EU-Bankenunion: EU-Flagge weht vor Hochhaus.

Reform des Bankenrechts: Auf diese acht Punkte kommt es jetzt an

Wie gelingt die effektive Regulierung des krisengeschüttelten Finanzsektors?

Derzeit befasst sich der Finanzsektor wieder mit den Folgen einer Krise, die in den USA durch die Schieflage einiger regionaler und mittelgroßer Banken ihren Ursprung hatte. Gefolgt wurde diese durch eine auch aus Sorge um die internationale Finanzstabilität von Aufsichts- und Regierungsbehörden beförderte Bankenfusion in der Schweiz. Beides unterstrich mögliche Ansteckungsgefahren des EU-Finanzsektors und den Bedarf einer Überprüfung möglicher Schwächen im internationalen Regulierungsrahmen.

Bereits nach der letzten Finanzmarktkrise mussten Standardsetzer und Aufsicht offensichtlichen Regulierungslücken im Finanzsektor entgegenwirken. Bei allem Verständnis für die erneute Überprüfung der Anforderungen infolge der aktuellen Krise scheint jedoch eine Besinnung auf die Kernaufgaben der Bankenregulierung ratsam. Auf der EU-Agenda stehen aktuell zusätzlich bereits zahlreiche komplexe Vorhaben, die weit über die klassischen Gebiete der Regulierung des Bankensektors hinausgehen und weite Teile auch anderer Wirtschaftssektoren umfassen.

Die Erwartung an die Institute als Intermediäre zwischen dem Angebot an Finanzmitteln und der realwirtschaftlichen Nachfrage nach Investitionen ist hoch. Es besteht allein auf den Feldern Infrastruktur, Digitalisierung und Nachhaltigkeit ein enormer Transformationsbedarf der Wirtschaft. Hierzu bedarf es ertragsstarker Banken, die sich auf ihre originäre Rolle als Intermediäre konzentrieren und in einem stabilen und vorhersehbaren Aufsichtsrahmen operieren können, der Ermessensspielräume in Abhängigkeit von Größe, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsmodelle lässt.

Bei der Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen sollten deshalb mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre und die vor uns liegenden Herausforderungen die folgenden acht zentralen Punkte berücksichtigt werden:

1 – Ganzheitlicher Blick

Aufgrund der angewachsenen Komplexität der Bankenregulierung sollten sich zukünftige neue Initiativen auf das notwendige Minimum unregulierter Sachverhalte beschränken, um z. B. dem ansteigenden Handel mit Kryptowerten einen Rahmen zu geben. Alle Initiativen müssen vorhersehbar in einem langfristigen Plan priorisiert werden. Die sektorübergreifenden Regulierungspakete für alle Wirtschaftszweige, wie zur Nachhaltigkeit und Digitalisierung, sollten für Banken nur für die bislang nicht regulierten Aspekte gelten, anstatt sich überschneidende und teils inkonsistente Anforderungen zu formulieren.

2 – Beschränkung auf den eigentlichen Regulierungszweck

Am Ende von Prozessen zur Standardsetzung stehen oft Kompromisse, die je nach politischen Zielen und Mehrheiten auch Privilegierungen, z. B. Mittelstandsfinanzierungen, oder Sanktionierungen, z. B. des Handelsbuchgeschäfts oder ggf. zukünftig „brauner“ Finanzierungen, beinhalten. All diesen Maßnahmen sollte der eigentliche Regulierungszweck der Finanzstabilität sowie ein strikter Fokus auf das tatsächliche regulatorische Risiko für die Banken und ihre Kundschaft zugrunde liegen.

3 – Abwägung von Kosten und Nutzen der Anwender

Die Kosten für regulatorische Maßnahmen sind in den Instituten aufgrund der umfangreichen Regulierungsvorhaben massiv angestiegen und belasten im internationalen Vergleich die Ertragskraft. Die Debatte zu Kosten und Nutzen einer Regulierungsinitiative sollte bereits vor der Ingangsetzung neuer Initiativen geführt werden, um eventuell entstehende Ungleichgewichte zwischen Nutzen und Aufwand zu verhindern. Die teils nachträglich angestrebte Korrektur umfassenderer Berichtspflichten kann die bereits getätigten Investitionen in eine schon aufgebaute Datenlieferstrecke kaum revidieren.

4 – Vermeidung von Inkonsistenzen

Sofern deutsche Regulierungen über EU-Normen oder EU-Regulierungen über die von Drittstaaten hinausgehen, müssen diese wohlbegründet und im Lichte möglicher regulatorischer Wettbewerbsnachteile von zunehmend grenzenlosen Finanzdienstleistungen betrachtet werden. Gerade international tätige Großbanken haben so unterschiedlichste Aufsichtsregime zu berücksichtigen. Die aktuelle Diskussion um unterschiedliche Berichtsstandards zur Nachhaltigkeit (CSRD vs. ISSB) und damit verbundene Ansprüche, globale Standards zu setzen, sind nicht nur aus Sicht der Kreditinstitute im Anwendungsbereich, sondern aus Sicht der Adressaten der Berichte zu bewerten.

5 – Limitierung der Komplexität

Eine wirksame Aufsicht kann sich nicht allein auf die Einhaltung quantitativer Kennziffern verlassen. Diese muss auch auf der Einhaltung qualitativer Vorgaben basieren, die europäisch einheitlich anzuwenden sind. Zwischenzeitlich werden jedoch aus unmittelbar anzuwendenden europäischen Verordnungen so viele Mandate an nachgelagerte Aufsichtsbehörden wie die EBA erteilt, dass ein wesentlicher Teil an Detailgrad und Komplexität in nachgelagerte Ausführungsstandards ausgelagert wird. Um die Komplexität zu reduzieren, ist bereits im legislativen Prozess der EU anzusetzen und die Anzahl der Mandate zu reduzieren. Dies gilt auch mit Blick auf die anstehenden neuen Regulierungen rund um die gerade im Aufbau befindliche europäische Behörde zur Geldwäschebekämpfung.

6 – Stärkere Verankerung der Proportionalität

Der deutsche Bankenmarkt zeichnet sich durch eine heterogene Struktur aus. Trotz der unvermeidlichen Konzentrationsprozesse im Bankensektor besitzt der deutsche Bankensektor im europäischen Vergleich fast eine Sonderstellung, was die Interessenvertretung zugunsten von mehr Proportionalität erschwert. Bei der Stärkung der Proportionalität geht es insbesondere um eine zielgerichtete, passgenaue regulatorische Vorgaben für Banken mit weniger komplexen und risikobehafteten Geschäftsmodellen, damit diese ihre Kernaufgabe, z. B. die Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen, weiterhin erfüllen können.

7 – Einheitliche Datenanforderungen

Ein wesentlicher Treiber von hohen Regulierungskosten ist in unterschiedlichsten sehr umfassenden aufsichtsrechtlichen und statistischen Berichtsprozessen begründet. So wurden kontinuierlich neue Berichtsanforderungen für die Kreditinstitute formuliert – mit sich überschneidenden und teils inkonsistenten Datenanforderungen unterschiedlicher Standardsetzer und Aufsichtsbehörden. Deshalb ist die Verwirklichung eines integrierten Bankdatenhausalts im Rahmen eines integrierten Berichtsrahmens der EU ein wesentlicher Meilenstein. Ziel ist die Senkung der Produktionskosten durch Hebung von Synergiepotenzialen sowie die Steigerung der Qualität von Berichts- und Steuerungsdaten. Während dieser Zeit sollten neue Berichtsanforderungen nur mit Augenmaß definiert werden, weil ein reines Mehr an Daten stets unter den Vorbehalt der tatsächlichen Auswertbarkeit für Zwecke der Bankenregulierung bewertet werden sollte.

8 – Erfassung von Risiken auch außerhalb des klassischen Bankensektors

Auch das zunehmend enge Korsett der Bankenregulierung hat dazu geführt, dass Finanzdienstleistungen teilweise in den nicht regulierten Sektor abwandern. Seit Jahren wird auf internationaler Ebene versucht, den sog. Schattenbankensektor stärker zu fassen. Dies ist in der Praxis nur in Teilen geglückt. Unter dem Stichwort „Big Tech“ werden jedoch international tätige Technologiefirmen zunehmend zu ernstzunehmenden Wettbewerbern um Kunden und rufen aufgrund begründeter Risiken die Wächter der Finanzstabilität auf den Plan. Diese Risiken werden u. a. im Umfeld der Marktkonzentrationen, technischer Abhängigkeiten sowie des Verbraucherschutzes durch z. B. Missbrauch von Verfahren der künstlichen Intelligenz gesehen. Getreu dem Motto “Gleiche Risiken, gleiche Regeln“ müssen entsprechenden Anbietern vergleichbare Anforderungen in Sachen Eigenkapital, Liquidität und Risikomanagement auferlegt werden.

Regulatorische Anforderungen: Warum Aktionismus jetzt nicht hilft

Die aktuellen Entwicklungen werden dazu führen, dass wesentliche Elemente der EU-Bankenunion auf den Prüfstand gestellt werden. Dies kann für einen Praxistest des Krisenmanagements zum Beispiel hinsichtlich der Wirksamkeit von bestehenden Mechanismen für die Sanierung und Abwicklung von Banken sinnvoll sein. Jedoch sollte einem Reflex nach pauschal „mehr Regulierung“ zugunsten einer differenzierten Betrachtung widerstanden werden.

Zum Jahreswechsel haben EZB und BaFin in ihren Aufsichtsprioritäten 2023 die – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise – richtigen Schwerpunkte gesetzt, u.a. im Risikomanagement, einschließlich Zinsänderungs- und Refinanzierungsrisiken, der Unternehmensführung und der IT. Anstatt mehr Regeln für Kreditinstitute benötigt es zunächst also der konsequenten Anwendung der bestehenden durch eine weiter hochwertige Aufsicht ohne nationale Interessenskonflikte.

Für alle der genannten regulatorischen Herausforderungen und Aufsichtsprioritäten existieren umfassende Regelwerke und Aufsichtsmechanismen, die eine nachhaltige Überwachung des Fortschritts in den Banken ermöglichen und deren europäisch einheitliche Anwendung im Vordergrund stehen sollte. Mit Blick auf die Zukunft des Bankenrechts scheint nach Jahren des permanenten Regulierungsdrucks ein Augenblick des Innehaltens notwendig zu sein, um die Weichen für eine Weiterentwicklung eines Rahmens zu stellen, der die Ziele der Beaufsichtigung im Interesse der Finanzstabilität besser mit den Kernaufgaben von Banken und deren Rolle bei der Finanzierung der Realwirtschaft austariert.