Die Stahlbranche ist als rohstoffnaher Industriezweig ein wesentlicher Teil der deutschen Wirtschaft. Stahl ist als Werkstoff für die Automobilindustrie, für den Anlagen- und Maschinenbau sowie im Bau- und Elektrogewerbe unverzichtbar. Gleichzeitig ist die Stahlindustrie mit knapp 200 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten pro Jahr die größte Treibhausgasproduzentin der deutschen Wirtschaft. Die EU will die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken. Die Stahlhersteller können dazu nur dann ihren Beitrag leisten, wenn sie auf deutlich nachhaltigere, CO2-arme Produktionsverfahren und erneuerbare Energien umstellen.
Die Tücken der Dekarbonisierung
Eine komplette Dekarbonisierung der Stahlherstellung ist unmöglich. Bei der Herstellung von Stahl wird Eisen mit Kohlenstoff angereichert, um Härte und Zugfestigkeit zu erhöhen. Im Stahl selbst ist Kohlenstoff also zwingend notwendig. Im Herstellungsprozess hingegen gibt es enormes Einsparungspotenzial. Da die meisten Hochöfen, in denen das Eisenerz geschmolzen wird, mit Kohle beheizt werden, tragen sie zu besonders hohen CO2-Emissionen bei. Kohle kommt bei der Stahlherstellung noch in einem weiteren Prozess zum Einsatz: In der Natur kommt Eisen hauptsächlich in oxidierter Form vor, also als Sauerstoff-Eisen-Verbindung. Für die Stahlproduktion wird aber reines Roheisen benötigt, Eisen und Sauerstoff müssen daher voneinander getrennt werden. Das geschieht mithilfe von Kohle. In einer chemischen Reaktion verbindet sich der Sauerstoff mit dem Kohlenstoff (C) aus der Kohle und löst sich vom Eisen. So entsteht im Hochofen aus Eisenoxid (Fe3O2) und Kohle reines Eisen und CO2.
Ein klimafreundlicher Herstellungsprozess in der Hochofenroute mit nachhaltigen Energieträgern könnte Abhilfe schaffen und die Produktion von „grünem Stahl“ ermöglichen. Das Know-how hierzu ist vorhanden.
Auch andere Stahlherstellungsverfahren lassen sich klimaneutraler als bisher gestalten. Die Energie-intensive Elektrostahlproduktion, bei der Stahlschrott durch einen Lichtbogen geschmolzen wird, ist mit umweltfreundlichem Strom möglich. Dieser kann beispielsweise durch nachhaltige Windkraft oder Solarenergie bereitgestellt werden.
Vom Windrad zum Stahlträger
Wasserstoff gilt aktuell als klimaneutrales Wundermittel. Wie er zum Mittelpunkt einer dekarbonisierten Wirtschaft werden kann, untersucht KPMG im neuen Whitepaper „Wasserstoff – Energieträger einer klimaneutralen Wirtschaft?“ Bisher findet sich vor allem „grauer“, also aus fossilem Erdgas hergestellter Wasserstoff, in der deutschen Petro- und Basischemieindustrie. Wesentlich umweltfreundlicher, aber zurzeit auch noch kostenintensiver, sind „blauer“, „türkiser“ und „grüner“ Wasserstoff: Bei der Herstellung des Energieträgers werden dann entweder CO2-Emissionen gespeichert, der Kohlenstoff fällt als Feststoff an oder die Prozesse laufen komplett mit erneuerbarem Strom ab. Hier verfolgen Deutschland und die EU ambitionierte Ziele beim Markthochlauf und untermauern dies mit milliardenschweren Förderprogrammen. Unter den 62 Wasserstoffprojekten auf der Förderliste der Bunderegierung von Projekten mit gesamteuropäischem Interesse (Important Project of Common European Interest / IPCEI) befinden sich auch einige Initiativen von Stahlherstellern.
Die Großen machen’s vor
Die Idee von Wasserstoff als Energieträger ist längst in der Industrie angekommen. Der größte deutsche Stahlproduzent will in einem Pilotprojekt als weltweit erster Hersteller die herkömmliche Einblaskohle im Hochofen durch Wasserstoff als Reduktionsmittel ersetzen. Das durch das Land NRW geförderte Projekt soll 2025 Realität werden und 2030 bereits 3 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr liefern.
Die deutsche Nummer Zwei in der Branche erzeugt seit März mit dem Strom aus sieben Windrädern auf dem Firmengelände klimaneutral Wasserstoff, der anschließend anstelle von fossiler Kokskohle beim Stahlkochen zum Einsatz kommen soll.
Aber auch an Herstellern anderer Metalle geht die Entwicklung nicht vorbei. In Hamburg nutzt Europas größter Kupferhersteller statt fossilem Erdgas zukünftig Wasserstoff zur Produktion von Kupferanoden. Bei der Verwendung von Wasserstoff als Reduktionsmittel wird statt Kohlendioxid Wasserdampf frei, wodurch voraussichtlich bis zu 6.200 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden können.
Hohe Investitionen sind notwendig
Die Vorhaben der Konzerne klingen zukunftsfähig und vielversprechend, doch die Innovationen hin zu nachhaltigeren Prozessen haben einen Haken: Sie führen zu wesentlich höheren Kosten als die herkömmlichen Verfahren.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass die Stahlindustrie die Kosten für die Dekarbonisierung nicht allein tragen kann. Das Wirtschaftsministerium geht von Kosten in Höhe von 35 Milliarden Euro aus – 12 Milliarden Euro davon kommen vom Bund. Die Stahlhersteller sind jedoch unsicher, wie der Löwenanteil der Investitionssumme aufgebracht werden soll, denn die Herausforderungen der letzten Jahre haben die Liquidität in der Branche signifikant reduziert.
Auch langfristig werden die Kosten für grünen Stahl höher liegen als für herkömmlichen Stahl, der beispielsweise aus China kommt und schon in der Vergangenheit die europäischen Märkte überschwemmt hat. Heimische Stahlhersteller befürchten daher einen weiteren Verlust von Marktanteilen. Zwar werden wahrscheinlich bald an der EU-Außengrenze Importzölle für nicht nachhaltig erzeugten Stahl über den CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism) erhoben – dies kann aber wiederum das Risiko von Handelskonflikten steigen lassen.
Ein Club für grünen Stahl?
Als Alternative wird eine globale Vereinigung stahlproduzierender Länder gehandelt, die sich gemeinsam der Produktion von grünem, CO2-freiem Stahl verpflichten und einen einheitlichen CO2-Preis vereinbaren. Kooperationen sind nach Meinung von Expert:innen sogar unabdingbar. Denn bei einer Drosselung der Stahlproduktion in Deutschland würden Kapazitäten ins Ausland abwandern, wo wesentlich klimaschädlichere Prozesse in der Stahlherstellung verwendet werden.
Perspektivisch sollten deutsche Stahlhersteller den Schritt zu mehr Nachhaltigkeit wagen. Steigende CO2-Preise und der technologische Fortschritt werden den Einsatz von klimafreundlichem Wasserstoff wettbewerbsfähiger machen. Deutschland kann bei der Produktion von grünem Stahl Vorreiter werden. Bis 2030 stehen ohnehin Investitionen in mehr als 50 Prozent der nationalen Primärproduktionskapazitäten an – wieso also nicht gleich mit umweltfreundlichem Wasserstoff?
Autorin: Dr. Sylvia Trage