Forensische Untersuchungen sind nicht nur Bestandteil spannender Kriminalserien. Auch in der Wirtschaft kommen sie zum Einsatz, indem unternehmensinterne Ermittlungen bei Verdacht auf wirtschaftskriminelle Handlungen aufgenommen werden. Im Interview geben Barbara Scheben, Head of Forensic, und Alexander Geschonneck, Partner Forensic, Einblicke in ihren Arbeitsalltag.
Frau Scheben, können Sie das Tätigkeitsfeld Forensik genauer beschreiben?
Barbara Scheben: Spätestens seit Wirecard spricht auch die Politik von Forensik. Dies zeigt, welche Tragweite die Fälle haben können, mit denen wir uns Tag für Tag beschäftigen. Forensik macht nicht dasselbe wie die Polizei oder die Staatsanwaltschaft. Wir sind auch keine Detektive. Stattdessen beschäftigen wir uns sehr stark mit Details: Wir werten zum einen große Mengen an sogenannten strukturierten Daten aus, zum Beispiel Zahlungs- und Buchhaltungsdaten, zum anderen auch unstrukturierte Daten wie E-Mails oder Chatverläufe von Personen.
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Außerdem führen wir forensische Interviews mit Zeugen und Beschuldigten. Wir haben aber nicht dieselben Befugnisse wie Polizei oder Staatsanwälte, das heißt, wir können niemanden vorladen oder zwingen, mit uns zu sprechen. Wir brechen auch keine verschlossenen Türen auf oder durchsuchen heimlich Büroräume, sondern wir handeln transparent. Wer mit uns spricht, tut dies im weitesten Sinne freiwillig bzw. wegen arbeitsrechtlicher Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber. Wenn wir Daten auswerten oder Hintergrundrecherchen durchführen, dann gibt es den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen müssen.
Um es pointiert auszudrücken: Wir sind eine Art Feuerwehr. Wir kommen dann, wenn es brennt, also wenn ein konkreter Straftatverdacht im Raum steht und klären dann mit unseren erprobten Untersuchungsmethoden den Sachverhalt auf. Wir stellen fest, wer in die Tat involviert war und wer vielleicht auch die Verantwortung trägt, selbst wenn er nicht aktiv gehandelt hat. Wir bestimmen die Schadenshöhe und erstatten dann unserem Mandanten, und in manchen Fällen auch den Ermittlungsbehörden, Bericht.
Sie erhalten also den Auftrag zu Untersuchungen. Wer beauftragt Sie konkret und wie können Sie Ihre Unabhängigkeit garantieren, Herr Geschonneck?
Alexander Geschonneck: Es hängt vom Sachverhalt ab, wer uns beauftragt. Das können zum Beispiel der Vorstand bzw. die Geschäftsführung oder der Aufsichtsrat sein. Das ist immer davon abhängig, was gerade passiert ist, wer im Mittelpunkt der Vorwürfe steht und wer einen Aufklärungswunsch oder vielleicht sogar eine Aufklärungspflicht hat.
Das Thema Unabhängigkeit ist sehr wichtig. Wir haben nicht die Rolle eines Rechtsanwalts, der ein Unternehmen mit juristischen Mitteln verteidigt. Wenn wir kommen, nehmen wir keine Partei ein, sondern sind gesetzlich zur Unabhängigkeit verpflichtet. Wir orientieren uns ausschließlich an den Fakten und versuchen, auf den unterschiedlichsten Wegen nach Informationen zu diesen im Raum stehenden Vorwürfen zu suchen oder gegebenenfalls weitere Verstöße zu finden.
Wir führen ein Unternehmen durch eine Krise, denn die Aufklärung eines Sachverhaltes ist auch immer fester Bestandteil eines Krisenmanagements. Auch Dritte, also die Öffentlichkeit, Behörden, Eigentümer und die Presse verlangen in der Regel eine unabhängige Darstellung der Fakten. Uns hilft dabei auch, dass in einem guten Compliance-Management-System die Aufklärung von Fehlverhalten und Straftaten enthalten sein soll.
Wie gelangen Sie mit diesem externen Blick an die Fakten?
Alexander Geschonneck: Grundsätzlich arbeiten wir mit vier Erkenntnisquellen, die wir in unseren Untersuchungen heranziehen. Das sind die klassischen Unterlagen aus Papier, die wir uns anschauen, also Verträge, Rechnungen oder Richtlinien. Hinzu kommt die Analyse von strukturierten und unstrukturierten Daten. Hier spielt auch der Datenschutz eine Rolle, denn es handelt sich oftmals um personenbezogene Daten und damit um hochgradig sensible Informationen.
Eine weitere Erkenntnisquelle sind Hintergrundrecherchen zu juristischen und natürlichen Personen. Wir schauen uns die Verflechtungen zwischen den involvierten Personen an und stellen beispielsweise Interessenskonflikte fest.
Die letzte Erkenntnisquelle sind Gespräche. Wir sprechen mit möglicherweise Verdächtigen und mit Zeugen, indem wir sogenannte Informationsgespräche führen. Auf diese Weise verschaffen wir uns ein gutes Bild von der Organisation, um die Unternehmensstrukturen zu verstehen und Erkenntnisse über die prozessualen Abläufe zu erhalten. Die Täter versuchen jedoch häufig, ihre Beteiligung zu leugnen oder die Schuld auf andere zu lenken.
Wie gestaltet sich das Verhältnis zu den Verdächtigen während der Untersuchungen?
Barbara Scheben: Wir werden selten mit offenen Armen und Begrüßungskomitee empfangen. Es besteht ein eher distanziertes Verhältnis zu den beteiligten Personen. Auch das Nicht-Herausgeben von Informationen oder die fehlende Bereitschaft mit uns zu sprechen – was grundsätzlich in Ordnung ist – ist natürlich eine Botschaft.
Häufig spielt auch der Sachverhalt eine Rolle. Wenn der Beschuldigte beispielsweise schon mehr oder weniger feststeht und freigestellt ist, dann ist es vergleichsweise unkompliziert für uns. In diesem Fall brauchen wir uns weniger Sorgen zu machen, dass etwa Beweismittel kompromittiert werden, während wir parallel untersuchen, weil die verdächtige Person nicht mehr im Unternehmen ist.
Allerdings haben wir auch sehr häufig große, komplexe Sachverhalte zu untersuchen, in denen mehrere Akteure eine Rolle spielen. Die Stimmung ist dann deutlich kühler und wir erhalten Informationen gelegentlich stark zeitverzögert oder gar nicht mehr, weil sich die Personen zum Beispiel absprechen oder versuchen zu taktieren. Ein Stück weit ist dieses Verhalten natürlich erwartbar, denn es geht nicht nur um Geld – sondern auch um Freiheitsstrafen. Die Personen haben deshalb auch existenzielle Ängste und damit müssen wir als Profis umgehen.
Sie haben ein Team hinter sich, das mit Ihnen arbeitet. Wie aufwändig ist die Arbeit für das Team?
Barbara Scheben: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben zum Beispiel kleine Untersuchungen, bei denen vier oder fünf Personen über drei bis fünf Wochen beschäftigt sind. Bei diesen Untersuchungen geht es dann um Einzeltäter mit einem klaren Sachverhalt. Wir haben aber auch eine große Anzahl an Projekten, die sich über Monate oder teilweise sogar Jahre erstrecken und an denen 20, 30 oder mehr Kollegen mitarbeiten. Das bedeutet einen hohen Organisationsaufwand und ist sehr komplex.
Insbesondere bei sehr großen Unternehmen gibt es auch einen massiven öffentlichen Druck, da Sachverhalte schnell aufgeklärt werden sollen. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?
Alexander Geschonneck: Natürlich wollen die Beteiligten ihr Ergebnis schnell erhalten, aber diesem Druck sind wir gewachsen und die Kollegen sind professionell genug, sich davon nicht ablenken zu lassen. Gelegentlich ist der Druck aber natürlich bei allen Kollegen zu spüren.