Blüte wächst aus Baum

Die globale Wirtschaft auf der Suche nach Orientierung? – Vier Thesen

Unsere Befragung unter 300 Unternehmen zeigt, dass Planungsunsicherheiten zunehmen

Für die aktuelle Ausgabe unserer Kapitalkostenstudie haben wir das Motto „Globale Wirtschaft – Suche nach Orientierung?“ gewählt. Ein nicht nur vor dem Hintergrund der letzten Monate passender Titel. Denn die Befragung unter mehr als 300 Unternehmen zeigt deutlich, dass Planungsunsicherheiten sowohl auf makroökonomischer als auch auf mikroökonomischer Ebene wachsen. Basierend auf den Entwicklungen der letzten Jahre leite ich vier Thesen ab, worauf sich Unternehmen einstellen sollten bzw. wie sich die Rahmenbedingungen in der kommenden Zeit verändern werden.

Wirtschaftliche Verwerfungen nehmen im Umfeld geopolitisch steigender Spannungen weiter zu

Die Weltwirtschaft war in den letzten Jahren zunehmend Krisensituationen ausgesetzt: Finanzkrise 2008, Staatsschuldenkrise in Europa 2012, Covid-19-Krise 2020. Das rasche Aufeinanderfolgen krisenbedingter Situationen erschwert die Analyse der strukturellen Ursachen und die Analyse, wie wirksam die Maßnahmen von Regierungen, Zentralbanken und Unternehmen sind.

Die sich jenseits des Wirtschaftsgeschehens entwickelnde Covid-19-Krise trifft die Weltwirtschaft in einem Zustand, in welchem viele Aspekte früherer Krisen nicht gelöst sind und sich weitere Probleme bereits seit Jahrzehnten kumulieren. Etwa der Handelskrieg zwischen den USA und China, die Richtungssuche der erdölgetriebenen Volkswirtschaften und politische Auseinanderstrebungstendenzen in Europa. Diese protektionistischen Tendenzen scheinen die Ära der Globalisierung abzulösen, was wiederum nationalistische Strömungen beflügelt. Auch, weil die Verteilung der Globalisierungsgewinne nicht der Bevölkerung zukommt, sondern nur einzelnen Staaten bzw. einzelnen Bevölkerungsgruppen. Inwieweit die von Regierungen, Zentralbanken, Unternehmen und Konsumenten ergriffenen Maßnahmen und Reaktionen geeignet sind, nicht nur die aktuelle Krise in den Griff zu bekommen, sondern auch die bereits vorher bestehenden ungleichgewichtigen Tendenzen bei der Verteilung des Wohlstands, den zunehmenden Protektionismus und den ökologischen Fußabdruck der Wohlstandgenerierung, bleibt abzuwarten.

Die theoretisch freien Märkte agieren in der Realität zunehmend unfreier

Die volkswirtschaftliche Theorie der freien Märkte beschreibt die real anzutreffenden Marktprozesse zunehmend ungenauer. Neben den bereits bekannten, teilweise großen zeitlichen Verzögerungen bei volkswirtschaftlichen Anpassungsmechanismen, treten zunehmend Sachverhalte, die in theoretischen Modellen annahmegemäß ausgeschlossen sind. Hierzu gehören globale Konzentrationstendenzen zu oligopolistischen oder sogar monopolistischen Märkten. Zum Beispiel in technologiegetriebenen Geschäftsmodellen, ebenso wie die zunehmende politische Einflussnahme von Regierungen auf die Unabhängigkeit der Notenbanken. So wird das Zinsniveau in Europa seit geraumer Zeit durch einen Marktteilnehmer, die EZB, bestimmt.

Als weiteres Beispiel sei die aktuelle Klimadebatte genannt. Aktuell ist nicht erkennbar, dass allein aus den (freien) Märkten heraus zukunftsfähige Lösungen entwickelt werden. Strategien von Zentralbanken, Regierungen und Unternehmen, die oft auf der Basis konzeptioneller Modelle von freien Märkten basieren, sind vor diesem Hintergrund hinsichtlich Wirksamkeit und Angemessenheit kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.

Die expansive Geldpolitik verändert das Risikobewusstsein

Die andauernde und in dieser Form bislang einzigartige Flutung der Märkte mit Liquidität durch die Zentralbanken hat den Preis des Geldes in Form des Zinssatzes zwischenzeitlich in den negativen Bereich gedrückt. Eine Investition in risikofreie Investments erzielt somit heute keinen positiven Cashflow mehr. Ein solcher steht somit für Konsumzwecke oder das Erfüllen von Pensionsverpflichtungen nicht mehr zur Verfügung.

Die Möglichkeiten, Konsum zumindest temporär zu verschieben, sind vor dem Hintergrund der nunmehr seit Jahren andauernden Niedrigzinsphase nahezu ausgeschöpft. Zum Vermeiden von Konsumverzicht sowie zum Begleichen langlaufender Zahlungsverpflichtungen wie Pensionen sind bislang risikoscheue Anleger entgegen ihrer ursprünglichen Risikopräferenz nunmehr gezwungen, in Investments mit höheren Risiken zu investieren, um positive Cashflows zu erwirtschaften bzw. ihr Vermögen zu erhalten. Aber auch das Risikobewusstsein von Anlegern in riskante Anlageklassen wird sukzessive durch die expansive Geldpolitik verändert. Aktienanleger verlassen sich zunehmend darauf, dass die Notenbanken jeden Abschwung um jeden Preis zu vermeiden suchen. An die Stelle „gesunder“ Systemkorrekturen bei Übertreibungstendenzen heißgelaufener Märkte in wirtschaftlichen Boomphasen tritt die bisher fortlaufend erfüllte Erwartung der Märkte an eine nicht versiegende Infusion der Märkte. Auch um den Preis einer möglichen Zunahme sogenannter Zombie-Unternehmen (Unternehmen, deren unwirtschaftliches Geschäftsmodell lediglich durch fortlaufende Liquiditätsspritzen funktioniert) und zunehmender Verwerfungen.

Prognostizierte Maßnahmen lassen eine rasche Belebung des Transaktionsmarktes erwarten

Die Auslöser der aktuellen Krise lagen nicht in wirtschaftlichen Ursachen, wie beim Platzen der Dotcom-Blase, der Finanz- oder der Schuldenkrise. Ungeachtet dessen wird die Krise weltweit zu einem signifikant negativen Wirtschaftswachstum für 2020 führen und somit zu einem drastischen Rückgang der Bruttoinlandsprodukte, was schlicht fehlende Wertschöpfung bedeutet. Hiermit einhergehende reduzierte Einkommen und geringere Kapitalgewinne sollen durch die von Notenbanken und Regierungen bereitgestellten finanziellen Mittel zumindest teilweise kompensiert werden. Der negative krisenbedingte Effekt wird somit in die Zukunft verlagert – in Form steigender Staatsverschuldungen sowie zukünftig zu erwartender steigender Inflation. Insgesamt gelangt weiterhin ungebremst Liquidität in die ohnehin bereits von hohen Liquiditätsbeständen gekennzeichneten globalen Volkswirtschaften, was die aktuelle Krise diametral von der Finanzkrise 2008 unterscheidet.

Vor diesem Hintergrund ist – nach kurzem krisen- und unsicherheitsbedingten Innehalten – mit einer Belebung des Transaktionsmarktes zu rechnen. Gesunkene attraktive Preise sowie restrukturierungsbedingte Transaktionen werden diesen Trend ebenso verstärken wie die krisenbedingte Beschleunigung von Transformationen disruptiv bedrohter Geschäftsmodelle in zahlreichen Branchen. Bereits vor Covid-19 bestandene Unsicherheiten aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Verwerfungen. Die Veränderung der Spielregeln auf sich neu definierenden freien Märkten sowie die letztendlich irgendwann ökonomisch limitierten Möglichkeiten von Regierungen und Notenbanken führen allerdings – gepaart mit einem sich wandelnden Risikobewusstsein sowie der von den Notenbanken gesuchten Inflation auf die Preise von Vermögenswerten – zu steigenden Herausforderungen an Wertbestimmungen für wertsteigernde Transaktionen.

Haben Sie Fragen zur Studie oder möchten mit unserem Autor über die Thesen diskutieren? Dann schreiben Sie: atschoepel@kpmg.com