Aus dem Alltag kennt jeder Situationen, in denen man sich nicht wohl bei einer Entscheidung fühlt und weiß, dass man das Falsche tut. „Wenn ich das eine Mal nicht den Müll trenne, ist das schon nicht so schlimm, ich mache das ja sonst immer“, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei solchen Entscheidungen empfinden Menschen ein psychologisches Unbehagen, eine sogenannte kognitive Dissonanz.
Um dieses Unbehagen loszuwerden und unser positives Selbstbild aufrecht zu erhalten, wenden wir moralpsychologische Tricks an. Das ist bei wirtschaftskriminellen Handlungen (zum Beispiel Betrug, Untreue, Korruption, Diebstahl) ganz ähnlich.
Was sind das für Tricks und wie funktionieren sie?
Es handelt sich dabei um Rationalisierungstechniken. Sie laufen im Gehirn in Bruchteilen von Sekunden ab. Rationalisierungen sind innerliche Rechtfertigungen, die unser schlechtes Gewissen beseitigen und dafür sorgen, dass wir uns in einem positiven Licht sehen. Nicht ohne Grund empfinden wir uns als ehrlicher und integrer als unsere Mitmenschen. Während wir unsere schlechten Taten rechtfertigen, betrachten wir bei unseren Mitmenschen lediglich das äußere Verhalten und ziehen daraus Rückschlüsse auf deren Charakter.
Diese verzerrte Wahrnehmung kann man auch im Unternehmensumfeld beobachten. So halten die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte ihr Unternehmen im Gegensatz zu den Wettbewerbern für moralisch einwandfrei.
Welche Auswirkungen haben Rationalisierungen?
Da wir täglich Entscheidungen treffen, die unseren Einstellungen widersprechen, ist dieser Schutzmechanismus überlebensnotwendig. Gäbe es ihn nicht, wäre das Bild, das wir von uns haben, extrem getrübt. Aber die negativen Folgen solcher Rationalisierungstechniken können fatal sein. Eine Führungskraft oder ein Mitarbeiter könnte beispielsweise dolose Handlungen im Betrieb mit „Das schadet dem Unternehmen doch nicht“ oder ähnlichen Aussagen rechtfertigen.
Die Gefahr liegt in allzu optimistischen Entscheidungen. Ein Beispiel: Werden die Geschäftsergebnisse nach oben korrigiert, steigen die Erwartungen der Mitarbeiter, Führungskräfte, Gesellschafter und aller weiteren Stakeholder. Das hat auch Folgen für das Handeln von Wirtschaftskriminellen. Sie gehen dann davon aus, dass die Ergebnisse der nächsten Periode so gut sein werden, dass sie
- die manipulierten Ergebnisse der vergangenen Periode aufholen und
- die auf den manipulierten Ergebnissen basierenden Erwartungen erfüllen werden.
Fraud beginnt dabei oft mit Beträgen, die für den Unternehmenserfolg nicht wesentlich sind und vermeintlich als noch kontrollierbar eingeschätzt werden. Um den Betrug zu kaschieren, entwickeln sich in der Folge allerdings komplexe und gefährliche Fraud-Schemata, die nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden können. Dann droht nicht nur ein erheblicher finanzieller, sondern auch ein nicht zu unterschätzender Reputationsschaden.
Sind interne Kontrollen hilfreich, um Fraud zu verhindern?
Straftaten werden meist von denen begangen, die das Gefühl haben, ihre Vertrauensposition ausnutzen zu können, oder die Fähigkeiten besitzen, eine kriminelle Handlung durchzuführen. Tatsächlich können Führungskräfte sowie einige Mitarbeiter aufgrund ihrer Verfügungs- und Dispositionsmacht Kontrollen aushebeln, umgehen oder abändern. Zur Ausübung der Tat zieht man möglicherweise Vertraute aus den Fachabteilungen hinzu. Diese agieren wissentlich oder unwissentlich im blinden Vertrauen.
Interne Kontrollen sind damit kein besonders wirksames Instrument, um das Gelegenheitspotenzial zu verringern. Es könnte eher durch eine externe Kontrolle beeinflusst werden. Diese suggeriert, dass ein bestimmtes Vorhaben verboten ist. Allerdings überwiegt beim Wirtschaftskriminellen der Optimismus, dass seine Handlung zum Erfolg führt – sei es für ihn persönlich oder für das Unternehmen. Hat er sein Vorhaben bereits rationalisiert, ist eine Kontrolle oft unwirksam.
Wie kann man Rationalisierungen verhindern?
Führungskräfte und Mitarbeiter erkennen oft gar nicht, wie sie sich selbst manipulieren und welche Folgen daraus entstehen können. Tatsächlich sind Rationalisierungen wie „Ich mache das doch nur zum Wohl des Unternehmens“ meist ernst gemeint, und man sieht sich als Samariter des Unternehmens. Ein Beispiel ist die Nichterfüllung einer Kreditvereinbarung mit einer Bank. Sie kann zur Folge haben, dass notwendige Investitionen nicht getätigt werden können.
Ohne eine reflektierte Herangehensweise an kritische Fragen ist es für eine Person nahezu unmöglich, die Konsequenzen eines solchen Handelns abzuwägen und zu erkennen. Getrieben von übertriebenem Optimismus werden negative Folgen ausgeblendet. Die präventive Arbeit liegt hier nicht nur darin, dass Druck- oder Gelegenheitspotenzial durch interne Kontrollen zu reduzieren. Es kommt auch darauf an, das Risikobewusstsein und die Reflexionsfähigkeit gezielt zu fördern und zu stärken. Diese Schulungen und Weiterbildungsangebote können sich positiv auf die Integrität aller Angestellten auswirken.