Die Ampelkoalition hat ihre Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Wie nicht anders zu erwarten, betont sie die tiefe Verbundenheit Deutschlands mit der Europäischen Union und der NATO sowie die Beziehungen zu wichtigen Partnern wie den USA und Frankreich. Russland wird verständlicherweise als „größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet.
Und: Die Nationale Sicherheitsstrategie bezeichnet China als ein Land, das „immer wieder gegen deutsche Interessen und Werte handelt“, betont aber gleichzeitig, dass China „ein Partner bleibt, ohne den viele Herausforderungen und Krisen nicht gelöst werden können“.
China als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“
Konkreter wird die Bundesregierung in ihrer kürzlich erstmals vorgelegten China-Strategie. Auch darin betont sie einerseits den Willen zur Zusammenarbeit und andererseits Differenzen: In dem Papier heißt es, man wolle an der wirtschaftlichen Verflechtung mit der Volksrepublik festhalten, aber „Abhängigkeiten in kritischen Bereichen“ abbauen, „um von ihnen ausgehende Risiken zu mindern“. China wird als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ bezeichnet.
Was folgt daraus für deutsche Unternehmen? An diese appelliert die Regierung in dem Papier, geopolitische Risiken adäquat zu berücksichtigen und kritische Abhängigkeiten von China zu verringern. Dass die Zeichen in diese Richtung zeigen und Unternehmen gefordert sind, ihr Geschäft entsprechend zu analysieren und ggf. anzupassen, belegen drei weitere Indikatoren – nicht nur aus der Politik.
1. Derisking-Ansatz der G7-Staaten
Der Gedanke der sogenannten „Koopetition“ durchzieht nicht nur das Denken der Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands, sondern auch das der G7-Staaten. Diese haben auf ihrem Gipfel in Japan eine China-Strategie beschlossen, die – so heißt es im Abschlusskommuniqué – nicht darauf abzielt, China zu schaden oder seinen wirtschaftlichen Fortschritt zu behindern. „Kein Decoupling, sondern ein kluges Derisking“, wird Bundeskanzler Olaf Scholz in Medienberichten zitiert.
2. Chinas Technologiesektor „nicht investierbar“
Am 14. März veröffentlichte JPMorgan eine Reihe negativer Berichte über chinesische Technologie-Unternehmen wie den E-Commerce-Giganten Alibaba, den Online-Lebensmittelhändler Dingdong und den Computerspielehersteller Netease.
JPMorgan äußerte sich besorgt über die Aussichten des Sektors für das kommende Jahr, da sich Chinas Wirtschaft abschwäche, der Technologiesektor streng reguliert werde und sich die Beziehungen zum Westen verschlechterten. In einigen Berichten wurde der Sektor sogar als „nicht investierbar“ bezeichnet.
3. Decoupling durch technologieorientierte Wagniskapitalgeber
Sequoia Capital, eine der führenden Risikokapitalfirmen im Silicon Valley, gliedert angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Washington und Peking sein China-Geschäft in eine separate Einheit aus. Sequoia, das auf schnell wachsende Technologie-Unternehmen wie ByteDance, die Muttergesellschaft von TikTok, und Alibaba setzt, teilte im Juni mit, es werde sein China-Geschäft als eine von seinem US-Geschäft „völlig unabhängige“ Einheit führen.
Angesichts der breiten US-Investorenbasis ist Sequoia in letzter Zeit vorsichtiger geworden bei der Unterstützung junger chinesischer Unternehmen in sensiblen Sektoren wie der Halbleiterindustrie. Bereits im vergangenen Jahr hat Sequoia damit begonnen, vor solchen Investitionen externe Politikexpert:innen zu konsultieren.
Deutsche Unternehmen benötigen Strategien für digitales Derisking
Die beschriebenen Entwicklungen zeigen: Derisking ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern ein langfristiger Trend. Zwar streben die westlichen Industriestaaten keine Entkopplung von China (Decoupling) an, aber ein Abbau von Risiken und damit einhergehend eine stärkere Diversifizierung rücken stärker auf die Agenda.
Fonds und Wagniskapitalgeber sind üblicherweise Vorreiter solcher Trends und antizipieren mit ihrer Investment-Steuerung das weitere Derisking der kommenden Jahre. Daher brauchen deutsche Unternehmen Derisking-Strategien für ihre Lieferketten und Technologie.
Letzteres ist insbesondere relevant, da eine funktionierende IT die Grundlage dafür ist, dass die Produktion vor Ort reibungslos läuft. Werke deutscher Unternehmen in China sind zu weiten Teilen auf westlichen Komponenten aufgebaut. Dies kann im Fall von Sanktionen problematisch werden – somit gilt es im Vorfeld Risiken entgegenzuwirken.
Derisking verringert Effizienz
Schritte zur Verringerung von Risiken führen unweigerlich zu Effizienzverlusten bei Shared Services, Outsourcing und Public Cloud:
- Zusätzliche Shoring-Standorte umfassen häufig solche, die in der Vergangenheit aufgrund höherer Kosten bewusst nicht in die engere Wahl gezogen wurden.
- Maßnahmen, die Resilienz der Lieferkette zu erhöhen, erfordern ein komplexeres Dienstleister-Ökosystem und erzeugen damit höhere Kosten.
- Die digitale Entkopplung und eine stärkere Segmentierung der digitalen Infrastrukturen reduzieren Synergien in deren Betrieb.
Letztlich bedeutet Derisking eine zumindest teilweise, also selektive Dekonsolidierung in der Organisation, um die Anfälligkeit für geopolitische Risiken zu verringern – ohne alles wieder vollständig zu trennen. Diesen Mittelweg zu finden, erfordert von Unternehmen eine präzise, datenbasierte Analyse ihrer Strukturen und Prozesse sowie der Wertschöpfungsketten. Dabei bezieht sich eine Derisking-Strategie nicht allein auf IT, sondern ggf. auch auf andere Unternehmensbereiche wie Treasury, Einkauf oder die Finanzabteilung.
Fazit: Der Abbau übermäßiger Abhängigkeiten von bestimmten Ländern und Regionen sowie die Diversifizierung von Standorten und Lieferanten sollte unbedingt unternehmensindividuell, risikoadjustiert und datenbasiert erfolgen. Das heißt: unter Berücksichtigung der spezifischen Risiken der Branche, des Unternehmens, der Outsourcing-Partner und der Shoring-Standorte. Auf diese Weise können Effizienzverluste bei den Technologiedienstleistungen begrenzt werden.