Ein Flugzeug fliegt über ein großes Hafengelände. Zu sehen sind viele Container.

So sollte die Logistikbranche auf das Lieferkettengesetz reagieren

Die neuen Regelungen bergen Risiken – doch es gibt eine besondere Chance zur Kooperation.

Seit Januar 2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitenden oder mehr müssen nun nicht nur ihren Sorgfaltspflichten bezüglich der Menschenrechte im eigenen Geschäftsbereich nachkommen, sondern die Einhaltung der Menschenrechte auch entlang der gesamten Lieferkette sicherstellen.

Für einige Firmen – etwa global agierende Modekonzerne – sind diese Sorgfaltspflichten grundsätzlich nichts Neues. Risikoanalysen und Strategien zur Risikominderung gehören für sie zum Alltag, auch wenn manche Unternehmen noch einen langen Weg vor sich haben. Für andere Branchen – vor allem diejenigen, die weniger in der Öffentlichkeit stehen – sind die Anforderungen dagegen neu. Und sie können überwältigend sein.

Zu dieser letzteren Gruppe zählt die Logistikbranche. Sie setzt sich aus verschiedenen Segmenten zusammen, darunter Lkw-Transport, Luftfracht, Lagerhaltung oder Last-Mile-Delivery. Jeder Teilbereich hat ganz eigene Herausforderungen hinsichtlich der Menschenrechte. Dennoch lassen sich mehrere Aspekte feststellen, die die Branche insgesamt betreffen. Sie bringen für die Einhaltung des Lieferkettengesetzes besondere Anforderungen mit sich.

Warum andere Branchen sich jetzt auf Hochrisikoländer außerhalb Europas konzentrieren

Die Sorgfaltspflichten des LkSG gelten für den eigenen Geschäftsbereich, Tier-1-Lieferanten und in bestimmten Fällen für Tier-N-Lieferanten. Unternehmen sind verpflichtet, auf der Grundlage der Ergebnisse der Risikoanalyse Maßnahmen zur Risikominderung zu ergreifen. Angesichts des insgesamt geringen sozialen Compliance-Risikos in Deutschland und anderen europäischen Ländern depriorisieren viele Unternehmen anderer Branchen ihre europäischen Maßnahmen und konzentrieren sich stattdessen zumindest in einem ersten Schritt auf Due-Diligence-Maßnahmen in Hochrisikoländern.

Diese Strategie wird jedoch in der Logistikbranche nicht funktionieren, da sich Menschenrechtsfragen mit Blick auf körperlich anstrengende Arbeitsbedingungen, hohen Termin- und Leistungsdruck sowie Arbeitszeitüberschreitungen – um nur wenige Herausforderungen zu nennen – auch in vermeintlichen Niedrigrisikoländern wie Deutschland stellen.

Logistiker operieren global – das macht die Aufgaben komplexer

Die Leistungen der Logistikbranche erstrecken sich über den gesamten Globus: Gerade die Seeschifffahrtsbranche steht vor massiven Menschenrechtsproblemen in internationalen Gewässern. Auftragnehmer, die für den Transport von Konsumgütern in Produktionsmärkten zuständig sind, sehen sich gerade international häufig mit komplexen Aufgaben in Bezug auf Arbeitszeiten und Bezahlung konfrontiert.

Wie womöglich auch kleine Unternehmen künftig Sorgfaltspflichten nachweisen müssen

Wie in allen Branchen, unterliegen auch in der Logistik große Unternehmen dem LkSG: Aktuell gelten die Regelungen für Firmen mit 3.000 Beschäftigten oder mehr. Von 2024 an betrifft das Gesetz auch Firmen mit „nur“ 1.000 Beschäftigten. Aber: Auch kleine Unternehmen sind indirekt betroffen, wenn sie Geschäftspartner von verpflichteten Unternehmen sind.

Zum Beispiel können KMUs, die als Zulieferer eines in der gesetzlichen Verantwortung stehenden Unternehmens agieren, verpflichtet werden, einen sogenannten Supplier Code of Conduct zu unterzeichnen und Nachweise zu übersenden, die die Erfüllung der Sorgfaltspflichten als Zulieferer belegen. KMUs könnten daher bald mit einer Flut unterschiedlicher Fragebögen konfrontiert werden, da große Unternehmen die Sorgfaltspflichten bisher kaskadenartig in ihrer Lieferkette verteilen.

Zwar sind anfängliche Unsicherheiten beim Umgang mit Leiharbeitnehmer:innen, Teilzeitkräften und studentischen Mitarbeiter:innen in der Auslegung des Gesetzes mittlerweile geklärt, doch ein systemimmanentes Problem der Logistikbranche bleibt offen: Sollten Dienst- sowie Werkverträge mit Einzelunternehmer:innen oder sogenannten Selbstfahrer:innen im Sinne einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung behördlich auf den Prüfstand kommen, so stünden Logistikunternehmen unter Umständen gleich vor einer zweiten Herausforderung: ungeplante Überschreitung des Mitarbeiter:innen-Schwellenwerts, ab dem ein Unternehmen zur Einhaltung des LkSG verpflichtet ist.

Das Thema Lieferkettengesetz trifft die Logistikbranche aktuell obendrein in einer ökonomisch schwierigen Zeit. Die Corona-Krise legte Bruchstellen offen, hinzu kommen seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine stark gestiegene Energiepreise. Infolgedessen ist die Branche besonders kostensensitiv.

Kollaborationen als neuer Lösungsansatz

Doch trotz der angespannten Lage gibt es auch eine große Chance: Der globale Charakter der Herausforderungen, die Kostensensibilität der Unternehmen sowie die breite Geltung des Gesetzes innerhalb der Logistikbranche schaffen einen Anreiz für Unternehmen aller Größenordnungen, einen branchenweiten Ansatz zu verfolgen. So können die anstehenden Aufgaben Seite an Seite bewältigt werden.

Die Entwicklung von branchenweiten Standards und ein gemeinsames Konzept für Risikominderungsstrategien und Präventivmaßnahmen wären weitaus effektiver und effizienter als ein autonomes, paralleles Arbeiten jedes einzelnen Unternehmens. Die gemeinsame Ausarbeitung eines robusten, partizipatorischen und umfangreichen Schulungsprogramms, das auf die besonderen Gegebenheiten der Logistikbranche eingeht und als „Goldstandard“ für die gesamte Lieferkette dient, würde allen Beteiligten deutlich mehr nützen als ein Konvolut einzelner Schulungsprogramme.

Eine bestehende Branchengruppe könnte als Plattform für diese Zusammenarbeit dienen. Alternativ könnte die Gründung einer neuen, offenen Branchengruppe, die sich mit ESG-Themen befasst, einen Multistakeholder-Ansatz ermöglichen.

Klar ist letztlich: Die Sorgfaltspflichten des LkSG können zunächst übermächtig bis erdrückend wirken, und einige Unternehmen haben mutmaßlich merkbaren Nachholbedarf. Mit frühzeitigen Investitionen ergibt sich aber eine positive Langfristperspektive. So kann sichergestellt werden, dass neue Prozesse, Verfahren und Strategien nachhaltig in bestehende Unternehmensstrukturen integriert werden. Wichtig ist zudem: Die Logistikindustrie kann mit Kooperationen präventiv selbst dafür sorgen, eine solide Grundlage für künftige rechtliche Anforderungen aufzubauen – denn weitere Gesetzesverschärfungen sind wahrscheinlich.


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