Nach einem mehr als fünf Jahre dauernden Prozess gelang der Durchbruch: Die internationale Unternehmensbesteuerung wird reformiert. Die Finanzminister der 20 größten Volkswirtschaften der Welt (G20) stimmten bei ihrem Treffen in Venedig den Eckpunkten zu, die zuvor 130 Staaten erarbeitet hatten.
Dabei geht es nicht allein um die vielfach berichtete globale Mindestbesteuerung, sondern um zwei Säulen, die man genau betrachten sollte:
- Säule 1: Neuverteilung des Steuersubstrats zwischen den Staaten
- Säule 2: Effektive globale Mindeststeuer in einer Höhe von 15 Prozent
Pillar 1 der globalen Mindestbesteuerung gilt nicht nur für Digitalaktivitäten
Die erste Säule betrifft multinationale Unternehmen mit einem Konzernumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro und einer Umsatzmarge von zehn Prozent und mehr. Sie sollen künftig auch in Ländern Steuern zahlen, in denen sie keine Betriebsstätte, Niederlassung oder Tochtergesellschaft haben, aber Erträge erwirtschaften (Marktstaaten).
Anders als zunächst vor allem von europäischer Seite angestrebt, soll diese Regelung nicht auf digitale Unternehmensaktivitäten beschränkt sein. Es spielt also keine Rolle, in welcher Branche das Unternehmen tätig ist – ausgenommen sind die Finanz- und die Rohstoffindustrie (Bergbau, Öl- und Gassektor).
Damit werden die grundlegenden Rahmenbedingungen neu definiert, wie das Steuersubstrat bei international tätigen Unternehmen aufgeteilt wird. Dies ist unter anderem eine Reaktion auf das Vorgehen einzelner Staaten, die mit der Einführung einer unilateralen Digitalsteuer vorgeprescht sind, wie z. B. Frankreich, Italien und Spanien.
Vor allem die US-amerikanische Regierung knüpft die jetzt ausgehandelten Regelungen an die Bedingung, dass im Gegenzug die Digitalsteuern wieder abgeschafft werden. Dies zumindest dürfte bei allen zusätzlichen Belastungen, die die neuen Regelungen bringen werden, positiv für Unternehmen sein.
Globale Mindestbesteuerung macht internationale Unternehmensbesteuerung komplizierter
Die zweite Säule mit Einführung einer effektiven globalen Mindestbesteuerung von 15 Prozent ist relevant für multinationale Unternehmen mit einem Umsatz ab 750 Millionen Euro. Ausgenommen ist die internationale Schifffahrt. Allerdings können Staaten mit einem effektiven Steuersatz von derzeit unter 15 Prozent nicht zu einer Anhebung gezwungen werden.
Deshalb wird die Mindestbesteuerung letztlich auf eine Nachforderung hinauslaufen: Das Land, in dem das multinationale Unternehmen seinen Sitz hat, kann Gewinne von Tochterunternehmen nachbesteuern, wenn die Gewinne im Ansässigkeitsstaat der Tochter nicht effektiv mit mindestens 15 Prozent besteuert wurden. Diese Regelung birgt das Risiko, das Steuerrecht unnötig zu verkomplizieren.
Internationales Steuerrecht wird mit der globale Mindestbesteuerung an die digitale Welt angepasst
Mit den Maßnahmen wollen die G20 der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft begegnen. So wird die zweite Säule – auch wenn sie nicht auf digitale Aktivitäten beschränkt ist – insbesondere Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen und immateriellen Wirtschaftsgütern betreffen, etwa hinsichtlich ihrer Gewinne aus Patenten oder Lizenzen.
Die angestrebte Anpassung der globalen Steuerarchitektur an das Digitalzeitalter ist nachvollziehbar. Die Grundregeln des internationalen Steuerrechts entstanden in den 1930er Jahren und wurden kontinuierlich weiterentwickelt, ausgerichtet an den damaligen Geschäftsmodellen. Doch die globale Wirtschaft hat sich inzwischen gewaltig verändert.
Die Digitalisierung hat Geschäftsmodelle transformiert, die Wertschöpfung verlagert sich zunehmend auf die intelligente Analyse und Verwertung von Daten und Informationen. So hat die eigentliche Hardware eines Smartphones kaum einen Wert ohne die dafür verfügbaren Apps und Daten, die sich darauf befinden bzw. damit ausgetauscht werden. Auch die Geschäftsmodelle traditioneller Unternehmen werden zunehmend digital. So wird beispielsweise auch das Auto zunehmend ein digitales Produkt.
Auf diese Entwicklungen reagiert die internationale Staatengemeinschaft im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung, etwa durch das vor nahezu zehn Jahren gestartete BEPS-Projekt („Base Erosion and Profit Shifting“) von OECD und G20. So wird wie oben beschrieben das Besteuerungsrecht in der zweiten Säule ausgeweitet: Bislang gilt der Grundsatz, dass Gewinne nur in den Staaten besteuert werden können, in denen das Unternehmen eine physische Präsenz hat – doch digitale oder immaterielle Wirtschaftsgüter erfordern in der Regel keine Fabriken oder Niederlassungen.
Unternehmen sollten potenzielle Folgen ermitteln
Angestrebt wird ein Inkrafttreten der Regelungen ab 2023. Zwar müssen die Details noch beschlossen werden. Dafür wird es weitere Verhandlungen geben, das nächste G20-Treffen ist für den Oktober 2021 angesetzt. Dennoch erscheint der Termin 2023 nicht unrealistisch.
Außerdem stehen jetzt die Eckpfeiler fest, auf die sich die Unternehmen einzustellen haben. Daher mein Ratschlag: Führen Sie nun eine Simulation durch, um grob zu ermitteln, wie sich die Regelungen für Sie auswirken werden und welche Chancen und Risiken sich für Sie ergeben. Für die erste Analyse benötigen Sie lediglich zweierlei: die Daten der Umsätze, die Sie in den jeweiligen Ländern erwirtschaften, und die Angaben aus dem Country-by-Country-Reporting. So lassen sich potenzielle zusätzliche Steuerbelastungen abschätzen. Geeignete Tools erlauben es zudem, verschiedene Szenarien durchzuspielen.
Gewaltiger Zusatzaufwand
Auf die Ausgestaltung der Eckpunkte darf man gespannt sein. Hier herrscht ein hohes Maß an Gestaltungsspielraum, und es sind viele Aspekte detailliert zu definieren. Für eine einheitliche Umsetzung einer Mindestbesteuerungsgrundlage (Säule 2) wird zum Beispiel eine einheitliche globale Bemessungsgrundlage zur Berechnung der effektiven Steuerlast benötigt.
Es steht zu befürchten, dass einer nur unwesentlich größeren Einheitlichkeit im globalen Steuerrecht den Unternehmen ein enormer organisatorischer Aufwand entgegensteht. Die neuen Regelungen kommen zu den gesetzlichen Vorgaben hinzu, die bereits in Kraft sind oder demnächst Anwendung finden werden. Dazu zählen etwa die seit 1. Juli 2020 geltende Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle (DAC6) und die Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD) der EU in Deutschland.
Zudem könnten Staaten, die bislang aufgrund ihrer im Vergleich niedrigeren Körperschaftsteuer attraktiv waren, versuchen, ihre Standortattraktivität auf andere Weise zu sichern. Zwar existieren in der EU strenge Regeln zu Subventionen, aber die Wahrscheinlichkeit eines verstärkten Subventionswettbewerbs besteht.
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