Symbolbild zum Verpackungsgesetz: Verpackungsmüll in der Natur

Verpackungen werden immer mehr zum Compliance-Risiko

Viele beachten das Verpackungsgesetz noch nicht; jetzt kommt die EU-Verpackungsverordnung.

Verpackungsabfall ist weltweit ein großes Problem. Innerhalb der EU ist Deutschland Spitzenreiter: 237 Kilogramm pro Kopf fielen laut Statistischem Bundesamt hier 2021 an. Knapp die Hälfte des in der EU verwendeten Kunststoff und Papier werden für Verpackungen benötigt, hat die EU-Kommission ermittelt. Gesetzgeber auf nationaler und EU-Ebene wollen die Müllberge reduzieren. Dieses Ziel ist Bestandteil des Green Deals der EU. Der Lösungsansatz lautet Vermeidung und Recycling.

In Deutschland ist der Umgang mit Verpackungen bereits gesetzlich geregelt. Das Verpackungsgesetz (VerpackG) ist seit 2019 in Kraft und wurde 2022 und 2023 verschärft. Zusätzlich gelten seit 2024 das Einwegkunststofffondsgesetz und die Einwegkunststofffondsverordnung. Mit der Verpackungsverordnung hat die EU nun weitere Regelungen auf den Weg gebracht.

Trotz allem gibt es immer noch zahlreiche Unternehmen, denen nicht bewusst ist, dass und in welchem Ausmaß sie betroffen sind. Dabei drohen erhebliche Sanktionen. Und die Erfahrung zeigt: Mangelnde Compliance in Bezug auf Verpackungen rächt sich. Umweltorganisationen sind wachsam und bringen Rechtsverstöße zur Anzeige. Einige Klagen gegen Konzerne, Supermarkt- und Fast-Food-Ketten waren bereits erfolgreich. Was Unternehmen schon jetzt beachten müssen und was mit der EU-Verpackungsverordnung auf sie zukommt, haben wir den Experten für Umweltrecht, KPMG Law-Partner Dr. Simon Meyer, gefragt.

Vom Verpackungsgesetz betroffen sind alle Unternehmen, die Verpackungen in Verkehr bringen

 

Welche Unternehmen müssen das Verpackungsgesetz beachten?

Dr. Simon Meyer: Betroffen sind nahezu alle Unternehmen aus Industrie und Handel. Das Gesetz gilt für alle Wirtschaftsakteure, die Verpackungen mit Waren in Deutschland erstmals in Verkehr bringen. Darunter fallen insbesondere Unternehmen, die Produkte verpacken. Aber auch wer aus dem Ausland importierte Ware in Deutschland vertreibt oder aus dem Ausland Endverbraucher:innen in Deutschland beliefert, muss das Verpackungsgesetz beachten. Einen großen Anteil an Verpackungen hat vor allem der Online-Handel. Regeln gibt es nicht nur für die Internet-Händler, sondern auch für Online-Marktplätze. Selbst für den Bäcker um die Ecke, der seine Brötchen in Tüten steckt, gilt das Gesetz.

Unternehmen sind zur Registrierung und Systembeteiligung von Verpackungen verpflichtet

 

Welche Pflichten haben die Unternehmen?

Dr. Simon Meyer: In der Regel müssen sich Unternehmen, die Verpackungen mit Ware befüllen und in Deutschland erstmalig in Verkehr bringen, bei der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR) im Verpackungsregister LUCID eintragen lassen. Diese Pflicht ist nicht neu, wurde aber im Juli 2022 deutlich ausgeweitet und umfasst nunmehr alle Arten von Verkaufs-, Um- und Versandverpackungen, Transportverpackungen, Mehrwegverpackungen und pfandpflichtige Einweggetränkeverpackungen.

Welche Arten von Unternehmen und Verpackungen betrifft die Systembeteiligungspflicht?

Dr. Simon Meyer: Die dualen Systeme sind für die Entsorgung von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen verantwortlich und führen diese, soweit möglich, über Entsorgungsunternehmen dem Recycling zu. Nach § 7 Absatz 1 VerpackG müssen alle Verpackungen, die in Deutschland bei privaten Endverbraucher:innen zu Abfall werden, an einem dualen System beteiligt werden. Aber Vorsicht – der Begriff des privaten Endverbrauchers wird sehr weit gefasst und erstreckt sich auch auf die sogenannten vergleichbaren Anfallstellen. Das sind zum Beispiel Gastronomiebetriebe, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Verwaltungen. Die Zentrale Stelle Verpackungsregister listet mehr als 300 Anfallstellen auf, die dem privaten Endverbrauch zuzuordnen sind. Dadurch sind große Teile des B2B-Geschäfts ebenfalls von der Beteiligungspflicht an einem dualen System betroffen.

Sind die in Verkehr gebrachten Verpackungen systembeteiligungspflichtig, könnte zusätzlich noch eine Vollständigkeitserklärung nach § 11 VerpackG erforderlich sein. Das ist dann der Fall, wenn die in § 11 Absatz 4 VerpackG genannten Mengengrenzen überschritten werden. Solche Erklärungspflichten haben in der letzten Zeit insbesondere aufgrund des wachsenden Onlinehandels an Fahrt aufgenommen.

Weitere Pflichten des Verpackungsgesetzes

 

Wann müssen Unternehmen die Verpackungen eigentlich zurücknehmen?

Dr. Simon Meyer: In vielen Fällen greift auch die oft unbekannte Rücknahmepflicht. Nicht systembeteiligungspflichtige Verpackungen müssen die Unternehmen grundsätzlich unentgeltlich zurücknehmen. Auf diese Rücknahmepflicht müssen sie ihre Kund:innen auch hinweisen. Sie sollten daher sicherstellen, dass organisatorische Vorkehrungen und Strukturen bestehen, die es erlauben, Rückgabeverlangen der Kund:innen zu entsprechen. Abweichende Vereinbarungen über den Ort der Rückgabe und die Kosten sind möglich; allerdings nur mit anderen Unternehmen und nicht mit den Endverbraucher:innen, sofern es sich bei diesen um private Haushaltungen handelt.

Seit dem 1. Januar 2023 gilt die Mehrwegangebotspflicht. Was bedeutet das?

Dr. Simon Meyer: Diese Pflicht gilt für Letztvertreiber von Lebensmitteln zum unmittelbaren Verzehr im „To-go“- und „Fast-Food“-Bereich, also Restaurants, Imbisse, Bäckereien, Lieferdienste, Kantinen, aber auch Supermärkte und Tankstellen mit Salatbars. Diese sind seit Januar 2023 verpflichtet, alternativ zu Einwegverpackungen aus Kunststoff eine Mehrweglösung anzubieten und darauf auch hinzuweisen. Bei Einweggetränkebechern gilt das unabhängig davon, aus welchem Material die Becher bestehen. Ausnahmen gibt es nur für kleine Unternehmen.

Neben dem Verpackungsgesetz gelten noch weitere gesetzliche Pflichten zu Verpackungen. Welche sind das? 

Dr. Simon Meyer: Am 1. Januar 2024 sind das Einwegkunststofffondsgesetz und -verordnung in Kraft getreten. Kern dieser Regelungen ist eine neue Abgabe für bestimmte kunststoffhaltige Einwegprodukte. Die Abgabe fließt in einen Fonds, der den Kommunen für ihre Bemühungen um saubere Städte zugutekommen soll. Unter anderem auf folgende Produkte fällt die Abgabe an: Tabakprodukte mit kunststoffhaltigen Filtern, Getränkebehälter und -becher und To-Go-Lebensmittelbehälter, Tüten- und Folienverpackungen, leichte Tragetaschen sowie Luftballons und ab 2027 auch Feuerwerkskörper mit kunststoffhaltigen Teilen. Betroffene Unternehmen müssen sich registrieren. Das Registrierungsportal DIVID steht hierfür seit dem 1. April 2024 zur Verfügung.

Die EU-Verpackungsverordnung stellt weitere Anforderungen

 

Was wird auf die Unternehmen noch zukommen?

Dr. Simon Meyer: Am 15. März 2024 haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine EU-Verpackungsverordnung  geeinigt. Den Entwurf hatte die EU-Kommission bereits im November 2022 vorgelegt. In der vorläufigen Einigung werden unter anderem zunächst die Planziele für 2030 und 2040 für den Mindestanteil an recyceltem Material in Kunststoffverpackungen (sogenannter Rezyklatanteil) beibehalten. Lediglich kompostierbare Kunststoffverpackungen und Verpackungen, deren Kunststoffanteil weniger als fünf Prozent des Gesamtgewichts der Verpackung ausmacht, sollen ausgenommen sein. Verpackungsformate wie Einweg-Plastikverpackungen für Obst und Gemüse, für Lebensmittel und Getränke, Gewürze und Soßen, für kleine Kosmetik- und Toilettenartikel, die im Beherbergungsgewerbe verwendet werden (zum Beispiel Shampoo- oder Bodylotion-Flaschen), und sehr leichte Plastiktüten sollen beschränkt werden. Verschärft werden auch die Anforderungen an bestimmte Stoffe in Verpackungen. Verpackungen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen und einen bestimmten Anteil an per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS – sog. „Ewigkeitschemikalien“) überschreiten, dürfen nicht mehr in Verkehr gebracht werden. PFAS befinden sich derzeit noch in zahlreichen Verbraucherprodukten wie Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen, Textilien oder Ski-Wachsen. Die EU möchte auch unnötige Verpackungen reduzieren und legt einen maximalen Leerraumanteil von 50 Prozent bei Sammel-, Transport- und E-Commerce-Verpackungen fest. Hersteller und Importeure sollen das Gewicht und Volumen der Verpackungen minimieren. Ausnahmen soll es nur für geschützte Verpackungsdesigns geben, vorausgesetzt ein entsprechender Schutz war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung bereits in Kraft.

Ministerrat und EU-Parlament müssen der Verordnung noch zustimmen. Das ist jedoch in der Regel eine Formsache.

Es drohen erhebliche Sanktionen, dennoch handeln nicht alle

 

Was kann passieren, wenn Unternehmen die Vorgaben nicht beachten?

Dr. Simon Meyer: Das kann in jedem Fall sehr teuer werden. Wer sich nicht oder nicht rechtzeitig im Register LUCID der Zentralen Stelle Verpackungsregister registriert, riskiert ein Bußgeld von bis zu 100.000 Euro. Das gleiche Bußgeld droht auch Unternehmen, die die Rücknahmepflicht nicht beachten. Verstöße gegen die Systembeteiligungspflicht können sogar mit bis zu 200.000 Euro geahndet werden. Außerdem drohen Vertriebsverbote für die Produkte. Verstöße gegen die EU-Verpackungsverordnung werden ebenfalls Sanktionen nach sich ziehen. Verpackungen werden immer mehr zum Compliance-Risiko.

Warum handeln manche Unternehmen trotzdem nicht?

Dr. Simon Meyer: Viele kennen die gesetzlichen Pflichten für Verpackungen noch nicht oder nicht umfassend und achten daher auch nicht darauf, ob sie mit ihren Verpackungen die rechtlichen Anforderungen einhalten. Das kann teuer werden, denn Umweltorganisationen sind wachsam und melden Unternehmen bei Verstößen oder verklagen sie. Auch die Zentrale Stelle Verpackungsregister und die Abfallbehörden haben sich Kontrollen auf die Fahnen geschrieben.

Wie lautet die abschließende Empfehlung an die Unternehmen?

Dr. Simon Meyer: Jedes Unternehmen sollte prüfen, inwiefern und in welcher Form es sich bei der Zentralen Stelle Verpackungsregister registrieren muss. Für jede verkaufte oder verwendete Verpackung sollte es prüfen, ob sie systembeteiligungspflichtig ist oder nicht. Darüber hinaus sollten Unternehmen Vorkehrungen für die Rücknahme von nicht systembeteiligungspflichtigen Verpackungen treffen, sofern solche vorkommen. Die Take-away-Gastronomie sollte eine Mehrweglösung anbieten. Bei Vertrieb auch in anderen Ländern der EU sind zudem die landesspezifischen Regelungen zu beachten. Im Hinblick auf das bereits verabschiedete Einwegkunststofffondsgesetz und deren Verordnung sind Unternehmen zudem gut beraten, diese Neuerungen und eine Betroffenheit frühzeitig in den Blick zu nehmen. Dasselbe gilt für die EU-Verpackungsverordnung. Setzt ein Unternehmen Verpackungen ein, die künftig verboten sind, oder stellt es solche her, sollte es sich rechtzeitig um Alternativen kümmern. Je nach Unternehmensgröße und internationalen Verflechtungen empfehlen wir aufgrund des hohen Haftungsrisikos eine GAP-Analyse und zusätzliche Unternehmensrichtlinien sowie  Workshops für die Mitarbeitenden.