Zwei Angestellte gehen durch eine Industriehalle.

Lieferketten-Risiken fördern Wandel in der Fertigungsindustrie

Wie Deutschlands produzierende Unternehmen ihre Versorgung sicherstellen können.

Corona-Lockdowns und geopolitische Verwerfungen: Globale Lieferketten standen und stehen unter Druck. Unternehmen aus der Fertigungsindustrie orientieren sich auf volatilen Weltmärkten neu, Führungskräfte überdenken ihre Strategien. Eine Transformation der gesamten Wertschöpfung ist nötig. Was sind die Hintergründe, wie ist der Status quo – und welche Lösungsoptionen gibt es für die Versorgungssicherung?

Klar war bislang: Das Geschäftsmodell der deutschen Fertigungsindustrie basiert auf weltweit verzweigten Lieferketten und Absatzmärkten sowie der Verfügbarkeit von günstigen Ressourcen und Produktionsstandorten. Außerhalb der EU sind China und die USA für deutsche Unternehmen die mit Abstand größten Produktionsstandorte und Absatzmärkte. Das Decoupling bedroht die bisherige Strategie.

Decoupling ist kein kurzfristiges Phänomen

Decoupling hat viele Facetten. Einerseits geht es um akute Störungen, die etwa dadurch auftraten, dass chinesische Häfen aufgrund der Null-Covid-Politik geschlossen wurden. Gravierende Material- und Rohstoffengpässe waren das Resultat. Decoupling ist aber insbesondere regulatorisch und technologisch getrieben. Es ist ein langfristiger Trend, der durch den US-Slogan „America First“ und Chinas Strategie der „zwei Kreisläufe“ (Dual circulation) befeuert wurde.

In China 2022 implementierte Regularien zur Offenlegung von Algorithmen bei Technologieunternehmen erzwingen beispielsweise teils die lokale Entwicklung von Produkten, die exklusiv auf den chinesischen Markt zugeschnitten sind. Die Folge: parallele statt global verbindlicher Standards. Neben erheblichem Mehraufwand für Entwicklungsarbeit bedeutet dies auch mehr Bürokratie im Zuge der Zulassungs- und Warenhandelsaktivitäten.

Der „Local-for-Local“-Ansatz rückt in den Mittelpunkt

Trotz oder gerade wegen der globalen Orientierung der Fertigungsindustrie und den damit einhergehenden Störungen in der jüngsten Vergangenheit, gilt es, die Wertschöpfung und die Lieferketten zu überdenken.

Dies – und nicht zuletzt der Anspruch an Nachhaltigkeit – führen verstärkt dazu, dass die Industrie auf Diversifikation setzt. Der lokale Aspekt – auch bei der Standortwahl – rückt in der Praxis zunehmend in den Mittelpunkt: der „Local-for-Local“-Ansatz. Unternehmen produzieren dort, wo die Produkte benötigt werden. Auch bei den Lieferanten wird lokal nach Kooperationspartnern gesucht. Immer stärker rückt dabei auch die Bedienung lokaler Kundenbedürfnisse in den Vordergrund, die mit Vor-Ort ansässigen Entwicklungsteams besser direkter in das Produktdesign integriert werden sollen.

Diese sukzessive Umstrukturierung der Lieferantenbasis und die damit verbundenen Herausforderungen beschäftigen derzeit die gesamte Industrie. Das zeigen diverse Kundenanfragen. Dabei geht es beispielsweise um die Quantifizierbarkeit nichtkommerzieller Vergabekriterien: Wie werden standortbezogene Risikofaktoren, etwa ein Produktionsausfall eines chinesischen gegenüber einem europäischen Lieferanten bewertet? Werden Vorteile aus bestehenden Handelsabkommen (NAFTA; ASEAN, RCEP etc.) sowie nationale Investitionsanreize (Inflationsreduzierungsgesetz (IRA)) bei der Standortwahl einbezogen?

Margensteigerungen trotz deutlichem Rückgang produzierter Stückzahlen

Bislang lag der Fokus bei der Lieferantenauswahl in der Regel auf rein kommerziellen Faktoren. Künftig gibt es neben dem Preis weitere Kriterien. So ist in Zukunft zu berücksichtigen, was passiert, wenn durch gestörte Lieferwege höhere Transportkosten anfallen oder wenn die Ware womöglich gar nicht kommt. Eine Lösung: digitales, datenbasiertes Echtzeit-Monitoring.

Wie wichtig Lösungsansätze für die Resilienz sind, haben viele Unternehmen jüngst in der Halbleiterkrise festgestellt: Nach dem Corona-Ausbruch und damit einhergehend sinkenden Absatzprognosen stieg global die Nachfrage in der Automobilindustrie sprunghaft an, die Nachfrage in anderen chiplastigen Industrien blieb unverändert hoch. Eine folgenschwere Entwicklung, denn nun konnte der Gesamtbedarf nicht mehr bedient werden.

Die Frage in der Industrie war nun: Wie gehen Lieferanten und Zulieferer bei der Verteilung von Chips vor? Dokumentation und Sicherstellung stringenter Allokationsprozesse sind nicht nur in Richtung der Abnehmer für den Verteilungsprozess unabdingbar. Die Optimierung dieser internen, produktbezogenen Verteilung knapper Güter sollte ebenfalls überprüft werden, denn auf diese Weise lassen sich trotz sinkender Stückzahlen deutliche Margensteigerungen erreichen.

Neue Aufgaben für das Risikomanagement

Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und auszubauen, sollten produzierende Unternehmen die Daten ihrer Fertigung zum eigenen strategischen Vorteil nutzen. So gelingt nicht nur die schnelle und gezielte Reaktion auf Störungen im Geschäftsablauf. Potenzielle Abweichungen können auch bereits frühzeitig erkannt werden. Risiken werden somit minimiert.

Die Voraussetzung für Flexibilität jeder Art ist in Zukunft ein ausgeprägtes Verständnis für Abläufe und Zusammenhänge nicht nur innerhalb der Fertigung, sondern über die gesamte Lieferkette hinweg. Besonders im Fokus: (zu hohe) Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten. Mit digitalen Tools lassen sich durch automatisiertes und vernetztes Lieferanten-Risikomanagement nachhaltig auch Dritte in das eigene Netzwerk integrieren und die damit verbundenen Risiken erkennen, bewerten und managen.

Wie schätzen die Unternehmen der Fertigungsindustrie selbst ihre eigene Zukunftsfähigkeit ein? Antworten und Analysen finden Sie im aktuellen Future Readiness Index 2022.