Für neun Euro einen ganzen Monat lang im Nah- und Regionalverkehr durch ganz Deutschland fahren – dieses Sonderangebot, das von Juni bis August 2022 galt, hat die Diskussion um die Zukunft und die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Deutschland neu entfacht.
Neun-Euro-Ticket: Günstiger Preis, unkomplizierte Nutzung
Zum einen erfreuten sich Nutzer:innen über die einfache Handhabung, statt sich in unbekannten Regionen durch komplizierte Tarife und Preisstufen kämpfen zu müssen. Zum anderen war der Preis für viele Nutzer:innen ein ausschlagendes Kriterium. Nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden insgesamt mehr als 52 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft.
Die aufgrund des Angebots entfallenen Ticketeinnahmen im ÖPNV wurden durch den Bund im Rahmen eines Energie-Entlastungspakets kompensiert. Nun haben sich Bund und Länder grundsätzlich auf einen Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket geeinigt. Hinsichtlich der Finanzierung besteht allerdings noch Diskussionsbedarf.
Mit umlagefinanziertem Nahverkehr die Verkehrswende vorantreiben
Das Neun-Euro-Ticket vom Sommer 2022 lässt sich als Experiment einer Umlagefinanzierung im Nahverkehr betrachten – ähnlich wie etwa das 365-Euro-Ticket in Wien (Jahreskarte für 365 Euro für den gesamten ÖPNV der Stadt). Die Umlagefinanzierung kann ein interessantes Finanzierungs- und Steuerungsinstrument sein, denn es werden Anreize zum Wechsel vom motorisierten Individualverkehr hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln geschaffen.
Auf den Verkehrssektor entfallen rund 18 Prozent der deutschen CO2-Emissionen, wovon der Straßenverkehr wiederum ca. 98 Prozent verursacht. Die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs kann somit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Mobilität und zum Klimaschutz leisten. Denn im Hinblick auf die CO2-Emissionen besteht starker Handlungsdruck: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen bereits bis 2030 die Emissionen des Verkehrssektors in Deutschland um 48 Prozent reduziert werden. Die Verlagerung auf den klimafreundlicheren ÖPNV spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Beispiele für ÖPNV-Projekte mit Umlagefinanzierung
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Städten und Regionen, in denen Instrumente einer Umlagefinanzierung eingeführt bzw. erprobt wurden. Vielzitierte Beispiele sind etwa der kostenlose ÖPNV in der estnischen Hauptstadt Tallinn oder in der belgischen Stadt Hasselt sowie die Versuche in Templin in den 1990er Jahren. Außerdem gab es bereits zeitlich befristete Modellprojekte mit einem 365-Euro-Ticket im Jahr 2019 in Reutlingen und Bonn, finanziert mit Fördermitteln des Bundes.
Die Ergebnisse sind unterschiedlich. In Templin und Hasselt stiegen die Fahrgastzahlen deutlich, in Tallinn blieb der erwartete Anstieg im Vergleich zum Rückgang des motorisierten Individualverkehrs (MIV) aus – wohl weil schon vor Einführung des kostenlosen ÖPNVs die Ticketpreise moderat waren und der Anteil der regelmäßigen ÖPNV-Nutzenden bereits vergleichsweise hoch war.
Die Stadt Hasselt unterhielt mehr als 16 Jahre lang eine kostenlose ÖPNV-Nutzung, doch letztlich hatten weder Hasselt noch Templin oder auch Bonn und Reutlingen die Finanzkraft, dauerhaft einen kostenlosen Nahverkehr bzw. ein 365-Euro-Ticket zu stemmen. Dies verdeutlicht, wie wichtig ein langfristig stabiles Finanzierungskonzept ist, das Kostensteigerungen flexibel entgegenwirken und eine möglichst breite gefächerte Finanzierungsquelle aufweisen kann.
Tragfähige Finanzierung des ÖPNVs notwendig
Ein gutes Finanzierungskonzept ist auch deshalb notwendig, weil eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und Attraktivität dringend notwendig ist, wenn das Fahrgastaufkommen wie gewünscht steigen soll. Dies ist mit enormen Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur und des Angebots (beispielsweise eine engere Taktung) verbunden. Die Attraktivität des Angebots ist ein entscheidender Faktor in der Wechselbewegung vom MIV zum ÖPNV. Die Grenzen der aktuellen Angebote hat die erhöhte Nachfrage aufgrund des Neun-Euro-Tickets im Sommer deutlich aufgezeigt.
Für die umfangreichen Investitionen braucht es eine tragfähige, nachhaltige Finanzierung. Eine zweckgebundene Umlage der Kosten kann hier ein Lösungsansatz sein. Damit bietet die Umlagefinanzierung zwei Vorteile: Steuerungseffekte für das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung und stabile Deckung der Investitionsbedarfe.
Drei Instrumente der Umlagefinanzierung
Doch wie kann die Umlagefinanzierung funktionieren? Grundsätzlich ist die Umlage eine regelmäßig wiederkehrende Abgabe, für die es verschiedene Ausgestaltungsformen gibt. Beispielhafte Instrumente sind: Bürgerabgabe, die Arbeitgeberabgabe oder die Nutzungsgebühr.
Die Bürgerabgabe kommt neben dem Wiener 365-Euro-Ticket bereits im Bielefelder Stadtteil Sennestadt zum Einsatz: Die Bewohner:innen zahlen mit der Miete einen Pauschalbetrag und können dafür den ÖPNV kostenfrei nutzen. Die Arbeitgeberabgabe wird unter anderem durch die französischen Kommunen („versement transport“) erhoben. Unternehmen zahlen dort eine regelmäßige Abgabe, um sich an der lokalen Verkehrsinfrastruktur zu beteiligen. Kleinstunternehmen sind von der Abgabe ausgenommen. Als Nutzungsgebühr kommt etwa eine Citymaut wie in Stockholm oder London in Betracht, deren Einnahmen zumindest zum Teil in den ÖPNV-Ausbau fließen.
Vorteile und Risiken für den Standort ermitteln
Jedes dieser Instrumente hat seine Vorteile und Herausforderungen. Bei der Arbeitgeberabgabe etwa besteht das Risiko der Verlagerung von Unternehmen außerhalb des Erhebungsgebiets. Grundsätzlich besteht die Herausforderung der Akzeptanz der Umlage. Je attraktiver das ÖPNV-Angebot, desto eher ist eine Legitimation für die Beitragserhebung gegeben. Eine Bürgerabgabe kann je nach Ausgestaltung einfacher zu erheben sein als beispielsweise die Nutzungsgebühr. Hier kann ein erhöhter Verwaltungs- und Implementierungsaufwand entstehen.
Die Auswahl der Instrumente der Umlagefinanzierung sollte sich immer an den regionaltypologischen Gegebenheiten orientieren. Zudem sollten auch sozio-ökonomische Faktoren in der Ausgestaltung berücksichtigt werden. Gegebenenfalls sind die Instrumente auf die lokale Situation anzupassen, um eine optimale Steuerungswirkung zu erreichen. Denkbar ist auch eine Kombination verschiedener Instrumente, zum Beispiel Bürgerabgabe plus Arbeitgeberabgabe.
Drei-Säulen-Modell für die Implementierung
Für die erfolgreiche Ausgestaltung und Einführung von Instrumenten der Umlagefinanzierung haben wir ein Drei-Säulen-Modell entwickelt, das die Bürgerbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und um eine makroökonomische Datengrundlage sowie eine kontinuierliche Überprüfung der angestrebten Steuerungseffekte ergänzt. Diese sollten idealerweise zu Beginn identifiziert werden, etwa mithilfe einer Potenzialanalyse. Die Bürger:innen sind frühzeitig und proaktiv in die Entwicklung einzubeziehen, beispielsweise in Form von Bürgerdialogen. Dies kann für die Akzeptanz der Instrumente von entscheidender Bedeutung sein.
Für die in Frage kommenden Umlagefinanzierungsinstrumente sind im nächsten Schritt die jeweiligen Erlös- und Investitionspotenziale zu bewerten, um schließlich die Entscheidung über die Implementierung zu treffen.