Was schätzen Sie: Wie viele Unternehmen in Deutschland, die mehr als 50 Millionen Euro Umsatz machen, sind familiengeführt? Vielleicht jedes zehnte? Mehr, sagen Sie? Es ist laut der Stiftung Familienunternehmen mit 46 Prozent sogar fast die Hälfte – eine eindrucksvolle Zahl, die die enorme volkswirtschaftliche Relevanz der Familienunternehmen in Deutschland verdeutlicht.
Angesichts der komplexen ökonomischen Gemengelage, die unter anderem von diversen geopolitischen, technologischen und regulatorischen Einflussfaktoren geprägt wird, ist die Analyse aktueller Aufgabenstellungen von Familienunternehmen umso wichtiger. Welche Aspekte sollten Führungskräfte 2024 besonders im Fokus haben, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken – und an welchen Stellen gilt es, womöglich nachzuschärfen?
Familienunternehmen: Besondere Stärken, besondere Herausforderungen
Vorab: Fest steht, unabhängig von Momentaufnahmen, dass Deutschlands Familienunternehmen beste Voraussetzungen dafür haben, um auch im volatileren Umfeld zu bestehen. Ihre hohen Spezialisierungsgrade führen zu Markteintrittsbarrieren für Konkurrenten, ihre internationale Ausrichtung sowie Diversifikation verstärkt die Robustheit des Geschäftsmodells und ermöglicht breite Risikostreuung. Basis des Erfolgs ist wiederum die stets auf langfristiges, generationenübergreifendes Wachstum ausgelegte Strategie. Mit dieser DNA sind und bleiben Familienunternehmen ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
Gleichzeitig gilt aber auch, dass der Fokus auf Beständigkeit mitunter dazu führt, dass Transformationsprozesse nur schleppend vorangehen und das Ausmaß struktureller Umbrüche unterschätzt wird. Das kann in Zeiten, in denen gleich mehrere Veränderungen erforderlich sind, riskant werden.
Bei den aktuellen Themen gilt es, zwei Kategorien zu unterscheiden: Zum einen gibt es Aspekte, die Familienunternehmen unmittelbar beeinflussen können. Zum anderen rücken externe Rahmenbedingungen in den Mittelpunkt. Letztere liegen im Gestaltungsbereich beispielsweise des Gesetzgebers, der als maßgeblicher Stakeholder darüber mitentscheidet, ob Familienunternehmen in Deutschland zukunftsfest gemacht werden können.
Das sollte jetzt im Fokus von Familienunternehmen sein
- Ganzheitliche Compliance
ESG-Regulatorik, darunter die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), führt zu verpflichtender Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das heißt, dass eine umfassende, testatsfähige Dokumentation der Wertschöpfungskette gewährleistet werden muss. Wie kann ich den neuen Vorschriften sachgerecht und effizient nachkommen? Diese Frage gilt es für Familienunternehmen zu beantworten. Dabei ist es elementar, frühzeitig zu priorisieren und relevante KPIs zu ermitteln. Das Aufschlüsseln eines breiten Spektrums an womöglich unnötigen Kennzahlen ist dagegen ineffizient und kann teuer werden.
Klar ist: Die Compliance-Anforderungen werden deutlich komplexer. Es war deswegen nie wichtiger, aktuelle Gesetze im Blick zu behalten. Ob Auswirkungen des bereits breit diskutierten Carbon Border Adjustment Mechanisms (CBAM) oder die eher weniger bekannten CO₂-Zertifizierungen der EU-Entwaldungsverordnung: Wer die regulatorischen Entwicklungen nicht verfolgt, dem drohen letztlich erhebliche Bußgelder – oder sogar massive Lieferketteneinschnitte: Ware droht schlichtweg in Zolllagern liegen zu bleiben.
Interne Expertise reicht für die Einhaltung dieser vielschichtigen Anforderungen selten aus. Nicht nur um die ausführliche nicht finanzielle Berichterstattung EU-konform sicherzustellen, sondern auch um das gesamte operative Geschäft transparenter zu gestalten, ist es daher ratsam, sich ganzheitliche Unterstützung zu holen. Externe Fachkenntnisse und branchenübergreifende Erfahrung können bei Strategie, Planung und Umsetzung von Compliance-Maßnahmen helfen.
- Diversifizierte Finanzierung
Was tun, um in einem Unternehmen, das seit Jahrzehnten auf langfristigen Erfolg gepolt ist, kurzfristige Effizienzsteigerungen zu erzielen? Das ist in Zeiten anstehender Transformationsprojekte immer größeren Umfangs oft nicht einfach. Da die Notwendigkeit derartiger Effizienzsteigerungen womöglich bislang gar nicht gegeben war, fehlen teils Know-how und finanzielle Mittel. Beides bieten Private-Equity-Investoren. In der Phase des Umbruchs, in der sich Familienunternehmen befinden, können die Fähigkeiten, die die Beteiligungskapitalgeber haben, zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden.
- Vernetzung und Kooperation mit Startups
Traditionsunternehmen und junge Gründer passen nicht zusammen? Stimmt nicht. Ganz im Gegenteil. Innovations-Hubs etwa in Augsburg, München und Berlin zeigen, dass beide Seiten vom direkten Kontakt profitieren. Für Startups ergibt sich zunächst einmal die Perspektive, Gesellschafter zu gewinnen, die anders agieren als beispielsweise Risikokapitalgeber. Das Ergebnis: Eine neue Kapital- und Beratungsquelle abseits des Seed Financings. Und Familienunternehmen bekommen nicht zuletzt wichtige Transformationsimpulse – ob für Geschäftsmodelle, Marketingaktivitäten oder Weiterqualifizierung von Mitarbeitenden.
Auch in traditionellen Familienunternehmen können Finanzinvestoren wichtige Partnerschaftsmodelle eingehen und damit die Transformation des Geschäftsmodells fördern, denn sie haben sich mittlerweile sehr flexibel aufgestellt und damit als Problemlöser in Bereichen der Digitalisierung oder Professionalisierung profiliert.
- Technologie
Der rasante technologische Fortschritt ermöglicht Familienunternehmen erhebliche Wachstumschancen – beispielsweise durch agilere Prozesse, geringere Kosten, minimierte Risiken und die Ansprache ganz neuer Zielgruppen. Wegweisend ist insbesondere die immer leistungsfähigere künstliche Intelligenz. Es zeigt sich in der Praxis, dass first mover in vielen Bereichen bereits enorm profitieren.
Doch die Bandbreite digitaler Lösungen ist schwer zu überblicken. Welches Tool ist jetzt schon sinnvoll, welche Verzahnung essenziell? Wer ist intern zu schulen, welche technischen und prozessualen Details sind beim Datenmanagement zu beachten – und was ist mit der Rechtssicherheit? Um die wichtigsten Fragestellungen zu klären, sollte ein Partner konsultiert werden, der Wissen aus Allianzen mit Software-Anbietern einbringen kann. Eine rechtzeitige Übersicht, bevor beispielsweise Inhouse-Strukturen grundlegend verändert werden, kann Fehler minimieren.
Das sollte jetzt im Fokus des Gesetzgebers sein
- Energie und Infrastruktur
Die Energiekrise trifft Familienunternehmen hart, soviel ist sicher. Wichtig ist aber festzuhalten: Sie steht in etlichen Familienunternehmen derzeit nicht ganz oben auf der Agenda. Weil etliche Familienunternehmen beim Ausbau von energieeffizienter Produktion Vorreiter waren, sind die Preisentwicklungen für andere Unternehmenssegmente besorgniserregender. Für den Fortbestand der großen Anzahl an Familienunternehmen in Deutschland ist eine stringente, verlässliche Energiepolitik aber unverzichtbar. Das Ziel: schnellstmögliche Preissenkungen und Versorgungssicherheit.
Ebenfalls unerlässlich sind Investitionen in die nationale Infrastruktur. Ob Bahn oder Straßenverkehr: Die Voraussetzungen zum Erbringen von Logistikdienstleistungen entlang der gesamten Lieferkette ist vom Staat zu gewährleisten. Familienunternehmen können sich dem internationalem Konkurrenzkampf nicht entziehen – der Standort Deutschland ebenso wenig.
- Steuern
Deutschland ist insgesamt einer der am höchsten besteuerten Standorte Europas. Die Abgaben stellen nicht zuletzt wegen des gestiegenen Kostendrucks hohe Belastungen dar. Das ist ein Standortnachteil – und Steuersenkungen sind gegenwärtig nicht Teil öffentlicher Diskussionen. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, die für Familienunternehmen sehr relevant ist, wird sogar eine zusätzliche Verschärfung debattiert. In anderen Staaten ist diese Steuer unterdessen ganz abgeschafft worden.
Das Wachstumschancenfördergesetz könnte indes künftig die Position der Familienunternehmen verbessern. Das Gesetz umfasst nicht nur breitgefächerte Hilfen etwa hinsichtlich dauerhafter Liquidität, sondern auch Vereinfachungen beim Steuersystem. Pauschalen und angehobene Schwellenwerte sollen Bürokratie abbauen. Das ist ein Ansatz, der optimistisch stimmt.
Fazit
Ich bin davon überzeugt, dass insbesondere Familienunternehmen aus der Polykrise gestärkt hervorgehen. Dabei kommt es letztlich darauf an, in kurzer Zeit viel Neues mit langjährig Bewährtem zu verknüpfen und die Prozesse proaktiv zu gestalten. Meiner Meinung nach erhalten wir im Rahmen der laufenden Transformation ganz neue Werthebel an die Hand. Nutzen wir sie gemeinsam.