Onlinehandel Person übergibt Korb mit Lebensmitteln

Online-Kauf von Lebensmitteln: Das unterschätzte Risiko

Warum Online-Händler für signifikante LEH-Umsätze die Kühlkette nicht beherrschen müssen

Online-Shopping wächst: Knapp jeder Fünfte kauft mittlerweile mehrmals pro Woche im Internet ein. Bei Büchern, Spielwaren, Mode und CDs ist der Kauf im Netz für viele längst Standard, doch auch im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) sind erste Vorboten einer breiteren Online-Akzeptanz sichtbar.

Zwar beträgt der Marktanteil der online gekauften Lebensmittel am gesamten LEH-Umsatz in Deutschland nur etwa 1,5 Prozent. Zum Vergleich: Die Briten beziehen bereits 7 Prozent der Lebensmittel online, in Asien regional in Teilen nochmals höher. Doch die hiesigen – relativen – Wachstumsraten sind gewaltig: Im ersten Quartal 2019 legte E-Food um rund 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu.

In der jüngsten Online-Shopping-Studie von KPMG gab bereits jeder vierte Befragte an, gelegentlich oder gar regelmäßig Lebensmittel und Getränke im Internet zu kaufen. 44 Prozent zeigten sich aufgeschlossen gegenüber solchen Online-Bestellungen. Eine hohe Akzeptanz signalisieren Verbraucher insbesondere für den Online-Kauf haltbarer Produkte, deutlich weniger jedoch im Hinblick auf frische und gekühlte Lebensmittel sowie Obst und Gemüse.

Konserven brauchen keine Kühlkette

Angesichts solcher Umfrageergebnisse wiegen sich viele stationäre Händler in trügerischer Sicherheit. Sie sehen kein Risiko für ihr Geschäft, in der Annahme, ihre Kernkompetenzen – insbesondere das komplexe Handling durchgängiger Kühlketten und von empfindlichen Waren – würden von Onlinern nicht beherrscht.

Was viele Händler unterschätzen: Der Lebensmitteleinzelhandel bietet Online-Anbietern großes Potenzial, ohne dass sie diese Kernfähigkeiten besitzen müssen. Das Trockensortiment (Zucker, Salz, Mehl, Reis, Nudeln, Konserven u. Ä.) ist ebenso wenig temperaturrelevant wie Wasch- und Putzmittel, Drogerieprodukte, Getränke und Haustierprodukte wie Katzenstreu oder Hundefutter.

In diesen Kategorien können Online-Shops einfach in den LEH-Markt einsteigen. Hinzu kommt: Diese Warengruppen umfassen in hohem Maße Produkte, für die Konsumenten nicht jedes Mal neu eine Wahlentscheidung fällen. Der Einkauf von Pasta, Essig und Öl, Geschirrspülreiniger oder Toilettenpapier ist eine Standardaufgabe ohne hohe Emotionalität. Außerdem hat der Kunde kaum das Bedürfnis, diese Produkte vor dem Kauf zur Qualitätskontrolle in die Hand zu nehmen.

Der stationäre Kauf und der Online-Bezug sind in diesen Warengruppen also grundsätzlich austauschbar. Hier können Anbieter im Internet signifikant Umsatz generieren und dem klassischen Handel entziehen, ohne sich dessen Kernkompetenzen in Frische und Theke aneignen zu müssen. 15 bis 20 Prozent des LEH-Umsatzes könnten so binnen zehn bis 15 Jahren ins Internet abwandern.

Hohe Fixkosten, weniger produktive Flächen

Bei solchen Größenordnungen werden die stationären Händler ein massives Problem bekommen. Sie erzielen dann bei konstanten Fixkosten pro Quadratmeter Fläche einen zweistelligen Prozentsatz weniger Umsatz. Das kann angesichts der geringen Margen im heutigen LEH existenzgefährdend sein.

Wie könnten die klassischen Händler auf eine solche Entwicklung reagieren?

Erstens: Sie listen neue Produkte ein, füllen so die Flächen neu auf und gleichen damit wegbrechende Umsätze aus. Diese Erwartung ist immer wieder von Händlern zu hören, sie dürfte jedoch nicht leicht zu erfüllen sein. In Einzelfällen mag es gelingen, neue Produktkategorien aufzunehmen oder beispielsweise Gastronomie-Services anzubieten, die man bisher nicht hatte.

Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, dass sich solche Kanalverlagerungen dauerhaft beliebig kompensieren lassen. Die Zahl neuer Produkte, die nur darauf warten, eingelistet zu werden, ist begrenzt. Ebenso gering dürften die Erfolgschancen sein, die Bestandskategorien auszudehnen – also zum Beispiel sechs statt bisher drei Cornflakes-Sorten anzubieten. Im gesättigten deutschen Markt leiden die Konsumenten nicht unter ungenügender Auswahl.

Standorte auf den Prüfstand

Zweitens: Denkbar wäre, die Verkaufsfläche zu verringern, um den Ertrag pro Quadratmeter zu halten. Aber viele Lebensmitteleinzelhändler besitzen ihre Immobilien selbst, oder die Mietverträge haben sehr lange Laufzeiten. Händler sollten daher verstärkt ein konsequentes Bestands-Controlling vornehmen: In welchen Filialen lässt sich noch Geld verdienen? An den Standorten, wo das nicht mehr der Fall ist, wäre über eine Exit-Strategie nachzudenken.

Umgekehrt kann die Prüfung Standorte ermitteln, an denen das Geschäft dauerhaft gut funktionieren wird – wird dort die Immobilie aktuell nur gemietet, könnte man einen Kauf erwägen. Klassische Lebensmittler werden in Zukunft also nicht umhin kommen, Chancen und Risiken ihrer Immobilien als auch ihres Geschäfts an jedem Standort genau zu messen.