Bosporus-Brücke beleuchtet in der Nacht

Türkei: Kostenvorteile nutzen

Die Türkei bietet weiterhin Chancen – als Produktionsstandort aber auch für Investments

Vom Musterschwellenland ist die Türkei in reichlich turbulente Zeiten abgerutscht, zumindest politisch. Zuletzt verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage. Konnte man zu Jahresbeginn noch für 4,75 Türkische Lira einen Euro bekommen, benötigt es mittlerweile mehr als 7 Lira.

Im Interview erklärt Ergün Kis, warum die derzeitige wirtschaftliche Situation auch positive Seiten hat und er erklärt, welche Punkte die deutschen Unternehmen im Blick haben sollten.

Ergün Kis leitet die Türkei-Practice von KPMG in Deutschland. Er hat achteinhalb Jahre in der Türkei gelebt und gearbeitet und dabei für KPMG deutsche Unternehmen vor Ort betreut.

Herr Kis, welche Auswirkungen hat die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Türkei für deutsche Unternehmen?

„Deutsche Unternehmen sollten die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei differenziert betrachten. Denn sie muss für sie nicht automatisch negativ sein. Wenn deutsche Unternehmen zum Beispiel in der Türkei für den europäischen oder den globalen Markt produzieren, werden die Produktionskosten, insbesondere durch den Wertverlust der türkischen Lira, günstiger.

Die aktuellen Entwicklungen beeinflussen aber natürlich auch den Absatzmarkt Türkei. Besonders die kommenden Monate werden hier wichtig sein. Denn auch wenn die fundamentalen Marktdaten der Türkei, wie Größe und die Altersstruktur der Bevölkerung weiterhin interessant sind, gibt es auch gegenläufige Aspekte. Dazu zählen vor allem der Rückgang bei der Kaufkraft der Bevölkerung durch den Wertverlust der Lira und das hohe Handelsdefizit der Türkei.

Zweiteres liegt vor allem daran, dass das Land einen Großteil seiner Waren importiert. Gerade deutsche Produkte werden so in der Türkei teurer. Darüber hinaus importiert das Land auch einen Großteil seiner Rohwaren, und das erhöht die Preise für in der Türkei produzierte Waren.“

Was machen die Unternehmen, die in der Türkei produzieren?

„Deutsche Unternehmen, die größere Produktionen in der Türkei unterhalten, werden zunächst vor Ort bleiben. Das liegt nicht nur daran, dass eine Verlagerung der Produktion mit hohen Kosten verbunden wäre, sondern auch an den aktuellen Kostenvorteilen durch den Wertverlust der türkischen Lira und dem Zugang zu hoch qualifizierten und hoch motivierten Arbeitnehmern in der Türkei. Zudem haben viele deutsche Produktionsunternehmen eine über Jahrzehnte reichende Tradition und viel Erfahrung in der Türkei.“

Die Türkei gewinnt also als Produktionsstandort an Attraktivität.

„Bezogen auf die Kosten der Produktion kann man durchaus so sagen. Natürlich muss das Unternehmen aber auch einen Absatzmarkt haben, im besten Fall eben auch außerhalb der Türkei. Deutsche Unternehmen, die über ein Investment in der Türkei nachdenken, sollten die Entwicklung beobachten und mit dem Blick auf den jeweiligen Einzelfall abwägen: Zum einen können sich spannende Investmentgelegenheiten wie beispielsweise Akquisitionsmöglichkeiten ergeben. Zum anderen müssen die Chancen gegen die Herausforderungen abgewogen werden, die sich durch die Volatilität im Markt und das veränderte rechtliche Umfeld ergeben.“

Was sollten deutsche Unternehmen in diesem Zusammenhang im Blick haben?

„Wichtig ist, dass deutsche Unternehmen aktuelle Gesetzesänderungen beachten – etwa das Dekret des türkischen Präsidenten zur „Sicherung des Wertes der Türkischen Lira“ vom 13. September. Darin ist festgelegt, dass in der Türkei ansässige Personen – und damit auch türkische Unternehmen – nur noch dann Verträge in Fremdwährung abschließen dürfen, wenn es sich um einen Ausnahmefall handelt, der vom türkischen Finanzministerium noch bestimmt wird. Auch eine Indexierung an eine fremde Währung wird untersagt.“

Welche Verträge betrifft das?

„Explizit sind Kauf-, Miet- und Leasing- sowie Dienstleistungs-Verträge aufgeführt. Laufende Verträge müssen innerhalb von 30 Tagen geändert werden.“

Welche Auswirkungen hat das?

„Für deutsche Unternehmen in der Türkei ergeben sich daraus verschiedene Herausforderungen. Zum einen müssen sie die Anforderungen des Dekrets in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne umsetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ausnahmeregelungen durch das Finanzministerium erst noch benannt und konkretisiert werden müssen. Das Ministerium hat angekündigt, dabei zu berücksichtigen, in welchem Umfang die Unternehmen Fremdwährungsverpflichtungen haben. Insbesondere für Unternehmen mit hohen Fremdwährungsverpflichtungen könnte es daher Ausnahmeregelungen geben.“

Welche Auswirkungen hat die Entwicklung für türkische Unternehmen?

„Für türkische Unternehmen wächst die Bedeutung der Risikodiversifizierung. Für deutsche Unternehmen bedeutet das, dass sie die Möglichkeit haben, einen türkischen Partner oder Käufer für ihr Unternehmen in Deutschland zu finden – besonders in Branchen wie der Automobil-, Bau- oder Elektro-Industrie, in denen türkische Unternehmen in den letzten Jahren internationales Ansehen erworben haben. Für Deutschland eröffnet sich hier die Chance, sich als attraktiver und stabiler Wirtschaftsstandort zu positionieren.“

Herr Kis, vielen Dank für das Gespräch.