Das aktuelle Jahrzehnt ist geprägt von geopolitischen Konflikten und Störfällen sowie wirtschaftlicher Unsicherheit. Das gilt sowohl für Europa als auch weltweit und hat großen Einfluss auf den Standort und die Wirtschaft in Deutschland. Wie der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen kann, war neben der Migrationsdebatte das Topthema der Bundestagswahl am 23. Februar.
Lesen Sie in unserem CEO Outlook, wie Deutschlands Führungskräfte den hiesigen Wirtschaftsstandort beurteilen.
Deutschlands Wirtschaft ist international verflochten
Zunehmender Protektionismus und Nationalismus, staatlich initiierte Cyber- und Fake-Attacken, der Klimawandel, die Alterung der Gesellschaft und Künstliche Intelligenz als nächste Stufe der Digitalisierung: all dies beeinflusst und bestimmt unser Leben und unsere Zukunft mehr und mehr. Fakt ist: wir leben in Zeiten eines massiven und disruptiven Wandels.
Deutschland ist von all diesen Megatrends auch deshalb signifikant betroffen, weil die deutsche Wirtschaft so stark international verflochten ist: In Deutschland sind mehr als 35.000 ausländische Unternehmen tätig und erwirtschaften knapp ein Fünftel der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung. Zugleich sind deutsche Unternehmen neben den US-amerikanischen am globalsten investiert. Durch hohe Arbeitsproduktivität, herausragende Forschung und Entwicklung, technisch ausgereifte Produkte, den Einkauf günstiger Rohstoffe, Energie und Vorprodukte im Ausland, den Aufbau von Produktionsstätten in allen Regionen der Welt und den Absatz in den größten und am stärksten wachsenden Auslandsmärkten der Welt ist es gelungen, dass Deutschland die drittgrößte Industrienation der Welt wurde. Deutschlands Wirtschaftsmodell fußt auf globalem Handel, globaler Vernetzung und hohen Exportüberschüssen. Das Land trägt fünf Prozent zum globalen Bruttoinlandsprodukt bei, stellt aber nur ein Prozent der Weltbevölkerung.
Diese Zahlen zeigen, dass das Decoupling der großen Wirtschaftsmächte USA und China sowie der zunehmende Protektionismus, aber auch die sich sukzessive verschlechterten Standortfaktoren in Deutschland großen Einfluss sowohl auf den Wirtschaftsstandort als auch auf die Aktivitäten deutscher Unternehmen haben.
Auch die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten kann dem Wirtschaftsstandort weiter schaden. Neue Importzölle in die USA würden den deutschen Export massiv verteuern und den Produktionsstandort USA aufwerten. Auch US-Konzerne werden künftig verstärkt im Heimatmarkt statt im Ausland investieren. Geschäftsmodellen deutscher Unternehmen, bei denen lediglich in die USA exportiert, aber nicht in den USA produziert wird, droht das Aus. Betroffen sind auch deutsche Unternehmen, die in den letzten Jahren Produktionsstätten in Mexiko und Kanada aufgebaut haben, um von dort in die USA zu exportieren, denn die neue US-Administration plant auch dies mit Zöllen zu belegen. Ebenso werden deutsche Unternehmen von neuen Zöllen der USA gegen China getroffen werden, denn deutsche Unternehmen sind häufig Zulieferer der chinesischen Wirtschaft, die ihre Fertigprodukte in die USA exportieren.
Eine fortlaufend aktualisierte Analyse der neuesten Entwicklungen in den USA und was Trumps Wirtschaftspläne für deutsche Unternehmen bedeuten, lesen Sie hier.
Deutschland sollte Standort-Stärken selbstbewusster nach außen tragen
Deutschland ist die größte Industrienation Europas, weist die größte Bevölkerung und die höchste Kaufkraft auf, verfügt über eine exzellente Forschungsinfrastruktur und den niedrigsten Verschuldungsstand. Zudem ist Deutschland logistisch zentral gelegen in dem großen EU-Binnenmarkt. Überdies gibt es weitere wichtige Aspekte, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland sprechen. Die sind aus meiner Sicht:
- Qualitätsführerschaft in vielen Branchen
- Hohe Innovationsfähigkeit
- Problemlösungsfähigkeit
- Prozess-Orientierung
- Rechtssicherheit sowie soziale und politische Stabilität
- Internationale Vernetzung und Präsenz
- Hohes Ansehen in der Welt
Diese Stärken sollten die deutsche Wirtschaft, die deutsche Politik und auch die deutschen Medien selbstbewusst betonen. Getreu dem Motto „perception is reality“, denn die Wirklichkeit beeinflussen wir auch durch unsere Wahrnehmung und mit dem Bild, das wir nach außen vermitteln.
Diese Herausforderungen sollten angegangen werden
Auch, wenn Deutschland noch ein beliebter Investitionsstandort ist, befindet sich das Land im dritten Rezessionsjahr, steigt die Arbeitslosigkeit sowie die Anzahl an Insolvenzen und verlagern Unternehmen sukzessive ihre Produktion außerhalb Deutschlands, nicht nur in die USA, sondern auch nach Mittel- und Osteuropa. Es gibt also definitiv Reformbedarf. Dies sind die meines Erachtens wichtigsten Baustellen:
- Investitionen in die logistische und digitale Infrastruktur, in die Verteidigungsfähigkeit und in Zukunftstechnologien bei gleichzeitiger Förderung von Technologieoffenheit
- Abbau der überbordenden Staatsquote – auch der stark gestiegenen Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung- , der aufgeblähten Sozialsysteme und der im internationalen Vergleich höchsten Steuern; zudem Abbau der Ineffizienzen der föderalen Strukturen durch mehr bundesweite Kompetenzen
- Massive Verbesserung der Qualität von Aus- und Fortbildung in Schulen und Universitäten
- Sicherstellung der Energie- und Rohstoffsicherheit zu wettbewerbsfähigen Kosten
- Digitalisierung der Verwaltung
- Abbau von Bürokratie
- Weiterentwicklung der EU hin zu einer echten Fiskal-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Sozialunion
Deutschland stellt mit gut 80 Millionen Menschen nur ein und die Europäischen Union mit etwa 450 Millionen Menschen knapp sechs Prozent der Weltbevölkerung. Tendenz sinkend – bei einer zugleich stark wachsenden Weltbevölkerung in Indien, Afrika und Südostasien. Mein Fazit: Deutschland braucht mit Blick auf die internationale Vernetzung nicht nur eine China- und eine USA-Strategie, sondern eine global ausgerichtete Industriepolitik, die sowohl den Standort Deutschland entwickelt als auch alle Regionen der Welt in den Blick nimmt.
Wir leben in einer Phase fantastischer Chancen
Auch in disruptiven Zeiten gibt es für die deutschen Unternehmen und den Standort Deutschland fantastische Chancen. Um diese zu nutzen, sollten Wirtschaft und Politik miteinander abgestimmter, vorwärtsgewandter, progressiver und strategischer agieren.