, also der in Kauf genommene oder bewusst herbeigeführte vorzeitige Verschleiß von Produkten, die eigentlich viel länger halten könnten. Es gibt also zukünftig konkrete Vorgaben für objektiv als korrekt einzustufende Öffentlichkeitsangaben. Das ist eine große Änderung, die voraussichtlich dem Greenhushing entgegenwirken wird.
Was meinen Sie mit Greenhushing genau?
Greenhushing bedeutet, dass Unternehmen, die sich bereits nachhaltig engagieren, nicht zuletzt wegen der unklaren rechtlichen Lage von einer externen Kommunikation der Nachhaltigkeitsagenda bewusst absehen. Sie schweigen über die „Einstellung“ von bereits kommunizierten Umweltzielen, um Risiken zu vermeiden. Die bisherigen Beurteilungsgrundsätze von Umweltwerbung sind tendenziell bereits streng und restriktiv, allerdings bislang lediglich nachträglich durch Gerichte zu überprüfen. Unternehmen trafen also mitunter folgenreiche Entscheidungen, die sogar zu hohen Bußgeldern führten. Die neue Regulierung ist daher vorteilhaft, denn mit den Pflichten kommt Planungssicherheit.
Was bedeutet das für Unternehmen in der Praxis? Wie kann man sich die anstehenden veränderten Prozesse vorstellen?
Erstens ist es ratsam, dass sich Unternehmen bei ihren Nachhaltigkeitsangaben auf anerkannte internationale Standards berufen, die von unabhängigen Drittparteien überprüft werden können. Das ist eine erhebliche Stärkung der Verifizierungsstellen und somit der Transparenz für die EU-Bürgerinnen und -Bürger. Ein Standardverifizierungsprozess kann kompakt zusammengefasst etwa so ablaufen: Nach einem Vorgespräch mit einem interessierten Kunden wird diesem eine Dokumentenliste zugestellt mit einzusehenden Unterlagen während des Audits, ehe ein international aufgestelltes Audit-Team gemeinsam mit dem Kunden vor Ort die Verifizierung diskutiert und durchführt. Am Ende des Prozesses ist gewährleistet, dass der Kunde im Einklang mit der angewandten Norm agiert.
Wie ist die aktuelle Lage einzuschätzen: Sind die anstehenden Änderungen schon in allen Unternehmen angekommen?
Große Unternehmen, etwa DAX-Konzerne, sind bereits breit aufgestellt. Sie haben meist einen Überblick über die anstehenden Regulierungen. Wir merken, dass der Mittelstand nun nachzieht. Es ist insgesamt festzustellen, dass die Nachfrage nach transparenten Systemen steigt, die glaubwürdige Aussagen sicherstellen. Führungskräfte fragen sich unter anderem: Wie kann ich garantieren, dass Nachhaltigkeitsberichte zur Lieferkette glaubwürdig sind? Zertifizierungen von unabhängigen Dritten werden zum integralen Bestandteil.
Sind die Inhalte der Richtlinien denn bereits final festgelegt und verabschiedet?
Die EmpCo-Richtlinie wurde vom EU-Parlament im Januar 2024 angenommen. Der EU-Rat hat der Richtlinie im Folgemonat zugestimmt, die Beschlussfassung ist damit abgeschlossen. Im März wiederum hat das EU-Parlament seinen Standpunkt zum Entwurf der Green Claims Directive in erster Lesung angenommen. Die erforderliche Zustimmung durch den EU-Rat steht aber noch aus. EU-Mitgliedsstaaten haben zwei Jahre Zeit, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Es ist für Unternehmen empfehlenswert, sich frühzeitig zu informieren, um rechtliche Risiken künftig möglichst auszuschließen.
Vielen Dank für das Gespräch.