Deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmenden müssen seit dem 1. Januar 2023 die Vorgaben des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (LkSG) erfüllen. Ab 1. Januar 2024 erweitert sich der Kreis auf Unternehmen ab 1.000 Arbeitnehmenden. Das Gesetz schreibt eine Reihe von Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten vor, im Mittelpunkt steht insbesondere die Achtung von Menschenrechten.
Bei Verstößen kann das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), in Abhängigkeit von Art und Schwere des Verstoßes, den zeitweisen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sowie Bußgelder verhängen. Damit verbunden sind Reputationsrisiken sowie das Risiko eines schlechten Nachhaltigkeitsratings, was sich nachteilig auf die Kapitalbeschaffung bei Banken auswirken kann. Details zum Lieferkettengesetz sind in diesem Überblick beschrieben.
Im Folgenden erörtern wir, welche Herausforderungen es durch das LkSG insbesondere für die Pharmabranche gibt und welche Chancen sich mit den anstehenden Veränderungen verbinden.
ESG als Treiber
Die im Lieferkettengesetz verankerten Themen decken Teilbereiche der ESG-Aspekte (Environmental, Social und Governance) ab: Der Schutz der Menschenrechte ist dem Faktor „S“ von ESG zuzuordnen, Umweltaspekte des Lieferkettengesetzes dem „E“. Das Gesetz enthält aber auch Governance-Vorgaben mit Bezug auf die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette.
Environmental: Umwelteinflüsse als Herausforderung für die Pharmabranche
Im Pharmasektor rückt das Thema Umwelt immer stärker in den Fokus – mit direkten Implikationen für die einzelnen Firmen. Laut einer von GlobalData durchgeführten Umfrage unter Fachkräften der Pharmaindustrie glauben 70 Prozent, die Branche betreibe zu wenig Aufwand für mehr ökologische Nachhaltigkeit. Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, Umweltthemen seien der wichtigste Nachhaltigkeitsaspekt für die pharmazeutische Industrie.
Außerdem erhöht das LkSG den Druck auf die Pharmaindustrie, schnell Veränderungen herbeizuführen. Denn Umweltrisiken, ausgelöst durch die Produktion pharmazeutischer Produkte, können sehr vielfältig sein. Beispiele dafür sind die Entsorgung schwer filterbarer Antibiotika und das entstehende Abwasser in Produktionsanlagen. Beides kann zu unerwünschten Resistenzen von Bakterien führen und stellt bereits heute ein großes Risiko für die globale Gesundheitsversorgung dar.
Social: Die Auswirkungen von Pharmaunternehmen auf das Leben von Menschen
Der zweite ESG-Faktor, Social, verlangt von Pharmaunternehmen eine größere Rücksichtnahme darauf, wie der Geschäftsbetrieb sich auf das Leben von Menschen aus allen Bereichen auswirkt: Mitarbeitende, Kund:innen, Partner wie etwa Lieferanten oder lokale Kommunen. In der bereits erwähnten Umfrage von GlobalData identifizierten 49 Prozent der Befragten Gesundheit und Sicherheit als die relevantesten sozialen Herausforderungen für die Pharmabranche, gefolgt von der Achtung von Menschenrechten mit 26 Prozent.
Die Einhaltung der Menschenrechte ist vom Gesetzgeber durch das Lieferkettengesetz explizit reguliert und für alle Unternehmen, auch an ausländischen Produktionsstandorten, verpflichtend. Dies ist insofern für die pharmazeutische Branche relevant, als 40 Prozent der Pharma-Wirkstoffe in Indien oder China hergestellt werden. Die dortige Menschenrechtslage ist dabei als kritisch einzustufen und nur schwer zu überprüfen. Jedoch sind die Produktionskosten deutlich niedriger als in westlichen Ländern, was diese Standorte so attraktiv macht. Pharmaunternehmen sind gefordert, die schwierige Balance zwischen der Lebensverbesserung für Menschen und der Profitabilität ihrer Medikamente zu meistern.
Governance: Interne Richtlinien und Kontrollen in Pharmaunternehmen
Der Erfolg von Umwelt- und Sozialinitiativen eines Unternehmens hängt auch von der dritten ESG-Säule ab: Governance. Dies betrifft die Anwendung interner Richtlinien und Kontrollen in Unternehmen, um Geschäftsentscheidungen zu treffen, Gesetze einzuhalten und Verpflichtungen gegenüber Stakeholdern zu erfüllen.
Hinsichtlich des Governance-Aspekts nimmt das Lieferkettengesetz die Unternehmen mit konkreten Punkten in die Pflicht. Dazu gehört das Festlegen interner Verantwortlichkeiten, das Verankern von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern sowie das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Rechtsverstößen.
Vier Handlungsfelder, die jetzt wichtig sind
Konkret folgt daraus für die Pharmabranche, dass bei der Umsetzung der LkSG-Vorgaben eine ganze Reihe verschiedener Faktoren zu berücksichtigen ist. Die folgenden vier wesentlichen Handlungsfelder sollten die Pharmaunternehmen jetzt angehen:
Erstens: Die aktuelle Beschaffungsstrategie überdenken
In der Pharmaindustrie kann die Zertifizierung von Produkten 12 bis 15 Monate dauern. Daher können bei, im Zweifel verpflichtenden, Zulieferwechseln schnell Zertifizierungslücken oder Mehrkosten entstehen. Für viele Pharmaunternehmen ist der Umgang mit den Herausforderungen rund um ESG und LkSG Neuland, daher sollte die bestehende Beschaffungsstrategie genau analysiert und auf LkSG-Resistenz geprüft werden.
Zweitens: Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette schaffen
An ausländischen Produktionsstandorten, beispielsweise in Ländern wie Indien oder China, ist es oftmals schwierig, das Befolgen deutscher Gesetze zu eruieren. Die fortschreitende Abschottung Chinas erschwert es zusätzlich, die Einhaltung der LkSG-Regularien zu überprüfen. Mithilfe von Kollaborationstools und Supply-Chain-Plattformen können Wertschöpfungsketten transparenter werden. Lassen sich einzelne Lieferanten nicht in das Netzwerk integrieren oder gefährden geopolitische Ereignisse die Zuverlässigkeit der Lieferkette, sind Möglichkeiten zu evaluieren, die Kapazitäten gegebenenfalls wieder in Europa aufzubauen.
Drittens: Verantwortlichkeiten definieren und in Lieferantenverträge integrieren
Eine weitere Herausforderung sind die teils unklaren Konsequenzen bei Nichteinhaltung des LkSG. So sind die Folgen für einen unkooperativen, aber elementaren Lieferanten bisher nicht eindeutig gesetzlich festgelegt. Das ist vor allem bei Single-Source-Lieferanten sehr relevant. Dennoch scheint es in den Unternehmen vielfach an der ESG-Priorisierung zu mangeln, wie sich unter anderem in unklaren Verantwortlichkeiten innerhalb der Geschäftsbereiche zeigt. Daher ist es essenziell, dass Unternehmen frühzeitig in ihrer Organisation klare Verantwortlichkeiten und Rollen rund um ESG definieren und verankern.
Viertens: Projektsteuerung und klarer Rollout-Plan
Die Pharmabranche ist ein global relevanter Emittent von Treibhausgasen. Der gesellschaftliche Druck, schnellstmöglich Emissionen zu verringern, steigt kontinuierlich. Zudem hat die
Debatte um den Marktzugang und die Preisgestaltung beim Corona-Impfstoff gezeigt, wie schnell einzelne Unternehmen in den medialen Mittelpunkt gestellt werden können und welche Rolle die soziale Akzeptanz heutzutage auch für die Pharmabranche spielt. Darüber hinaus steigt aufgrund der weltweit alternden Bevölkerung der Bedarf an pharmazeutischen Produkten und der Druck auf die Produktionsprozesse. Können Unternehmen ihre hohen Standards nicht mehr einhalten, drohen Profitabilitätsverluste sowie Strafen von Regulatoren. Dies kann gravierende Folgen auf die Wirtschaftlichkeit haben. Deshalb gilt es, das Thema ESG mithilfe einer klar definierten Projektsteuerung und einem entsprechenden Rollout-Plan umgehend anzugehen.
Fazit: Mit der ESG-Transformation loslegen und die Potenziale der Nachhaltigkeit nutzen
Mit dem Lieferkettengesetz nimmt der Gesetzgeber Unternehmen in die Pflicht, ESG aktiv umzusetzen. Die zeitnahe Umsetzung der Regularien stellt die Pharmaindustrie aber nicht nur vor große Herausforderungen. Richtig umgesetzt birgt der ESG-Ansatz enorme Potenziale für mehr Profitabilität, Wachstum und einen höheren Unternehmenswert. Deshalb sollte die Transformation zu einem nachhaltigen, LkSG-konformen Unternehmen jetzt angepackt werden – auch um ESG möglichst bald als Hebel der Wertegenerierung und als Wettbewerbsvorteil nutzen zu können.