Keyfacts:
- Konsolidierung und Konzentration, höhere medizinische Qualität, effektivere Finanzierung: Das sind die Ziele der Krankenhausreform – Umsetzung fraglich.
- Die Krankenhausreform soll die künftige Versorgungsstruktur regeln – viele Details sind aber noch offen und müssen in den kommenden Monaten, gegebenenfalls unter einer neuen Regierung, verhandelt werden.
- Kliniken sollten unter Einbezug niedergelassener Ärzte und weiterer Leistungserbringer sowie gemeinsam mit Kostenträgern und Regulatoren kurzfristig regionale Gesundheitsökosysteme gestalten, um ihre Zukunft zu sichern.
Die Krankenhausreform soll die deutsche Kliniklandschaft erheblich verändern. Im Interview erklärt Healthcare-Experte Alexander Morton, Partner, Consulting, welche Folgen der Umbruch in der Branche haben könnte und welche Aufgaben es jetzt zu bewältigen gilt. Er betont: Unabhängig von Gesetzgebung und Reform sollten die Länder sowie die Träger und Betreiber von Kliniken das sprichwörtliche Heft des Handelns jetzt aktiv selbst in die Hand nehmen.
Herr Morton, der Bundesrat hat jüngst den Weg für die Krankenhausreform frei gemacht. Eine Reform sei überfällig gewesen, heißt es, sogar unabhängig von inhaltlichen Details. Woher kommt der Druck?
Seit der Einführung der diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis-related groups, DRG) im Jahr 2003 gab es keine wirklich umfassende Reformierung des Krankenhaussektors in Deutschland. Dass eine Reform dringend notwendig ist, darüber sind sich alle Akteure einig, und die Zahlen und Entwicklungen lassen auch keinen anderen Schluss zu. Ohne eine Reform werden wir weiterhin ein unkontrolliertes und unstrukturiertes Krankenhaussterben erleben. Die Vorboten hiervon sind spätestens seit dem Ende der Coronapandemie deutlich zu sehen.
Was sind die Gründe für die prekäre Lage?
Das aktuelle Vergütungssystem belohnt die Kliniken, die hohe Fallzahlen aufweisen. Bedingt durch den Fachkräftemangel, aber auch durch den Trend, dass immer mehr Patientinnen und Patienten sich nicht mehr im Krankenhaus behandeln lassen, sind die Fallzahlen insgesamt seit einigen Jahren rückläufig. Dies ist eine Entwicklung, die wir auch schon vor Corona gesehen haben, die sich aber während der Pandemie deutlich zugespitzt hat. Bis heute haben wir nicht die Fallzahlen aus Zeit vor Corona erreichen können. Des Weiteren gibt es massive Finanzierungs- und Vergütungsprobleme. Durch die Tarif- und Kostensteigerungen der letzten Jahre hat sich die Lage bei der Betriebskostenfinanzierung noch weiter verschärft. Man spricht von einer auseinanderklaffenden Kosten-Erlös-Schere. Und zudem ist auch die Investitionsfinanzierung der Länder seit vielen Jahren nicht ausreichend. Es liegt ein massiver Investitionsstau in der Branche vor.
Die Krankenhausreform soll Abhilfe schaffen. Das Ziel: weniger Standorte, höhere medizinische Qualität, effektivere Finanzierung. Was passiert nun im Sektor? Werden die Großen größer, verschwinden die Kleineren?
Zunächst einmal muss man sagen, dass wir in Deutschland ein sehr heterogenes Bild sehen. In vielen urbanen Gegenden haben wir deutliche Überkapazitäten, in den ländlichen Regionen ausgeprägte Unterversorgungssituationen. Man kann hier von einer Fehlversorgung sprechen, die unter den bisherigen Anreizsystemen der Regulatorik und Finanzierung weiter verschärft wurde. Leider sehe ich jedoch mit dem aktuellen Gesetz der Krankenhausreform nicht wirklich effektive Ansätze, die aktuelle Fehlversorgung über Qualitätsanforderungen und intelligente Vergütungssysteme zu verbessern und innovative, bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zu etablieren. Wenn hier nicht präzisiert und nachgebessert wird, werden wir weiterhin einen ungeordneten Restrukturierungsprozess erleben. Der Blick nach Nordrhein-Westfalen, wo die Landesregierung nach langer Vorbereitungsphase eine derartige Reform bereits umgesetzt hat, ist aufschlussreich. Es finden erste abgestimmte und zielführende Konzentrationsprozesse statt. Das werden wir auch bundesweit erleben. Aber der Prozess wird sehr lange dauern – und diese Zeit hat die Branche bei den aktuellen wirtschaftlichen und strategischen Nöten nicht.
Was können Kliniken tun, um unter den neuen Voraussetzungen zu bestehen?
Das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen und proaktiv regionale, bedarfsgerechte Gesundheitsökosysteme gestalten – das ist erforderlich. Das ist die große Chance, die es unabhängig von der Ausgestaltung und Umsetzung der Krankenhausreform zu ergreifen gilt. Denn die Trends und Treiber, die die Reform nun adressiert, sind im Sektor seit langem evident und die Regelungen im aktuellen Gesetzesentwurf sind zu vage, um hier klare Orientierung zu bieten. Auch die Finanzierungsmittel aus dem Transformationsfonds werden politisch und verfassungsrechtlich seitens der gesetzlichen Krankenversicherungen und weiterer Stakeholder sehr kontrovers gesehen – wie unser Head of Healthcare, Axel Bindewalt, in diversen Diskussionen bereits dargestellt hat. Ich gehe davon aus, dass die Mittel aus dem Transformationsfonds kurzfristig in der derzeitigen Form der Branche nicht zur Verfügung stehen werden. Also sind Lösungen zu schaffen, die basierend auf der aktuellen Gesetzgebung nachhaltig und patientengerecht wirken.
Was bedeutet das in der Praxis, das „Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen“?
Es gilt, auf lokaler und regionaler Ebene neue Kooperationsoptionen aufzutun und bedarfsgerechte und effiziente Gesundheitsökosysteme zu schaffen. Das schließt auch niedergelassene Ärzte mit ein, die aus der Krankenhausreform ausgeklammert waren. Ob bei stationären oder ambulanten Leistungen: Kliniken sollten mit den Beteiligten im unmittelbaren Umfeld den Aufbau von bedarfsgerechten Strukturen vorantreiben. Im Verbund und mit einem klaren Fokus auf die medizinischen Notwendigkeiten am Standort können Krankenhäuser auch unter verschärften Rahmenbedingungen stark sein. Ich rate: Tut euch zusammen und stimmt euch eng mit den Kostenträgern, der lokalen Politik und Verwaltung sowie den Krankenhausplanungsbehörden ab.
Ist das machbar?
Ja. Dieser Ansatz ist in einigen Gegenden bereits erfolgreich umgesetzt. In anderen wiederum, in denen innovative Ansätze noch fehlen, führt nun kein Weg mehr dran vorbei. Davon bin ich überzeugt. Und ich bin optimistisch, dass der Wandel gelingen kann. Höhere Effizienz und gesteigerte Versorgungsqualität müssen sich nicht widersprechen.
Wieviel Zeit bleibt für den Umbruch?
Keine. Mit jedem weiteren Tag werden wirtschaftliche sowie strategische Nöte größer und ungeordnete Restrukturierungen zunehmen. Der politische Prozess rund um die detaillierte Ausgestaltung, Finanzierung und Umsetzung der Krankenhausreform wird noch lange dauern. Hierauf sollte kein Krankenhaus warten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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